Dr. Johannes Kromczynski ist besorgt. Der Allgemeinmediziner gab kürzlich bekannt, dass er seinen Standort in Zellingen am 31. März schließt und ab April nur noch seine andere Praxis im Gesundheitszentrum Karlstadt betreibt. Mit der Schließung ist der 53-Jährige im Landkreis Main-Spessart derzeit in guter Gesellschaft. Auch Dr. Leonhard Wecker in Arnstein musste seine Praxis krankheitsbedingt aufgeben. Der Birkenfelder Arzt Dr. Roland Erbelding gab bekannt, seine Praxis Mitte des Jahres dichtzumachen, während Dr. Gerhard Reiß aus Thüngen keine Termine mehr an Kassenpatienten vergibt. In Wiesthal findet Günther Polzer keinen Nachfolger.
Meist sind diese Praxisschließungen im ländlichen Raum ein Resultat des Personalmangels – so auch bei Kromczynski in Zellingen der Fall. Um die Hintergründe aus seiner Sicht zu schildern, meldete der sich kürzlich in einem Video auf Instagram zu Wort. Im Interview spricht er über die Konkurrenz zwischen ambulantem und stationärem Sektor sowie strukturelle Probleme im Gesundheitswesen.
Frage: Herr Dr. Kromczynski, viele Leute fragen sich im Zusammenhang mit den personalbedingten Praxisschließungen, warum Hausärzte ihre MFA nicht besser bezahlen oder angenehmere Arbeitsbedingungen schaffen. Warum funktioniert das nicht?
Dr. Johannes Kromczynski: Weil der ambulante Sektor immer noch budgetiert ist. Als Arzt bekommt man pro Kassenpatient einen bestimmten Betrag, mit dem die Leistungen des Arztes für den Patienten für drei Monate abgegolten werden. In dieser Hinsicht haben sich die Einnahmen im kassenärztlichen Bereich in den letzten Jahren kaum verändert. Unsere Ausgaben steigen gleichzeitig enorm an, sei es für Personal, Mieten, Energie oder EDV. Auch bekommen wir keinen Inflationsausgleich und die Gebührenordnung für Ärzte wurde seit 1996 nicht geändert.

Und deswegen können Sie den Ansprüchen und Wünschen ihrer Mitarbeitenden nicht gerecht werden?
Kromczynski: So ist es leider. Die Fachkräfte wünschen sich vor allem ein besseres Gehalt, Home-Office, flexiblere Arbeitszeiten und mehr Urlaub. Das kann der ambulante Sektor mit seiner privatwirtschaftlichen Organisation aber nicht in diesem Umfang bieten. Im Gegensatz zu vielen Kliniken im stationären Sektor werden unsere finanziellen Defizite nicht einfach aus Steuergeldern gestopft. Somit rutscht man also schneller in die Insolvenz. Dazu kommt, dass eine Hausarztpraxis meist einen geringeren Anteil an Privatpatienten als eine Facharztpraxis aufweist. Der Privatpatient spielt in diesem System aber mittlerweile eine wichtige Rolle, da er wichtig für die Finanzierung der Praxen ist.
Aber man liest doch trotz der regelmäßigen Finanzspritzen für Kliniken immer wieder von der Insolvenz-Welle im stationären Bereich?
Kromczynski: Viele Krankenhäuser schreiben hunderttausende von Euro an roten Zahlen, weil sie sich ihre Art zu wirtschaften eben auch nicht leisten können. Sie werden aber vom Steuerzahler finanziert und am Ende des Jahres fließen dann Sonderzahlungen in Millionenhöhe. Das bleibt dem ambulanten Sektor verwehrt, was zu einem finanziellen Ungleichgewicht zwischen den beiden Bereichen führt.
Eine Studie des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi) hat ergeben, dass 20 Prozent der stationär behandelten Fälle auch ambulant versorgt werden könnten. Trotzdem bleibt die Budgetierung bislang bestehen. Wie passt das zusammen?
Kromczynski: Aus meiner Sicht ist es ein Riesenfehler, wie die Sache angegangen wird. Aktuell wird ein stationäres System kaputtgemacht und gleichzeitig aber kein ambulantes System aufgebaut, das die zukünftig anfallende Versorgung kompensieren könnte. Wie soll unser Sektor das abfangen, wenn nicht in ihn investiert wird? Das kann nicht funktionieren. Wenn es die Allgemeinmedizin in ihrer heutigen Form irgendwann nicht mehr gibt, muss man sich ein neues System überlegen. Aber wenn es so bleibt, wie es jetzt ist, wird dieses System an die Wand fahren.
Können Sie ein konkretes Beispiel für die finanzielle Knappheit im ambulanten Sektor nennen?
Kromczynski: Davon gibt es genügend. Für eine Langzeit-EKG-Aufzeichnung bekommt man 5,95 Euro. Ich musste meine Geräte neulich updaten lassen, das hat circa 1400 Euro gekostet. Überlegen Sie mal, wie viele EKGs Sie machen müssen, nur um das Update zu bezahlen. Und die Geräte an sich, die auch mal repariert werden müssen, sind dann noch nicht bezahlt – genauso wenig wie das Anlegen und Ablegen durch die MFA.
In ihrem Video auf Social Media sprechen Sie auch über Headhunter, die versuchen, MFA für Kliniken abzuwerben. Sie selbst haben fünf Fachkräfte im Laufe der letzten Jahre an Kliniken verloren. Wissen Sie, wie diese Rekrutierungen genau ablaufen?
Kromczynski: Die MFA bekommen E-Mails von den Headhuntern oder werden direkt in der Praxis angerufen. Das Personal wird gezielt angesprochen und die Preise werden hochgetrieben, indem Versprechungen gemacht werden. Wir bieten dies, wir bieten das, wir bieten jenes. Bis zu 8000 Euro werden mit der Vermittlung einer medizinischen Angestellten über Headhunter verdient. Es gibt Kollegen, die inzwischen Bilder und Namen ihrer Mitarbeitenden aus diesem Grund von der Website nehmen und ich werde das auch bald tun.

Aber gerade bei jungen Fachkräften spielt der Standort auch unabhängig von der Bezahlung eine wichtige Rolle, oder?
Kromczynski: Natürlich. Auf dem Land gibt es ja kaum noch Geschäfte. Ich habe aktuell zwei Azubis in Karlstadt. Am Standort Zellingen, den ich nun schließen muss, habe ich hingegen keinen einzigen bekommen. Warum kriege ich die Auszubildenden hier in Karlstadt und nicht in Zellingen? Weil Hausarztpraxen im Vergleich zu anderen Berufen untypische Sprechzeiten mit langen Mittagspausen haben, in denen die jungen Leute sich beschäftigen müssen. In der Peripherie findet man dafür meist nicht das entsprechende Angebot. Größere Städte werden somit attraktiver.
Sie waren Mitinitiator des Gesundheitszentrums Karlstadt und sagen selbst, das, was Sie dort machen, sei die Zukunft der ärztlichen Versorgung. Wie meinen Sie das?
Kromczynski: Es entstehen Synergien unter den Ärzten, die Vorteile für die Patienten mit sich bringen. Wenn Sie beispielsweise mit einer Überweisung zum Gastroenterologen aus der Hausarztpraxis rausgehen, gehen Sie erst nach Hause und telefonieren meist lange, bis Sie überhaupt einen Termin bekommen. Wenn hier ein Patient die Praxis verlässt, kann er direkt in einer Facharztpraxis im Haus einen Termin ausmachen. In der Akutsituation kann das bedeuten, dass ein Patient mit sehr starken Kopfschmerzen kommt und wir in der Lage sind, sofort eine CT zu fahren, um eine Hirnblutung auszuschließen. Wir sind in solchen Fällen schnell in der Diagnostik und können den Patienten dann mit gestellter Diagnose in die Uniklinik oder in ein anderes Krankenhaus verlegen.
Bayern ist Flächenland. Glauben Sie, ein Netz aus diesen medizinischen Zentren kann flächendeckend funktionieren? Für die Menschen in den Dörfern entstehen ohne Hausärzte im Ort ja trotzdem längere Wege...
Kromzcynski: Ja, die Wege werden weiter und – man muss es so klar sagen – vor allem ältere Menschen werden aufgrund ihrer Immobilität schlechter versorgt sein. Aber auch für ältere Menschen gibt es eine Lösung, die Mobilität aufrecht zu halten. Man könnte zum Beispiel einen Bürgerbus einrichten, der Patienten in einem festen Zeitfenster einsammelt und zur Behandlung fährt. Die erfolgt dann im Gesundheitszentrum und anschließend werden sie mit dem Bus wieder auf die Dörfer verteilt. Um solche Dinge umzusetzen, braucht es aber mehr Zusammenarbeit im medizinischen Sektor. Die Pflege, ambulante Ärzte, stationäre Ärzte – jeder arbeitet aktuell für sich. Ich glaube, dass man sich mal zusammen an einen Tisch setzen und über ein System reden sollte, das stärker ineinandergreift. So würde man viel mehr bewirken, als wenn wir immer alles getrennt betrachten.

Das Gesetz zur umstrittenen Krankenhausreform ist vor wenigen Monaten in Kraft getreten. Grundsätzlich geht es dabei ja auch um eine Zentralisierung der medizinischen Angebote, nur eben im stationären Bereich. Wie stehen Sie zu dieser Reform?
Kromczynski: Wir müssen bedenken, dass die Ausbildung der Kollegen schwieriger wird, weil es durch eine Reduzierung der Kliniken weniger Stellen für Assistenzärzte geben wird. Bei einer Facharztausbildung müssen Sie eine bestimmte Zeit im Krankenhaus tätig gewesen sein. Wie viele Assistenzärzte brauchen die Kliniken in Zukunft? Ich weiß nicht, wie Herr Lauterbach sich das vorgestellt hat. Und wenn Krankenhäuser wegfallen, werden in der Konsequenz immer mehr Patienten an die übrig gebliebenen Krankenhäuser eingewiesen. Man braucht dort also eine ganz andere diagnostische Kapazität für Akutsituationen.
Sie laden explizit politische Vertreter in ihre Praxis ein. Was erhoffen Sie sich von einem Besuch?
Kromczynski: Die sollen mal sehen, was hier vor Ort, in der Praxis selbst, die Probleme sind. Dann können wir auch darüber sprechen, dass hier Bürokratie auf- und nicht abgebaut wird. Wie oft kommt ein Patient in die Praxis, ein E-Rezept funktioniert nicht und wir schreiben es doch wieder mit der Hand? Das bedeutet alles doppelt und dreifache Arbeit. Die politischen Vertreter sollen sich mal ein Bild davon machen, wie es an der Basis wirklich ausschaut. Dazu lade ich jeden und jede ein. In einem Gespräch können dann Strukturprobleme benannt werden. Ich selbst habe viele Vorschläge, wie man sie beheben könnte.