Im Minutentakt kommen die Menschen am Donnerstagmorgen an den Tatort im Schöntal in Aschaffenburg. Keine 24 Stunden ist es her, dass ein 28-Jähriger hier im Park zwei Menschen getötet hat - ein zweijähriges Kind und einen 41-jährigen Familienvater. "Grausamer geht es kaum", sagt eine Passantin, während sie sich die Augen reibt. Der Jugendliche neben ihr stimmt ihr schweigend zu.
Es sind Menschen aller Altersgruppen, Alte und Junge, Einheimische und solche mit erkennbarem Migrationshintergrund, die das tiefe Bedürfnis an diesen Ort treibt, ihr Mitgefühl zu zeigen, ihre Trauer zu teilen. Fassungslosigkeit macht sich breit, ganz vereinzelt auch Wut.
Aschaffenburg sehnt sich nach Gemeinschaft
Einige wischen sich Tränen aus dem Gesicht, manche zünden mitgebrachte Kerzen an, andere nehmen sich in den Arm: Es bedarf fast keiner Worte, um an diesem Ort seine Gefühle auszudrücken. Aschaffenburg sehnt sich in diesen schweren Stunden nach Gemeinschaft, viele Menschen wollen ihre Verzweiflung teilen, nicht allein sein.

"Ich bin nur traurig", sagt Sinan Kayakiram. Der 32-Jährige ist in Aschaffenburg aufgewachsen, "hier im Schöntal habe ich als Kind gespielt". Die Gewalttat sei furchtbar, "einfach krank". Er habe selbst ein zwei Jahre altes Kind, ergänzt er noch. Dann muss er schlucken.
Eine ältere Frau setzt einen Teddy an den Gedenkort - zu den vielen anderen Plüschtieren, die bereits hier liegen. "Nein", sagt sie, reden wolle sie nicht.
Schülerinnen sind in den Park gekommen "einfach nur, um zu trauern"
Wenig später ist eine Gruppe 16-, 17-jähriger Schülerinnen vor Ort. Klassensprecherin Paula und die elfte Klasse der Maria-Ward-Schule sind gekommen, "einfach nur, um zu trauern". Wäre am Mittwoch nicht eine Stunde eher Schulschluss gewesen, wären sie zur Tatzeit auch hier im Park gewesen. "Falscher Ort, falsche Uhrzeit, so schnell kann das Leben vorbei sein", beschreibt eine Jugendliche ihre Gefühle. So denken viele an diesem Morgen.

Punkt zehn rückt der Tross an Politikerinnen und Politikern an. Oberbürgermeister Jürgen Herzing (SPD) führt ihn an, gefolgt von seinem Stadtrat sowie den Landes- und Bundespolitikern aller Couleur. Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU) ist dabei, die Bundestagsabgeordneten Andrea Lindholz (CSU), Karsten Klein (FDP) und Niklas Wagener (Grüne) auch. "Ein schwerer Gang", sagt der Oberbürgermeister.
Jürgen Herzing ist Katastrophen-erprobt. Eigentlich. Seit 50 Jahren ist er bei der Freiwilligen Feuerwehr, 26 Jahre war er hauptberuflich bei der Berufsfeuerwehr in Frankfurt tätig. Er habe viele schlimme Unfälle und Brände mit Toten erlebt, sagt er. Aber diese "entsetzliche Tat" übersteige das bisher Erlebte: "Ich fühle, als wäre mein eigenes Kind oder mein eigener Bruder gestorben."

Er habe Verständnis, so der Oberbürgermeister, wenn Menschen jetzt Wut und Rachegedanken äußern, aber er bitte darum, "besonnen" zu bleiben. Diese Tat, so grausam sie sei, dürfe keine "Spirale aus Hass und Gewalt auslösen". Herzing dankt den Einsatzkräften von Rettungsdienst und Polizei. Und er würdigt den getöteten Familienvater, der seine Zivilcourage mit dem Leben bezahlen musste, als er versuchte, den Täter aufzuhalten. Sein eigenes Kind stand daneben.
Als die Politikerinnen und Politiker ihre Kränze niederlegen, ist es still im Park, obwohl mittlerweile ein paar hundert Passanten ins Schöntal gekommen sind. Nur das Klicken der Kameras von Medienvertretern aus ganz Deutschland ist zu hören.

Diese Betroffenheit vor Ort, die mit Händen zu greifen ist, die mache etwas mit einem, sagt Detlev Tolle. "Ich habe Gänsehaut", bekennt der Polizeipräsident von Unterfranken. Es sei eben etwas anderes, ob man im Führungsstab in Würzburg das polizeiliche Vorgehen plant oder am Ort dieses schrecklichen Verbrechens sei. Viele Beamtinnen und Beamte, die im Schöntal zum Einsatz kamen, hätten selbst Kinder. Tolle: "Wir funktionieren, aber solche Taten gehen auch gestandenen Polizisten an die Nieren."

In den nächsten Tagen will die Polizei sämtliche Kindertagesstätten in Aschaffenburg besuchen, sich die Ängste und Nöte der Eltern und der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anhören - und gegebenenfalls Hilfe organisieren. Auch für die Polizei- und Rettungskräfte selbst stehe Unterstützung bereit, sagt der Polizeipräsident. "Wir sind da in Unterfranken gut aufgestellt."
Kabarettist Urban Priol: "Die Unbeschwertheit ist vorbei"
Ein paar Meter neben Tolle steht Urban Priol. Das Hofgarten-Theater, die Homebase des Kabarettisten, grenzt an den Park. "Es war immer so schön, die Kinder im Schöntal spielen und lachen zu sehen." Diese Unbeschwertheit sei vorbei. Die Taten von Solingen oder Magdeburg hätten ihn schon beschäftigt, sagt Priol, "aber wenn so etwas vor der Haustür passiert, dann ist das nochmal was anderes". Er wünsche nur, sagt der Kabarettist, dass das traurige Geschehen jetzt nicht politisch instrumentalisiert werde. "Innehalten täte uns allen gut."

Politikerinnen und Politiker bemühen sich denn auch, hier am Tatort nicht allzu lautstark Forderungen zu formulieren. "Lasst die Polizei erst einmal die Tat aufklären", so der Appell von FDP-Mann Klein. CSU-Innenpolitikerin Lindholz ist da schon forscher unterwegs: "Reden hilft nicht mehr, wir müssen endlich handeln." Neben einer Begrenzung der Migration plädiert sie für bessere Konzepte zur Überwachung psychisch auffälliger Gewalttäter.
"Die Politik ist schuld, wir haben zu viele Ausländer hier", sagt eine Passantin wenig später, als der Abgeordneten-Tross wieder weg ist. "Dann weißt du ja, wen du wählen musst", sagt ein Mann neben ihr. "Seid doch still, lasst uns einfach trauern", geht eine andere Frau dazwischen.

Aschaffenburg braucht jetzt Zeit. Die Kirchen sind gefragt. Die ersten Trauergottesdienste haben stattgefunden, im ökumenischen Kirchenladen stehen jetzt jeden Tag Seelsorgerinnen und Seelsorger zum Gespräch bereit. Für Sonntag ist eine große interreligiöse Trauerfeier in der Stiftskirche geplant.
Iman Zischan Mehmood von der muslimischen Ahmadiyya-Gemeinde ist schon am Donnerstag mit einigen Gläubigen an den Tatort gekommen. Man stehe gemeinsam gegen jeden Terror, sagt Mehmood - und hält ein Plakat mit einer Stelle aus dem Koran hoch: "Wenn jemand einen Menschen tötet, so ist es, als hätte er die ganze Menschheit getötet."