Feinkost für den Feierabend? Sterne-Menü aus Supermarktprodukten? Klar, sagt Benedikt Faust: „Sterneküche kann jeder!“ Der Koch und Gastronom aus Marktheidenfeld (Lkr. Main-Spessart), der selbst mehr als zehn Jahre lang Michelin-Sterne erkochte, will zeigen, dass man in einer normalen Küche, mit normalen Gerätschaften und mit gängigen Lebensmitteln aus dem nächsten Laden genial und total gourmetmäßig kochen kann. Sein proklamiertes Ziel: auf einfachstem Weg mit kleinstmöglichem Aufwand der maximale Geschmack.
Leuten, die keine Ahnung von Emulsionen und Garzeiten haben, ein Buch an die Hand geben, mit dem sie „schnell und unkompliziert auch ohne Technik was Geiles machen können“ – das war die Idee des Küchen-Masters, der nie nur das nächste und zigste überflüssige Kochbuch schreiben wollte. Aber als jetzt Gräfe und Unzer anfragte – da sagte Faust dann doch zu. Und weil es schnell gehen musste, tüftelte er schnell Rezepte aus und kochte im Sommer mit seinen Koch-Kompagnons Maximilian Jandt und Timo Beck zu Hause im Akkord. Pro Tag vier, fünf Gerichte – und danach alles noch einmal, beim Foodfotografen.
Jetzt gibt es das erste Faust'sche Kochbuch – für Leute, die gar nichts können, bis zu ambitionierten Hobbyköchen und sogar erfahrenen Cracks. Ein Gespräch über Schnibbeln, Brutzeln und Braten ohne Firlefanz – aber mit Babybrei.

Frage: Welche Kochbücher stehen bei Benedikt Faust in der Küche griffbereit? Oder kochen Sie völlig ohne? Wie ist Ihr Verhältnis zum Kochbuch?
Benedikt Faust: Mein Verhältnis zum Kochbuch ist eigentlich keines. Ich habe Kochbücher, die Kumpels und Freunde gemacht haben. „Wilder Wald“ von Heiko Antoniewicz und Lucki Maurer zum Beispiel. Es gibt Köche, die alles lesen, die nach Kochbüchern agieren. So war das bei mir nie. „Eckart Witzigmanns Junges Gemüse“ oder seine Nudelgerichte – das war natürlich große Lektüre, das waren meine ersten Bücher. Und dann kam von Michel Bras eines über seine Gemüseküche, in dem er auch andere Wege geht. Seeteufel mit schwarzem Öl konfiert – das hat es mir so sehr angetan, dass ich es in Bad Hersfeld damals dann auch gekocht habe. Aber ansonsten koche ich völlig ohne Kochbücher . . . Wenn du eine Idee hast und ein Basisrezept für irgendeinen Biskuit brauchst, den du dann eh veränderst . . . Dann googelst du ein Rezept, guckst dir drei, vier an und ziehst deine Rückschlüsse draus.
Und so was wie Mengenangaben?
Faust: Das testet man! Ich gehe da sehr strukturiert vor. Ich mache ein Gericht und bastle mich ran. Man macht einen Erstversuch – und wenn der gleich super ist, ist das mega. Meistens bedarf es einer Nachjustierung. Anstatt zu versuchen, in einen Biskuit Rote-Bete-Geschmack hineinzubekommen, dass es richtig geil ist, könnte man ihn auch trockener machen und im Nachgang auch einlegen in Rote-Bete-Saft. Dann hat man eine größere Chance, dass er richtig nach Rote Bete schmeckt. Oder man macht ein Chutney und füllt ihn. Oder man macht Kompott oder, oder, oder . . .
Und am Ende wird alles schriftlich penibel notiert?
Faust: Nö, gar nicht. Null. Lernen und vergessen. Ich habe früher alles in Heftchen geschrieben, das braucht man für die Entwicklung. Aber für mich führe ich jetzt keine Rezept-Ordner mehr. Für den täglichen Prozess, klar, da notiert man. Aber archivieren – warum? Beim nächsten Mal mache ich in das Erbsenpüree Rindermark mit rein. Oder Sardelle oder Kapern oder Apfel, weil ich den Geschmack gerade so haben möchte. Da ist es viel wichtiger zu schauen, wie du dieses Apfelkompott so bekommst, dass die Säure die Erbse nicht grau macht.
Das heißt, alle Rezepte aus dem Buch . . .
Faust: . . . sind neu. Es gibt zwei Rezepte, die ich vorher schon hatte: Lachs, Litschi, Erdnuss, weil das schon immer da war und das echt easy und unkompliziert ist. Und das aus dem Römertopf mit Saibling und Semmelknödel. Da musste ich nur zwei Sachen ergänzen.
Lachs, Litschi, Erdnuss? Wie kam es dazu?
Faust: Das ist eines meiner allerersten Gerichte. Das ist entstanden, als ich den ersten Stern hatte, so vor vielleicht zehn Jahren, aus der Not heraus . . .

Was war die Not?
Faust: Dass ich keine Zeit hatte und zum Lucki Maurer aufs Kulinarik-Festival gefahren bin und wir früh da sein mussten und dort aber 20 Gastköche waren und man also überhaupt keinen Platz hat, um etwas zu produzieren. Das heißt: Du musst alles fertig mitbringen. Weil ich tags zuvor unterwegs war und nichts vorbereiten konnte, musste ich dort was machen, in einer winzigen Küche. Also habe ich dieses Gericht kreiert. Letztlich Dosenfutter: Dosen-Litschi, Erdnussbutter aus dem Glas mit lauwarmem Wasser zu einem Dip angerührt. Und rohen Lachs in Sushi-Qualität, schon entgrätet, kann man kaufen. Und roher Lachs geht halt immer. Dann machst Du ein bisschen Gurke oder salzt ein bisschen Rettich, machst Essig dran und lässt ihn ziehen . . . Schneidest oder schälst alles, dass es halt schön aussieht. Und dann machst Du noch eine Wasabi- Mayonnaise aus einer gekauften Mayonnaise mit Wasabi – hackst Erdnüsse klein, fertig ist das Gericht. Du hast Süße, Frucht, Schärfe, durch die Gurke ein bisschen Säure. Den rohen Fisch dazu - schon bist Du im Umami-Sektor und bedienst alles, was der Mund so braucht. Crunch, softer Dip, Creme, Festes, Kompaktes, Flüssiges . . .
Und so funktioniert Sterneküche? Dosen und Tuben aus dem Supermarkt?
Faust: Ich wollte nie ein Fachbuch machen. Und ich wollte nicht das nächste Kochbuch eines Sternekochs machen, nur aus dem Ego heraus. Wenn, dann soll es etwas Besonderes sein. Also: Idee Supermarktprodukte! Wenn wir unterwegs kochen, halten wir es immer relativ einfach und unkompliziert und schauen, dass es umami schmeckt. Ein bisschen Show dazu, aber keine Komplikation! Aber die ersten 20 Seiten sind Theorie und ein Handbuch, was man mit einem Kamm oder einem Bohrer machen kann.
"Stabmixer, Handrührgerät - das reicht."
Benedikt Faust über die nötigen Küchengeräte
Mit einem Kamm? Bohrer?
Faust: Klar. Mit dem Haushaltsbohrer und blitzblank polierten Aufsätzen kann man hübsche Löcher in Gemüse oder Massen bohren. Superbeispiel: Man stelle sich eine gegarte Karotte im Ganzen vor, in die unterschiedlich große Löcher gebohrt wurden! Und mit dem Kamm lassen sich schön Furchen und Wellen in Püree pflügen. Großes Thema: Wie kann man Gemüse ausstechen ohne einen Ausstecher zu haben? Mit dem Deckel einer Senftube.
Damit ist eine Frage fast schon beantwortet: Welche Gerätschaften und Utensilien braucht denn der Laie für Sterneküche à la Faust?
Faust: Stabmixer, Handrührgerät - das reicht. Die Basis ist wirklich, alles komplett ohne Equipment machen zu können. Außer im Dessert-Bereich.
Weil?
Faust: Da gibt es zwei Basis-Rezepte: Sorbet und Creme-Eis. Dafür braucht es Großküchen-Lebensmittel, also Bindemittel, Gel . . . Aber ich wollte, dass man ohne Rührdinger und Eismaschine zuhause ein cremiges Eis selber entwickeln kann. Und zwar nicht auf Basis von gefrorener zermatschter Banane.
Stichwort Zutaten – bekommt man die wirklich alle im Supermarkt? Also, schwarze Nüsse oder Amalfi-Zitronen . . .
Faust: Die verwende ich als Upgrades, die gibt es beim Großhändler für Gastronomie, der inzwischen auch Privatmenschen beliefert. Aber 99 Prozent der Lebensmittel im Buch sind aus dem Supermarkt. Es geht darum, mit Massenprodukten durch die unterschiedlichen Aromen-Kombinationen, mit denen du nicht rechnest, ein neues Geschmacksbild zu erzeugen. Weißer Spargel ist bitter. Wenn du den in einem Apfel-Kiwi-Smoothie aus dem Supermarkt kochst, sind die Bitterstoffe weg. Komplett. Supersimpel.

Was also ist die Definition von „Sterneküche“?
Faust: In dem Fall: Dass du optisch wie geschmacklich etwas herstellen kannst, was in einem gehobenen Restaurant definitiv den Zuspruch der Gäste finden würde. Wenn Sie mich umgekehrt fragen, ob ich die Sachen auch im Restaurant kochen würde, würde ich bei 90 bis 95 Prozent sagen: ja! Vielleicht abgeändert und die Produkte dann eben nicht aus dem Supermarkt, sondern von einem Händler des Vertrauens. Aber der Grundgeschmack würde so bleiben. Genau darum ging es bei dem Buch.
Was würde nicht im Faust-Restaurant auf den Tisch kommen?
Faust: Zum Beispiel ein Amuse-Gueule, das ich geil finde: Kräcker, Karotte, Koriander. Das ist geschmacklich super, aber im Restaurant würde ich das anders machen, da würde ich kein Babybrei-Gläschen verwenden.

Babybreigläschen . . .
Faust: Für zu Hause ist es halt viel einfacher, ein Babybrei-Gläschen zu kaufen mit Karotte, Mais und Biokalb und das mit Koriander und Kümmel zu mixen. Da muss richtig viel Bumms rein. Acht von zehn Leuten schmecken hinterher niemals, dass das Babybrei ist. Du bombardierst den mit Gewürzen, dann frischer Koriander, Dinkel-Knäckebrot, Sesampaste dazu – geil.
Wie kommt man da drauf?
Faust: Das Erste, was ich gemacht habe: Durch meinen Lieblingssupermarkt laufen und von jedem Regal Bilder zu machen. Von jedem. Dann habe ich die Sachen, die ich schon im Restaurant gemacht habe, angepasst. Kopfsalat mit Ginger Ale eingelegt, Makrele dazu – das ist Rezeptentwicklung. Ei, Spinat – ein alter Klassiker, mache ich eh gerne. Dazu gibt es hier halt Weißgelegten, weil den jeder kaufen kann.
Und das ist Sterneküche?
Faust: Da geht es dann darum, das Eigelb so hinzubekommen, dass es eine Gel-Konsistenz bekommt wie ein bei niedrigen Temperaturen über Stunden gegartes Onsen-Ei.
Wie bekommt man’s hin?
Faust: Indem du dein Ei einfach einfrierst, am besten mit Schale. Dann lässt du es 24 Stunden drin, brichst es auf – wenn es auftaut, läuft das Eiweiß weg. Das Eigelb ist durch die Texturveränderung gelartig geworden.

Und am Ende ist alles schön angerichtet. Oder schön wild draufgekleckst auf den Teller. Was wünscht sich der Kochbuch-Autor: Dass der Nachkocher das genauso auch serviert?
Faust: Nee! Null. Mein großer Wunsch ist: Dass das Buch Spaß macht – und dass es Spaß am Kochen bereitet. Und Spaß am Geschmack. Wenn man sich selbst was Gutes tun will oder Freunde zu Gast hat – da soll das Buch ein ganz simpler Leitfaden sein. Die meisten Rezepte sind ja auch innerhalb von 30 Minuten gemacht. Weil die Produkte fertig aus dem Supermarkt kommen. Feldsalat mit Shrimps, Mango und Rettich – da kaufst du Krabbensalat und mixt ihn mit Dressing. Klar, großer Aufschrei, ist ein Fertigprodukt. Aber trotzdem kann man was Geiles zum Essen daraus zaubern. Und wer Zeit hat und will, kocht sich die Gemüsebrühe selber.
Benedikt FaustDer Koch und Gastronom, Jahrgang 1978, begann seine Karriere mit einer Ausbildung im "Weinhaus Anker" in seiner Geburtsstadt Marktheidenfeld. Seit 1996 arbeitete Faust in verschiedenen erstklassigen Restaurants wie den Schweizer Stuben in Wertheim-Bettingen. Zu seinen Lehrern zählte Molekularküchen-Vertreter Juan Amador und der Würzburger Sternekoch Bernhard Reiser. Im "L´étable" in Bad Hersfeld erkocht er 2007 - mit 29 Jahren - den ersten Michelin-Stern und bestätigte ihn im Hotel "Hanseatic" auf Rügen ab 2011. Von 2013 bis Ende 2019 war Benedikt Faust Küchenchef des "Kuno 1408" im Würzburger Hotel Rebstock. Auch dort wurde er - für eine minimialistische Speisekarte mit "rekonstruierten" fränkischen Gerichten - vom Guide Michelin mit Stern ausgezeichnet. Gerade bereitet der 42-Jährige in Würzburg ein neues Gastro-Konzept vor. Und seit 2017 kocht er wöchentlich bei Pro7 in "Galileo". Das Buch: "Sterneküche kann jeder! Exzellent kochen ohne Schnickschnack", Gräfe und Unzer München, 190 Seiten, 22 Euro nat