Dass ein unterfränkischer Landrat in die Talkshow von Markus Lanz eingeladen wird, kommt nicht alle Tage vor. Jens Marco Scherf, der grüne Kreischef von Miltenberg, nutzte jetzt die Chance, um am Dienstagabend vor einem Millionenpublikum im ZDF die vielfältigen Probleme anzusprechen, die sich Kommunen durch die wachsende Zahl an Geflüchteten stellen.
Scherf hatte zuletzt schon für Schlagzeilen gesorgt, als er - als Grünen-Politiker - die angespannte Lage im Kreis Miltenberg in einem offenen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) thematisierte. Nach der Lanz-Sendung nun gab es neuen Gesprächsstoff, weil Scherf dort die umstrittenen "Pascha"-Äußerungen von Friedrich Merz bestätigte.
Miltenberger Landrat: Frauen haben Angst, allein zum Elternsprechtag zu kommen
Der CDU-Chef hatte in der Debatte um die Krawalle in der Berliner Silvesternacht Jungen aus Migrantenfamilien als "kleine Paschas" bezeichnet. Scherf sagte im ZDF, er werde das "P-Wort" nicht in den Mund nehmen, weil er erkannt habe, welches "Verhetzungspotenzial" es hat. Wenn er aber in die Kindergärten und Schulen in seinem Landkreis schaue, so der Landrat weiter, erlebe er Verhaltensweisen, die "mit dem P-Wort eigentlich noch verniedlichend umschrieben" seien.

Konkret berichtete der Grünen-Politiker und frühere Mittelschulrektor, dass männliche Migranten Lehrerinnen nicht ernst nähmen oder ihren Frauen nicht erlaubten, allein zum Elternsprechtag zu kommen. Junge Frauen in der Berufsschule hätten Angst davor, sich zu bestimmten Themen offen im Unterricht zu äußern, so Scherf. Weil ihre Klassenkameraden dies der Verwandtschaft dann weitererzählen könnten und sie Probleme in der Familie bekämen.
Auf Lanz' Nachfrage erzählte Scherf von einem Vorfall in einer Berufsschule. Im Zuge eines Begegnungsprojekts hätten muslimische junge Männer den Frauen und Mädchen in der Klasse verboten, mit Juden zu sprechen. Das hätte "negative Konsequenzen". Der Moderator zeigte sich erschüttert: "Wahnsinn!"

Die Resonanz sei "überwiegend positiv ausgefallen", resümierte Jens Marco Scherf am Tag nach der Sendung. "Hunderte Mails und Nachrichten" hätten ihn erreicht, vor allem auch aus der pädagogischen Praxis. Lehrerinnen und Lehrer, Erzieherinnen und Erzieher aus ganz Deutschland hätten geschrieben, er habe ihnen "aus dem Herzen" gesprochen, weil er sachlich und unaufgeregt das Frauenbild vieler muslimisch-arabisch geprägter Männer thematisiert habe.
Kapazitätsgrenzen: Jede Woche kommen 30 bis 40 neue Geflüchtete
Scherf sagte in der Talkshow, Migration und Integration in Miltenberg seien durchaus eine "Erfolgsgeschichte". Mittlerweile gingen in seinem Landkreis aber die Kapazitäten aus, die wöchentlich 30 bis 40 neuen Geflüchteten menschenwürdig unterzubringen, sie gesundheitlich zu versorgen und in Kindertagesstätten und Schulen zu betreuen. Es komme vor, dass Sechsjährige kein Deutsch sprächen, so Scherf. Um hier Abhilfe zu schaffen, brauche es neben den personellen vor allem auch finanzielle Ressourcen. Bund und Länder seien hier gemeinsam gefordert.

Auch für diese Forderungen habe es viel Unterstützung gegeben, auch von grünen Parteifreunden. Die Bereitschaft, sich die Probleme vor Ort anzuhören, habe zuletzt deutlich zugenommen, so der Landrat am Mittwoch. Insofern sei es richtig gewesen, zunächst mit dem Brief und jetzt auch im Fernsehen die Öffentlichkeit zu suchen. Das Thema, sagt Scherf, sei nun endlich auf der politischen Tagesordnung in München und Berlin angekommen.
Für politischen Sprengstoff zumindest in seiner Partei könnte führen, dass Scherf in der TV-Diskussion, an der sich auch die CDU-Migrationsexpertin Serap Güler und die Schriftstellerin Juli Zeh beteiligten, bekannte, er könne sich notfalls auch einen Zaun um die Europäische Union vorstellen, um den Zuzug von Migrantinnen und Migranten zu regulieren. In Transitzentren an den Grenzen sollte dann zeitnah entschieden werden, wer berechtigt ist, nach Europa zu kommen. Das erste Echo in Reihen der Grünen falle "geteilt" aus, so Scherf am Mittwoch.