Das zweite Gefecht beginnt nach dem Applaus, ohne Kostüm. Zwischen Till Brinkmann, eben noch Oberwachtmeister Dimpfelmoser, und Hotzenplotz-Darsteller Stephan A. Tölle geht es beim Mittagessen weder um Räuber, noch um das Theater, sondern um Fußball: Die beiden beschäftigt die Frage, ob der FC Köln oder St. Pauli besser Fußball spielt.
Die Stimmung nach der Vormittagsvorstellung ist gelöst, die Schauspieler sitzen auf Bierbänken auf einer Wiese unterhalb der Scherenburg und reden über das Essen, gemeinsame Freunde und ihre Pläne fürs Wochenende. Brinkmann, der eigentlich in Köln lebt, bleibt jedenfalls in Gemünden, in seiner Ferienwohnung. Er wird am Wochenende gleich zweimal auf der Bühne stehen: Als Dimpfelmoser ist er auf Räuberfang, und als Randall McMurphy in Dale Wassermanns Drama „Einer flog über das Kuckucksnest“ ist er selbst eingesperrt in einer psychiatrischen Anstalt.
Dabei ist der größte Stress während der Vorstellungswochen schon vorbei, erzählt Brinkmann später, während er sich auf einer Bank im Schatten der Bäume vor der Burgruine ausruht. Die rund vier Wochen dauernden Proben seien viel anstrengender: mittags der „Hotzenplotz“, abends „Einer flog über das Kuckucksnest“ – mit einer Truppe, in der professionelle und Laienschauspieler gleichberechtigt zusammenarbeiten. Oft hätten sie improvisiert, erzählt Brinkmann, die Laienschauspieler hätten schließlich alle noch einen Beruf. „Es gab Proben, in denen fünf Rollen abgelesen wurden, weil so wenige Mitspieler Zeit hatten.“ Deshalb sei es besonders „erstaunlich“, was auf der Burg immer wieder entstehe.
„Einmal den Adam zu spielen, das ist schon was.“
Till Brinkmann über seine erste Rolle in Gemünden
Brinkmann arbeitet als freier Schauspieler in Köln. 2003 war er für eine Theater-Performance von Jürgen Wolf schon einmal in Eibelstadt (Lkr. Würzburg). Als Scherenburg-Intendant und Regisseur Horst Gurski 2010 eine Besetzung für den Richter Adam in Heinrich von Kleists „Zerbrochenem Krug“ suchte, kam Brinkmanns Name ins Spiel. Über Gurskis Angebot habe er damals nicht lange nachdenken müssen, sagt er: „Einmal den Adam zu spielen, das ist schon was!“
Brinkmann, der mit seiner Glatze und der leicht untersetzen Statur recht markant wirkt, ist zwar nicht auf Bösewichte und schräge Gestalten festgelegt. Den Zeus hat er in den vergangenen Jahren gespielt, in Gemünden war er schon als „Blues Brother“ Jake zu sehen. Für den Typ „jugendlicher Liebhaber“ kann er sich aber auch nicht begeistern, sagt er: „Das ist doch langweilig“. Er suche lieber die Abgründe, „das Doppelbödige“ in jeder Figur.
Wie er das macht? „Meistens arbeite ich sehr eng mit dem Regisseur zusammen“, sagt er: „Der ist der erste Zuschauer.“ Für Gurski hat Brinkmann nur lobende Worte übrig. Besonders seine Entscheidung, mit „Einer flog über das Kuckucksnest“ 2012 einen eher schweren Stoff zu zeigen, findet er mutig: „Der kann was, der Horst!“
Als Schauspieler sei es dann wichtig, den Charakter einer Figur herauszufinden: „Warum macht der das?“, „Wie sagt er das?“ sind Fragen, die Brinkmann sich auf der Bühne immer wieder stellt. „Dann kommt man in die Psychologie rein.“ Texte lernen findet er dagegen nur begrenzt sinnvoll. Kommunikation entstehe im konkreten Spiel: „Die Situation erst bringt den Text hervor“, nennt er das.
Brinkmann hat an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart studiert: Er spricht langsam, schlüpft nur selten spontan in eine Rolle und redet sehr abstrakt von den Figuren. Nur auf der Bühne identifiziert er sich ganz mit seinen Rollen. Nach dem Applaus ist er Till Brinkmann, der Schauspieler. Bis zum 15. August ist er noch in Gemünden. Nach der letzten Vorstellung kehrt er zurück zu seiner Frau und seinen Kindern nach Köln, wo schon die nächsten Projekte auf ihn warten.
Nach dem Mittagessen haben sich Brinkmann und Tölle noch vorgenommen, einmal gemeinsam zu einem Fußballspiel fahren. „Nur auf den Fanblock müssen wir uns noch einigen“, sagt Brinkmann, der FC-Fan.