Das Fazit der jüngsten Stiftung-Warentest-Studie ist vernichtend: Demnach sind zwei Drittel aller Naturheilverfahren wirkungslos. Besonders schlecht kommt die Homöopathie weg. Ihre Wirksamkeit sei so schwach, dass sie sich von Placebo-Effekten kaum unterscheide. Ein Gespräch mit Therese Luise Wesemann, die sich in ihrer Apotheke in Gössenheim auf Naturheilverfahren spezialisiert hat:
Frage: Sie haben das Buch von Stiftung Warentest gelesen. Ihre Meinung dazu?
Wesemann: Schuster, bleib' bei Deinen Leisten, hab' ich mir gedacht. Das Gute an dem Buch ist, dass die Methoden ausführlich dargestellt sind. Kritisch sehe ich allerdings die durchweg negative Bewertung der Naturheilverfahren. Der Mensch ist keine Waschmaschine, in die man etwas hineinsteckt und gleich wird er gesund, sondern ein lebendiges System, das in Veränderung ist.
Was hätte die Autorin anders machen sollen?
Wesemann: Sie fährt sehr eingleisig. Nur etwas schlecht zu machen, ist kein gangbarer Weg. Eine Methode gut erklären, das Pro und Kontra bringen, dann kann sich jeder seine eigene Meinung bilden - das würde ich erwarten.
Aber es geht hier doch nicht um Meinungen, sondern darum, dass die Wirkung von Naturheilverfahren nicht nachweisbar ist!
Wesemann: Die Wirkungen eines Präparates kann kein Mensch voraussehen. Wenn Schulmediziner die Verträglichkeit und Wirksamkeit von Medikamenten testen, kommt es vor, dass diese trotz umfangreicher Tests nach kurzer Zeit wieder vom Markt genommen werden, weil die Nebenwirkungen so gravierend sind. Heilung ist eine individuelle Sache, da gibt es keine klassischen Regeln.
Wo setzen Sie Homöopathie ein?
Wesemann: Bei Erkältungen, Infekten, Blasenentzündungen - bei Alltagskrankheiten, die wir alle im Laufe unseres Lebens durchmachen. Im akuten Bereich wird der Körper mit dieser natürlichen Kraft oft gesund. Chronische und seelische Erkrankungen sollte man allerdings in die Hand eines Therapeuten geben. Denn durch "falsche" Homöopathie kann man vieles verschlechtern.
Hilft Homöopathie bei chronischen Erkrankungen?
Wesemann: Dort ist eine Heilung grundsätzlich schwierig, wobei man mit Naturheilmitteln Linderung erreichen kann. Meistens geht es darum, das Befinden zu verbessern. Und das ist entscheidend: Wenn man mit einem unschädlichen Mittel die Lebensqualität verbessern kann, dann ist viel gewonnen!
Raten Sie immer zu homöopathischen Mitteln?
Wesemann: Nein. Der verantwortungsvolle Umgang mit der Homöopathie in der Apotheke beinhaltet auch, dass wir manchmal davon abraten, sie einzusetzen. Man muss mit Augenmaß vorgehen. Ich bin weder ein Feind der Schulmedizin noch des Antibiotikums - wenn das Immunsystem es nicht anders schafft.
Ihr Gegenbeispiel dafür, dass Homöopathie doch wirkt . . .
Wesemann: Ich habe vor Jahren einen Fall erlebt, bei dem jemand, der seinen Alkoholmissbrauch bekämpfen wollte, bei mir ein Mittel gekauft hat, das auch gegen Hexenschuss wirkt. Fünf Minuten später war er ganz krumm und hatte tatsächlich einen Hexenschuss. Das war für mich ein Aha-Erlebnis. Genau so ist Samuel Hahnemann, der Begründer der Homöopathie, vorgegangen: Er hat gesunden Menschen Substanzen verabreicht und beobachtet, welche Symptome sie entwickeln. Daher kommt der homöopathische Grundsatz, Gleiches mit Gleichem zu heilen. Homöopathie kann stark sein und ist keine Larifari-Methode, die jeder in Selbstmedikation einfach mal ausprobieren kann.
Was ist das Besondere an der Homöopathie?
Wesemann: Die Ausgangssubstanz einer Pflanze beinhaltet eine heilende Information für den Menschen. Interessant bei Hahnemann ist, dass er die stoffliche Komponente herausgenommen hat und trotzdem Heilerfolge erzielt. Also muss ja irgendetwas Nicht-Stoffliches bleiben, was in den homöopathischen Tropfen enthalten ist. Die Pflanze muss die "Gabe" haben, außer ihrer stofflichen Komponente eine Information abzugeben - sonst würde Homöopathie nicht funktionieren.
Auch hier sagt Stiftung Warentest, dass die Wirkung nicht nachgewiesen werden kann.
Wesemann: Es ist eine Tatsache, dass im homöopathischen Mittel ab der Verdünnungsstufe D 23 mathematisch-physikalisch kein Wirkstoff mehr nachgewiesen werden kann - und trotzdem funktioniert es! Weshalb wirkt der "Tropfen im Ozean" dennoch? - Darüber muss man sich Gedanken machen!
Stichwort Bachblütentherapie. Was muss man sich darunter vorstellen?
Wesemann: Bachblüten heißen nicht so, weil die Blüten am Bach wachsen (sie lacht). Dahinter steht ein renommierter homöopathischer Arzt aus England, Dr. Edward Bach. Er hatte die Vorstellung, dass gegen jede Alltagskrankheit ein Kraut gewachsen sein muss. Er hat einzelne Blüten in Felsquellwasser gelegt und mit Lichtenergie behandelt, die Blüte dann wieder herausgenommen und das, was übrig geblieben ist, mit Brandy konserviert. Auch hier lässt sich wissenschaftlich kein Wirkstoff nachweisen, und doch gibt es einen Effekt.
Wo setzen Sie Bachblüten ein?
Wesemann: Vor allem Kinder können wir wieder in ihr Gleichgewicht bringen. Diese Hilfe ist absolut unschädlich. Wir verwenden Bachblüten bei Schulstress, bei traurigen, unruhigen, ängstlichen, nervösen Kindern und natürlich auch bei Erwachsenen.
Der Vorwurf, dass Homöopathie von Placebo-Effekten nicht zu unterscheiden ist, bleibt aber.
Wesemann: Dieses Phänomen kennt die Schulmedizin auch. Es muss dann eine andere Kraft wirken: vielleicht der Glaube des Patienten an das Mittel oder der Wille des Therapeuten. Im Endeffekt spielt doch gar keine Rolle, was heilt. Hauptsache, es hilft! Letzten Endes zählt nur das Ergebnis.
Zur Person
Therese Luise Wesemann
Seit 1986 betreibt Therese Luise Wesemann die Burg-Apotheke in Gössenheim. Die 56-Jährige hat sich auf Homöopathie spezialisiert, ist ausgebildete Tierheilpraktikerin und hat die Heilpraktiker-Schule absolviert. Unter dem Begriff "Burg-Gesundheits-Forum" firmie- ren neben der Apotheke das Ra- dionik-Zentrum Mainfranken, die Naturheilpraxis Franz sowie das Seminarhaus Heßdorf.