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Lohr: Justiz an den Nagel gehängt: Lohrs ehemaliges Schneewittchen coacht jetzt Frauen

Lohr

Justiz an den Nagel gehängt: Lohrs ehemaliges Schneewittchen coacht jetzt Frauen

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    Ein starker Auftritt: Verena Siegler auf der Bühne. Dazu will die 38-Jährige auch anderen Frauen verhelfen.
    Ein starker Auftritt: Verena Siegler auf der Bühne. Dazu will die 38-Jährige auch anderen Frauen verhelfen. Foto: Justin Bockey

    Als Richterin unterliege sie dem Mäßigungsgebot, hat mal jemand zu ihr gesagt. Das muss ein hohes Tier aus der Justiz gewesen sein, denn zu diesem Zeitpunkt war Verena Siegler selbst schon Richterin. Mäßigen lassen wollte sie sich allerdings nicht. Und so tauschte sie kurzerhand die schwarze Richterrobe gegen den pinken Hosenanzug, ließ die Sicherheit einer Verbeamtung auf Lebenszeit zurück und tut seitdem, das, was ihre Leidenschaft ist: Frauen eine Stimme geben. Oder besser, ihnen helfen, die eigene Stimme zu erheben und selbstbewusst den eigenen Weg zu gehen.

    Verena Siegler ist Speakerin, Coach, Style-Beraterin und eines ist sie nicht: gemäßigt. "Ich habe schon früh gemerkt, dass ich ein großes Talent habe, vor Menschen zu sprechen. Auch wenn ich noch heute mega nervös bin vor einem Auftritt, liebe ich es, auf der Bühne die Menschen zu begeistern, mitzureißen", sagt sie. Wer sich nicht selbst ins rechte Licht rückt, wird übersehen, ist eines ihrer Credos. Und das bringt sie heute auch anderen Frauen bei.

    Märchenwelt und Realität

    Ihr Talent entdeckt Siegler schon als junge Frau. Da ist die gebürtige Lohrerin nämlich das Aushängeschild ihrer Heimatstadt – als Schneewittchen. Die "Haut so weiß wie Schnee, Lippen so rot wie Blut, Haare so schwarz wie Ebenholz" – bei einem Praktikum in der Lohrer Touristinfo sieht dessen Leiterin das Potenzial der jungen Frau. Und Verena Siegler sagt zu. "Ich kann mich noch erinnern, wie ich die vielen Reisegruppen begrüßt habe und die Geschichte erzählt habe, warum das Schneewittchen aus Lohr kommt", sagt die heute 38-Jährige. Das ist rund 20 Jahre her. Messeauftritte, Festwocheneröffnungen, das Reden liegt ihr im Blut.

    Bei der Kostümprobe im Jahr 2008:
Verena Siegler als Schneewittchen der Stadt Lohr.
    Bei der Kostümprobe im Jahr 2008:
Verena Siegler als Schneewittchen der Stadt Lohr. Foto: Thomas Josef Möhler

    Von der Märchenwelt geht es dann aber doch erst mal in die harte Realität. Medizin, BWL – was man halt so studiert. Siegler entscheidet sich nach ihrem Abitur am Lohrer Gymnasium für Jura. "Wenn ich mich für einen Weg entschieden habe, gehe ich immer schon mit Disziplin und Ehrgeiz voran", sagt sie.

    Und so erklimmt sie schnell die Karriereleiter. Staatsanwältin in Heidelberg, Dozentin an der Hochschule in Schwätzingen, dann Richterin in Heidelberg. "Meine wirkliche Leidenschaft war das dennoch nie. Ich dachte mal, Recht hat mit Gerechtigkeit zu tun, aber das ist nicht so", sagt Siegler.

    Auf Sinnsuche

    Nebenbei probiert sie andere Dinge aus und lässt ihrer kreativen Ader freien Lauf. Schon während ihrer Zeit als Dozentin merkt sie, dass sie die Studenten im Hörsaal wirklich erreicht und mitreißen kann – und die freuen sich auf jeden Vortrag – was im Jurastudium nicht ganz alltäglich ist.

    Siegler absolviert drei Speaker-Ausbildungen, macht Rhetorik-Seminare, nimmt Stimmtraining. Auch als Staatsanwältin und Richterin hilft ihr das. Nur die Themen begeistern sie selbst immer weniger. "Diese Negativität im Gerichtssaal, tagein, tagaus, das war einfach nichts für mich." Der große Umbruch kommt mit einem privaten Schicksalsschlag. Mitte 30 hat Verena Siegler eine Fehlgeburt. "Da habe ich angefangen, viel nachzudenken. Was will ich im Leben? Was brauche ich, um glücklich zu sein? Man sucht ja immer im Außen nach dem Glück, dabei können wir es nur in uns selbst finden", sagt sie.

    Es folgt noch ein kurzer Versuch mit der Justiz: eine 50/50-Prozent-Stelle zu übernehmen – die Hälfte als Richterin, die andere Hälfte in einer neuen Selbstständigkeit als Speakerin. Das war in Justizkreisen nicht erwünscht.

    Volles Risiko

    "Alle haben mich für verrückt erklärt, so eine Stelle aufzugeben. Aber als ich mir vorgestellt habe, bis zum Lebensende im Gerichtssaal zu sitzen, musste ich es tun. Wo steht schon geschrieben, dass man immer Jura machen muss, weil man es mal studiert hat?", sagt Siegler. Das war im Juni 2023. Heute, gut ein Jahr später, ist die 38-Jährige überglücklich mit ihrer Entscheidung. "Mein Leben sieht jetzt völlig anders aus. Ich unterrichte Workshops in Unternehmen, spreche auf Kongressen, biete eine eigene Ausbildung und Consulting an."

    Sie tut heute, was sie gut kann: "Ich zeige Frauen, dass man alles schaffen kann, wenn man es möchte. Ich zeige ihnen, wie man für sich einsteht. Wie man wirklich präsent ist und stark und authentisch vor anderen auftritt." Denn das sei leider oft immer noch nicht der Fall, egal, ob es darum gehe, in einem Wirtschaftsunternehmen Karriere zu machen oder öffentliche Auftritte zu absolvieren.

    "Frauen sind in vielen Bereichen immer noch unterrepräsentiert. Und das sind strukturelle Probleme, die gesellschaftlich gewachsen sind", sagt Siegler. Das beginne mit veralteten Glaubenssätzen, wie die, dass Mädchen schön still und brav sein sollen, während Jungs gefördert werden, sich zu behaupten und selbstbewusst raus zu gehen.

    Typische Rollenverteilung

    Und es führe dazu, dass Frauen sich auch heute noch bei vielen Themen zurücknehmen. "Wenn im Unternehmen gefragt wird, wer den Vortrag über ein bestimmtes Thema halten, überlegt die Frau noch lange, traut es sich nicht zu, während der Mann schon Ja ruft. Auch wenn er keine Expertise hat. Die kann man sich ja noch aneignen. Frauen sollten solche Chancen auch einfach ergreifen", sagt Siegler. Dabei hilft sie. Denn oft stünden Selbstzweifel und Perfektionismus im Weg. "Frauen denken oft, was andere über sie denken. Ob sie gut aussehen, dass sie sich ja nicht versprechen. Manche lernen dann den Vortrag auswendig. Das macht's nicht besser. Aber man kann daran arbeiten und selbstbewusstes Auftreten lernen", sagt Siegler.

    Sie hat in ihrem neuen Leben als Speakerin und Coach inzwischen mehrere Standbeine. In Unternehmen gibt sie Workshops, auch speziell für Frauen, um selbstbewusst sichtbar zu werden. "Viele große Unternehmen haben sich Female Empowerment und Diversity auf die Fahnen geschrieben. Arbeiten mit Frauennetzwerken. In mittelständischen Unternehmen ist das leider noch nicht so angekommen", so Siegler.

    Als Speakerin auf Kongressen

    In ihrer eigenen Ausbildung trainiert Siegler in Wiesloch bei Heidelberg, wo sie auch mit ihrem Mann wohnt, als Coach Gruppen oder Einzelpersonen in freiem authentischen Sprechen. "Das kann für die klassische Bühne sein oder auch für Social Media", erklärt sie. Ihre Teilnehmerinnen sind ganz unterschiedlich: Von der jungen Selbstständigen, die Angst hat, vor der Kamera zu sprechen, aber Marketing auf Social Media betreiben möchte, über die Angestellte, die ihre Kundenpräsentationen attraktiver gestalten will, bis zur gestandenen Unternehmerin, die ihr Wissen auf der Bühne teilen will.

    Sieglers drittes Standbein sind ihre eigenen Speaker-Auftritte. Schon die Justiz sei eine Männerdomäne gewesen – die Speaker-Szene sei es ebenfalls. "Hier sind Frauen auch deutlich unterrepräsentiert. Ich will sie ermutigen, die Bühnen zu erklimmen", sagt sie. Ihre Themen: ganz unterschiedlich, je nach Anlass und Auftraggeber. Beim Immo-Kongress spricht sie darüber, wie man sich als Immobilienmakler mit Public Speaking eine eigene Marke aufbauen kann. Beim Online-Marketing-Kongress redet sie über den perfekten Bühnenauftritt für Marketing-Strategen.

    Nichts bereut

    Das mache nicht nur deutlich mehr Spaß, als im Gerichtssaal die Urteile zu sprechen, sondern sei inzwischen sogar auch lukrativer. "Natürlich ist die Selbstständigkeit eine Wachstumsreise. Aber ich habe sogar schon mal in einem Monat das Jahresgehalt einer Richterin verdient", so Siegler. In Zukunft will sie sich noch mehr auf ihre Tätigkeit als Speakerin konzentrieren und Unternehmen besuchen. Ihre Ausbildung werde es trotzdem weiterhin geben – für alle Frauen, die mehr möchten in ihrem Leben.

    Zur Person: Verena Siegler Verena Siegler stammt aus Lohr und absolvierte hier ihr Abitur. Durch ein Praktikum in der Lohrer Touristinfo, wo sie auch eine Facharbeit über den Tourismusstandort Lohr schrieb, wurde sie als Schneewittchen entdeckt - eine Rolle, die sie als junge Jurastudentin einige Jahre mit Leidenschaft spielte. Das Jurastudium meisterte Siegler in Würzburg, wo sie anschließend auch promovierte. Nach einem Referendariat in Frankfurt ging sie zum Landgericht Heilbronn, wo sie zunächst zwei Jahre im Schwurgericht und in der Zivilkammer arbeitete, bevor sie für weitere zwei Jahre als Staatsanwältin im Bereich Betäubungsmittel und Organisierte Kriminalität in Heidelberg im Einsatz war. Nach weiteren vier Jahren als Dozentin für Jura an der Hochschule in Schwätzingen wechselte Siegler für eineinhalb Jahre als Richterin zum Amtsgericht Heidelberg. Der Justiz den Rücken gekehrt hat sie im vergangenen Jahr. Im Juni 2023 machte sich Siegler selbstständig als Speakerin. Seitdem tritt sie auf Kongressen und bei Events auf, hat eine eigene Consulting-Firma gegründet und bietet eine Ausbildung an, mit der sie anderen Frauen zu einem selbstbewussten, authentischen Auftritt auf der Bühne oder im Berufsleben verhelfen will. bil bil

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