„Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.“ Anlässlich des Todes des früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker vor ein paar Wochen wurde dieser Satz wieder oft zitiert.
Freilich war für viele der 8. Mai 1945 auch ein Tag der Niederlage, einer persönlichen Niederlage, hatte man doch den nationalsozialistischen Herrschern und ihrer Propaganda geglaubt. Heuer jährt sich das Ende des Weltkrieges zum 70. Mal. Anlass für die Redaktion, auf die letzten Kriegswochen in unserer Heimat zurückzublicken und auf die Schrecken jener Tage.
Für Februar 1945 schreibt Pfarrer Josef Ruf in die Pfarrchronik: „Deutsche Offensive im Elsass bricht zusammen. Ständiger Luftalarm, der häufig den ganzen Tag dauert. Die wichtigsten zum Leben notwendigen Dinge werden in den Keller gebracht. Kein regelmäßiger Gottesdienst an Sonntagen. Hauptgottesdienst meist um 7 Uhr früh. Der Nachmittagsgottesdienst fällt meistens aus. Die Postverbindung mit den Soldaten hört auf. Die Truppen der gegen Deutschland kämpfenden Heere überschreiten den Rhein. Berlin in Gefahr. Die deutschen Machthaber predigen in vollen Tönen den Hass und wollen ihn als letzte Waffe alarmieren.“
„In jedem Haus ist Einquartierung. Die Soldaten bitten um Verpflegung. Sie sind kriegsmüde. “
Notizen von Pfarrer Josef Ruf in der Pfarrchronik Ende März 1945
Die Nationalsozialisten hatten den Volkstrauertag übernommen und als staatlichen Feiertag festgelegt. Allerdings stand im Mittelpunkt nicht mehr das Totengedenken, sondern eine „Heldenverehrung“. Deswegen hieß er nun auch „Heldengedenktag“. Der „Heldengedenktag“ am 11. März 1945 war der letzte nationalsozialistische Feiertag, der in Marktheidenfeld begangen wurde. Am 16. März 1945 legten englische Flugzeuge das alte Würzburg in Schutt und Asche, etwa 4500 Menschen kamen zu Tode, etwa 80 Prozent der Bausubstanz in der Innenstadt werden zerstört.
Von Marktheidenfeld aus sah man den Himmel über Würzburg hell erleuchtet, das Aufblitzen der Einschläge ging darin unter.
Ende März rückten dann schon amerikanische Truppen von Westen her gegen den „Gau Mainfranken“ vor. Marktheidenfeld sollte verteidigt werden, hatte es doch wegen seiner Brücke, über die die Reichsstraße 8 verlief, strategische Bedeutung. Vom 25. bis 27. März hatten starke Truppenbewegungen stattgefunden, an der Lengfurter Straße wurden Stellungen ausgehoben. Pfarrer Josef Ruf notiert: „In jedem Haus ist Einquartierung. Die Soldaten bitten um Verpflegung. Sie sind kriegsmüde. In ihren Gesprächen machen sie keinen Hehl daraus, dass sie von der Sinn- und Nutzlosigkeit der Weiterführung des Krieges überzeugt sind.“
Am Spätnachmittag des 30. März griffen amerikanische „Mustang“-Flugzeuge Ziele bei Marktheidenfeld an, vier Phosphorbomben fielen an der Straße Marktheidenfeld – Erlenbach ins freie Feld. In Marktheidenfeld kam es zu Stromausfällen, weil ein Umspannwerk getroffen wurde. Am 31. März erreichten amerikanische Truppen Wertheim und Tauberbischofsheim und stießen über Roßbrunn nach Würzburg vor. Am 1. April hatten sich die amerikanischen Panzerspitzen Marktheidenfeld durch den Spessart bis auf etwa zwölf Kilometer genähert.
Am 26. März 1945 wurde gegen 20.30 Uhr der aus Wien stammende Unteroffizier Franz Tippmann, 25 Jahre alt, von HJ-Bannführer Steinel wegen „Fahnenflucht“ erschossen, vermutlich im Hof der damaligen Berufsschule (Obertorschule, Brückenstraße 2). Die genauen Umstände sind bis heute unklar.
Zur „Aufrechterhaltung der militärischen Disziplin“ gab es seit Anfang 1945 neben den regulären Feldkriegsgerichten sogenannte fliegende Standgerichte. Auf das Konto des fanatischen fliegenden Standgerichts des Majors Helm geht die Erschießung zweier deutscher Soldaten als Deserteure auf dem Altstadtfriedhof an der Friedhofsmauer rechts neben der Aussegnungshalle am Ostersonntag, 1. April 1945. Einer der Soldaten hieß Gottlieb Speidel, der andere ist unbekannt geblieben. Winfried Ludwig schrieb in sein Tagebuch: „Der eine Soldat war Vater von sechs Kindern. Ganz M?feld ist empört über diese scheußliche Tat.“
Am Ostersonntag-Nachmittag wurde auf Veranlassung des Kreisleiters Max Sorg und des Kampfkommandanten von Marktheidenfeld, Major Leonhard Müller, der Saarländer Oswin Lang an der unmittelbaren Auffahrt zur Mainbrücke von der Marktheidenfelder Seite an einem Telegrafenmast unter Beteiligung der Öffentlichkeit erhängt. Lang war gerade einmal 19 Jahre alt, Unterscharführer der Waffen-SS und im Zivilberuf Bergmann. Einige Dutzend Personen sollen aus einiger Entfernung zugesehen haben, einige wurden veranlasst, aktiv mitzutun beim Befestigen des Stricks und bei der Herbeischaffung eines Tisches.
„Der eine Soldat war Vater von sechs Kindern. Ganz M?feld ist empört über diese scheußliche Tat.“
Aus dem Tagebuch von Winfried Ludwig
Der damalige Berufsschuldirektor Pröls beschriftete ein Schild mit den Worten „Plünderer und Deserteur“ und befestigte es später am Leichnam. Als apathisch, stark sehbehindert und nervenkrank beschrieben, war Lang eigentlich Kriegsinvalide.
Die Erhängung fand gegen 16.30 Uhr statt. Rita Baumann erinnert sich: „Totengräber Johann Baunach holte mit einem zweirädrigen Karren den hingerichteten und bereits abgeschnittenen Soldaten (er lag mehrere Stunden im Graben) ab und beerdigte ihn mit den beiden anderen (an der Friedhofsmauer erschossenen Soldaten) im alten Friedhof.“ Die vier hingerichteten Soldaten wurden später auf dem Ehrenfriedhof in Gemünden bestattet.
In Marktheidenfeld erinnert eine Gedenktafel auf dem Altstadtfriedhof an die vier Opfer. Diese Tafel hat 1985 der Historische Verein Marktheidenfeld und Umgebung anbringen lassen. Sie trägt die Inschrift: „Dem Krieg entfliehend, fanden vier Männer einen gewaltsamen Tod. Ostern 1945“. Der vier Soldaten wird auch am Mahnmal am Mainberg gedacht.
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