Dieser ganz besondere Geruch nach Leder und Klebstoff, diese düstere Werkstatt in der Gasse hinterm Kübelmarkt mit der aufflackernden Glühbirne - ein Teil meiner Kindheitserinnerungen an Karlstadt, fast wie in dem Kinderreim: Im Keller ist es duster, da haust ein alter Schuster.
Bernhard Münch
Auch Schuhmachermeister Bernhard Münch erinnert sich gern an seine Werkstatt, schließlich hat er über 50 Jahre als Schuhmacher gearbeitet. Als 15-Jähriger hatte der heute 81-jährige Heßlarer die Lehre in Würzburg begonnen. Später arbeitete er in Thüngen und bei Schuhmachermeister Metz in Karlstadt, bis er schließlich eine eigene Werkstatt übernahm. Dort reparierte er und fertigte auch Schuhe an.
An zwei Paare erinnert er sich besonders gern: "Einmal habe ich ein Paar Hochzeitsschuhe gefertigt, die mussten schnell fertig werden, fast hätte ich es nicht mehr geschafft." Das zweite Paar waren schwere Skistiefel. Die Fertigung war für Münch eine ganz besondere Herausforderung, und dass der Kunde damals mit den Stiefeln zufrieden war, freut ihn heute noch.
Ansonsten hat Münch viele Schuhe und Taschen repariert mit seiner alten Nähmaschine und viele orthopädische Schuhe gefertigt. Besonders am Herzen lag ihm aber die Ausbildung der jungen Leute in der Werkstatt und auch an der Berufschule: "Mit den Jungen, da bin ich gut zurecht gekommen, die hab ich zu nehmen gewusst." Bei dieser Erinnerung gleitet ein Lächeln über Münchs Gesicht.
Armin Michler
Auch Orthopädieschuhmacher Armin Michler erinnert sich gerne an seine Berufsjahre in Karlstadt, und so ganz hat ihn das Schuhmacherhandwerk auch nicht losgelassen: Im Dachboden seines Hauses hat er eine kleine, aber feine Werkstatt eingerichtet.
In der stehen neben alten Nähmaschinen - eine ist wunderschön Ferrari-rot und original aus den 50er Jahren - und historischen Werkzeugen auch noch ein paar Kuriositäten, so zum Beispiel eine Schmuckschatulle in Pumpsform oder besonders schöne alte Damenschuhe. "Die Schmuckschatulle hat mir mein alter Chef gefertigt, und das Geheimnis, wie er den Leisten herausbekommen hat, hat er mit ins Grab genommen."
Michler liebt seine kleine Werkstatt. Noch heute fertigt er für seine Frau und die Enkelkinder in seinem Refugium Hausschuhe an, und natürlich repariert er alle Schuhe der Familie selbst. Manchmal gestaltet er auch ein Paar alte Schuhe um, aus einem handgefertigten Paar Männerschuhe mit einer spitzer Schuhspitze hat er erst neulich ein Paar mit runder Spitze gemacht - natürlich handgenäht. "Früher haben wir teilweise noch Schweinsborsten zum Vernähen verwendet, später waren die Ahlen dann aus Stahl."
An einen Kunden erinnert sich Michler besonders gern: "Als ich noch in der Werkstatt von Metz gearbeitet habe, kam immer der damalige Chef vom Zementwerk vorbei. Das war ein richtiger Dandy, der ließ sich immer schwarzweiße Schuhe fertigen." Michler war damals beim Schuhmacher Metz der Nachfolger von Münch. Später arbeitete er dann für die Lohrer Firma Ott in Karlstadt in der Neuen Bahnhofstraße. Dort hatte er manchmal so viel zu tun, dass neben einer "Empfangsdame" zeitweise noch seine Frau mithelfen musste.
Dass die Leute heute meist nicht mehr viel Wert auf gute Schuhe legen, findet Armin Michler bedauerlich, er selbst würde nie billige Schuhe tragen. Für das Schuhmacherhandwerk im herkömmlichen Sinn werde es wohl irgendwann aus sein: "Allein vom Schuhmacherhandwerk kann heute keiner mehr leben, man muss schon Orthopädieschuhmacher sein. Fast keiner lässt noch Schuhe mit der Hand anfertigen. Und Reparaturen langen nicht zum Leben. Vor allem sind es seit den 70ern, als Billigschuhe zur Massenware wurden, auch viel weniger Reparaturen geworden."
An Karlstadts Schuhmacher-Hochzeit, mit bis zu acht Schuhmachern und einer eigenen Innung, erinnert er sich gern. "Wir haben uns gut gekannt, da gab es den Rüb, den Weiglein, den Schreiber, den Schmitt, und natürlich den alten Metz und den Schuhmacher Münch, der hat sogar mal ein Gedicht auf die Schuhmacher in Karlstadt verfasst." Das Gedicht und andere Unterlagen über das Handwerk und die Karlstadter Schuhmacher-Innung hat Michler noch zu Hause. Michler hörte 1996 auf, nachdem er bei einem Unfall einen halben Zeigefinger verloren hatte.
Martin Kohlhepp
Sein Nachfolger ist Martin Kohlhepp aus Karlburg, derzeit der einzige Schuhmachermeister in Karlstadt. Seine Werkstatt ist groß und hell, aber der Geruch ist unverkennbar. Kohlhepp schaut den Leuten zuerst auf die Füße. Auch ich muss beim Besuch für diesen Bericht erst mal meine Schuhe ausziehen, und dann werden sie misstrauisch beäugt. Kohlhepps Fazit: "Gar nicht so schlecht, sogar mit Fußbett, dafür ist das Futtermaterial aber aus Synthetik." Dann lächelt er über sein Interesse: "Berufskrankheit!"
Kohlhepp trug als Jugendlicher für den Karlburger Schuhmacher Scherer die reparierten Schuhe aus, so entstand bei ihm die Liebe zu seinem Beruf. Gelernt hat er in Würzburg: "An meinem ersten Lehrtag bin ich gleich umgefallen, der Geruch hat mich einfach umgehauen." In Würzburg lernte er das Handwerk von der Pike auf: "Wir haben viele Maßschuhe gemacht, und bei Schuhen so um die 500 Mark hat uns der Chef erst mal auf die Toilette geschickt zum Händewaschen."
Kohlhepp machte sich als Orthopädieschuhmachermeister und Schuhmachermeister selbständig. Über den Reim vom "Schuster im Keller" lacht er: "Ich bin kein Schuster, der Schuster ist nur der ungelernte Flickschuster, der Schuhe repariert. Schuhmacher ist aber ein Handwerksberuf. Außerdem brauche ich viel Licht und Luft, nicht wie in manchen alten Werkstätten."
"Allein vom Schusterhandwerk kann heute keiner mehr leben."
Armin Michler Orthopädieschuhmachermeister
1999 eröffnete er den Laden in der Karlstadter Siedlung. Auch er ärgert sich ein bisschen über die Wegwerfmentalität der Leute beim Schuhkauf: "Kaum einer trägt heute noch richtig gute Schuhe. So ein Paar Maßschuhe kostet einfach um die 500 Euro, und das ist den meisten zu viel. Und ganz ehrlich, wenn hier jemand mit einem Paar wirklich billigen Schuhen zum Reparieren kommt, dann sag ich auch mal, das sich die Reparatur nicht lohnt."
Dennoch, Reparaturen haben Kohlhepp und seine beiden Mitarbeiter, ein Geselle und ein Lehrling, mehr als genug: "Wir reparieren sehr viele Schuhe, man merkt schon, dass wir die einzigen Schuhmacher am Ort sind. Aber nur von den Reparaturen könnten wir nicht leben, die machen gerade mal fünf bis zehn Prozent vom Umsatz aus. Geld verdienen wir mit den orthopädischen Schuhen."
Von denen fertigt Kohlhepp um die 30 bis 40 Paar im Jahr, zum Teil mit Hilfe hochmoderner Maschinen wie zum Beispiel einer Vakuumpresse, mit der das Leder an den Leisten angepasst wird. Und zwischen all dem High-Tech steht eine uralte Singer-Nähmaschine, mit Fußantrieb! "Die brauche ich für die Reparaturen. Es geht nichts über alte Nähmaschinen." Ein bisschen Sentimentalität in einer modernen Welt.


"Der Schuhmacher im klassischen Sinn stirbt definitiv aus", da ist der 37-jährige Meister sich sicher: "Aber Orthopädieschuhmacher wird es immer geben, und die reparieren nebenbei ja auch Schuhe."