Eine jetzt 18-Jährige aus dem Landkreis Main-Spessart muss vielleicht in Haft, weil sie in der Coronazeit die verpflichtenden Tests nicht machen wollte und deshalb nicht zur Schule konnte. Offiziell galt sie damals als Schulschwänzerin. Ihre Mutter, die der Redaktion mit ihrer Zustimmung die Geschichte erzählt, sagt hingegen: "Sie durfte nicht zur Schule gehen." Man habe ihr die Teilnahme am Unterricht verweigert. Die Tochter, die hier anonym bleiben soll, sei sogar zweimal unter Zeugen zur Schule gegangen und wieder heimgeschickt worden.

Die Sache begann mit Einführung der Corona-Testpflicht an Schulen nach den Osterferien 2021. Es war das vorletzte Schuljahr ihrer Tochter. Warum sie die Tests nicht einfach mitmachte? "Wenn Rechte beschnitten werden, trete ich grundsätzlich dafür ein, dass derjenige sein Recht bekommt. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit steht bei uns über diesen Tests", sagt die Mutter. Es sei nie geklärt worden, ob diese Testpflicht rechtens war. Die Corona-Teststäbchen hätten zudem Gefahrenstoffe enthalten – Experten sahen aber ein vernachlässigbares Risiko. Das Landratsamt sagt, auch ein "Spucktest" sei möglich gewesen. Das bestreitet die Mutter. Ihre Tochter habe außerdem Solidarität mit anderen Jugendlichen zeigen wollen, die bei einem positiven Test an der Schule isoliert und dadurch verängstigt oder gar traumatisiert worden seien.
Schülerin fehlte mehr als ein ganzes Schuljahr
Bis 1. Mai 2022 dauerte die Corona-Testpflicht, sodass ihre Tochter ein Schuljahr nicht zu Ende brachte und auch das folgende fehlte. Für ihre Tochter sei es schlimm gewesen, nicht zur Schule gehen zu können. Digitaler Unterricht war damals nicht mehr angeboten. Nur die Prüfungen mitschreiben, etwa in einem separaten Raum, oder alternative Leistungsnachweise erbringen sei auch nicht gegangen.

Die Mutter versteht auch nicht, warum ihre Tochter im Schuljahr 2021/22, in dem sie ab den Osterferien fehlte, ein Jahreszeugnis ohne Noten bekam, statt für die nicht erbrachten Leistungsnachweise jeweils die Note 6. Vielleicht, meint sie, hätten sie sich einen Anwalt nehmen müssen. "Aus Gründen des Datenschutzes" wollte sich das Kultusministerium auf Anfrage dieser Redaktion nicht zum konkreten Fall äußern. Das Ministerium sagt, dass es für nicht erbrachte Leistungsnachweise die Note 6 gegeben habe, schreibt aber auch, dass Jahreszeugnisse nur Schülerinnen und Schüler erhielten, die bis zum letzten Unterrichtstag des Schuljahres an der Schule seien.
"Meine Tochter hat sich zu keiner Zeit irgendwas zuschulden kommen lassen in der Schule."
Die Mutter der Schülerin
Das Nichterfüllen der Schulpflicht hatte auch rechtliche Folgen: Alle paar Wochen wurde vom Landratsamt ein neuer Ordnungswidrigkeitsbescheid verschickt. Sieben oder acht seien es insgesamt gewesen, so die Mutter. Die sind irgendwann zu einem Verfahren zusammengefasst worden. Rund 750 Euro sollten sie zuletzt zahlen, um die Sache aus der Welt zu räumen. Aber auch das wollten sie nicht. "Meine Tochter hat sich zu keiner Zeit irgendwas zuschulden kommen lassen in der Schule." Und es sei noch von keinem Richter geklärt, ob diese Bußgelder rechtmäßig seien.

Irgendwann sei ein Bescheid vom Gericht gekommen, dass Sozialstunden für die Mutter infrage kämen – sie habe nicht darauf reagiert. Im Februar oder März habe das Amtsgericht Gemünden beschlossen, dass nun die Tochter bis Mai 70 Stunden zu leisten habe. Ihre Tochter hätte das während ihrer Ausbildung mit 7-Tage-Schichtdienst nicht geschafft. Vom Landratsamt habe es geheißen, sie könne die Stunden ja am Wochenende oder im Urlaub ableisten. Allerdings müsse ihre Tochter auch am Wochenende arbeiten und brauche ihren Urlaub zur Erholung. Erzwingungshaft sei die Alternative.
"Bis jetzt hat kein Richter meine Tochter angehört."
Die Mutter der Schülerin
Nicht verhältnismäßig findet das ihre Mutter. "Bis jetzt hat kein Richter meine Tochter angehört", sagt sie. Im November 2022 gab es eine Verhandlung am Amtsgericht Gemünden, zu der aber die Tochter und wegen einer monatelangen schweren Erkrankung mit Krankenhausaufenthalt auch die Mutter nicht erschien. Der später erfolgte Antrag auf einen neuen Verhandlungstermin sei abgelehnt worden.
Der Gemündener Amtsgerichtsdirektor Volker Büchs teilt auf Anfrage zu dem Fall mit, dass gegen den nun infrage kommenden Bußgeldbescheid jedenfalls keine Rechtsmittel eingelegt wurden. Sonst hätte eine Verhandlung stattgefunden. So sei dieser rechtskräftig geworden, und die Geldbuße müsse grundsätzlich bezahlt werden.
Da die Geldbuße nicht bezahlt wurde, sollte die junge Frau Sozialstunden leisten
Weil die Geldbuße nicht gezahlt wurde, beantragte das Landratsamt, stattdessen Arbeitsleistungen gegen die Jugendliche festzusetzen. Nach Ablauf der Stellungnahmefrist erlegte das Gericht im Februar 2024 der Tochter die 70 Stunden gemeinnützige Arbeit auf. Noch vor Ablauf der Frist habe nach Angaben der Mutter die Tochter gesagt: "Ich gehe auf gar keinen Fall ins Gefängnis."
Weil die Stunden nicht abgeleistet wurden, kam es im Juni zu einer Anhörung bei Gericht. "Die Betroffene und ihre gesetzliche Vertreterin waren erschienen und haben darauf hingewiesen, dass die Betroffene zur Schule gegangen ist, allerdings wegen fehlender Coronatests wieder weggeschickt wurde", so der Amtsgerichtsdirektor.
Eine gerichtliche Entscheidung sei nach der Anhörung noch nicht ergangen. Die Akte, so Büchs, befinde sich aktuell bei der Staatsanwaltschaft zur Kenntnisnahme und Möglichkeit zur Stellungnahme. Die Richterin habe sich Bedenkzeit über die Umsetzung der Strafe vorbehalten und werde den Beschluss zusenden, sagt die Mutter. Seither warten sie.
Warum wurde der sorgeberechtigte Vater im Verfahren außen vor gelassen?
Sie teilt mit: "Meine Tochter wird ohne faires Verfahren keine Sozialstunden leisten." Sie finde es ein Unding, dass gegen eine zunächst noch Minderjährige ohne Verfahren eine Strafe in dieser Dimension verhängt werde. Auch findet sie es auch seltsam, dass der ebenfalls sorgeberechtigte Vater im Verfahren völlig außen vor gelassen worden sei und alle Kommunikation über sie gelaufen sei. "Spätestens in der Zeit meiner Krankheit hätte er einbezogen werden müssen, damit meine Tochter ein gerechtes Verfahren bekommt", findet sie.
Amtsgerichtsdirektor Büchs teilt mit, dass die Erziehungsberechtigten nicht zur Teilnahme verpflichtet seien. "In der Regel erfolgt die Ladung nur an ein Elternteil, da dem Jugendrichter die familienrechtliche Situation nicht bekannt ist", so Büchs. Der Jugendrichter könne davon ausgehen, dass auch bei getrenntlebenden Eltern und gemeinsamem Sorgerecht ein Informationsaustausch erfolge.
Rund 500 Bußgeldbescheide wegen Schulverweigerung während Corona in Main-Spessart
In den Jahren 2020 bis 2023 habe das Landratsamt Main-Spessart insgesamt gut 500 Ordnungswidrigkeitsbescheide wegen Schulverweigerung verhängt, teilt die Behörde mit. Das Landratsamt habe für einen Einzelfall nicht mehr als 900 Euro verhängt. "Die ganz überwiegende Mehrzahl der verhängten Geldbußen wurde beglichen", schreibt Pressesprecher Markus Rill.
"Die ganz überwiegende Mehrzahl der verhängten Geldbußen wurde beglichen."
Markus Rill, Pressesprecher des Landratsamts Main-Spessart
In 42 Fällen sei ein Antrag gestellt worden, die Geldbuße in gemeinnützige Arbeit umzuwandeln. In sieben Fällen wurde dieser Antrag wieder zurückgezogen, in elf Fällen wurde die gemeinnützige Arbeit bereits erfüllt. In 24 Fällen sei die gemeinnützige Arbeit entweder noch nicht (vollständig) geleistet oder gegebenenfalls die Stundenzahl noch nicht festgelegt.
Mutter und Tochter warten auf eine Entscheidung des Amtsgerichts Gemünden
Die Belastung, ob ihre Tochter tatsächlich ins Gefängnis müsse, sei groß, sagt die Mutter. Und was würde ihr Ausbildungsbetrieb dazu sagen? Das verloren gegangene Schuljahr habe sie schließlich an einer anderen Schule wiederholt. Dort habe sie tolle Klassenkameraden und einen tollen Lehrer gehabt. "Das letzte gute Schuljahr hat das vorherige etwas aufgewogen", sagt die Mutter. Nur die eigentlich angestrebte Mittlere Reife sei ihrer Tochter verwehrt worden. Diese sei eine freundliche, aufgeschlossene, herzliche junge Frau, "kein Querulant, kein streitsüchtiger Mensch". Und krank gewesen sei sie auch nicht.