Nicht erst seit dem Klimawandel gibt es in unseren Breiten oftmals eine Wetterphase mit recht hohen Temperaturen und stürmischen Winden bis dann die Januarkälte kommt. Unsere Vorfahren hatten dazu bestimmte mystische Vorstellungen. Heidrun Gärtner aus Weibersbrunn ist nicht nur Kräuterführerin im Spessart, sie kennt sich auch mit alten Gebräuchen und deren Hintergründen aus. An der Volkshochschule Lohr gab sie Einblick in manches Geheimnis.
Der Begriff "Zwischen den Jahren" kommt von dem Unterschied des Mondjahres mit 354 und des Sonnenjahres mit 366 Tagen. Diese zwölf Tage vom 24. Dezember bis zum Dreikönigstag am 6. Januar werden als die Rauhnächte bezeichnet. Hier sind nach altem Glauben die Tore zur "Anderswelt" teilweise geöffnet und die Geister können leichter aus der Tiefe kommen, um bei uns ihr Unwesen zu treiben. Die Menschen trafen Vorsorge, erließen Verbote und Gebote, die gerade in den Spessartdörfern heute noch gepflegt werden. Eine davon ist das Räuchern, welches auch wahrscheinlich den Namen Rau(c)hnächte prägte.

Früher waren die Nächte noch stockfinster
Wenn des Nachts stürmische Winde die Bäume schüttelten, Hausgiebel ächzen und Wolkenfetzen am fahlen Mondlicht vorbeifegten, lag den Altvorderen der Gedanke nahe, dass hier übernatürliche Kräfte am Werk sein könnten. Zumal es damals noch echte Dunkelheit gab. Keine Straßenlaterne, kein Schimmer einer Stadt hinter den Hügeln gab etwas Licht ab, es war einfach finster.
Es war, so glaubten die Germanen, die Zeit, in welcher der Göttervater Wotan mit seinem berittenen Gefolge und riesigen Hunden als das "Wilde Heer" über den Himmel zog und auch gelegentlich am Boden für Unheil und Schrecken sorgte. Wer das Pech hatte, dieser Horde draußen zu begegnen, musste ernsthaft um sein Leben fürchten. Besonders gefährdet waren Wegkreuzungen. Deshalb war es geboten, nachts bei geschlossenen Fenstern zuhause zu bleiben. Besonders galt dies für Frauen.
Doch es gab auch andere, gute Geister: Die Göttinnen Freya, Perchta und Hel schützten die Menschen und die Tiere. In unserem Raum ist das die Frau Holle oder Hulda. Die segnende Frau führt die Menschen in die "Anderswelt" – analog zu Goldmarie und Pechmarie. Deshalb stand früher in den meisten Gärten ein Hollunder- oder ein Haselstrauch.
Zur Ruhe kommen und in die Zukunft schauen
Heidrun Gärtner, die Kräuterführern und Kennerin der Bräuche um die Rauhnächte, weiß natürlich auch um die Verquickung von Aberglauben und realem, sinnvollem Hintergrund: Die Zeit zwischen Heilig Abend und Dreikönig sollte den Menschen die Möglichkeit zur Ruhe, zur Erholung geben. Das beweist unter anderem die etwas pikante Forderung, dass nun "die Frau Ruhe vor dem Manne" haben solle. Außerdem waren die Rauhnächte auch Orakelnächte, in denen man mithilfe von Riten, öffnenden Kräutern und Gepflogenheiten einen Blick in die Zukunft zu werfen hoffte. Das heute noch übliche Bleigießen ist ein Beispiel dafür.

Wie schützten sich die Menschen vor den Gefahren durch die Geister in den Rauhnächten? Die Kräuterführerin Gärtner stellte in Lohr mit dem Räuchern eine weitverbreitete Gepflogenheit vor, die in Spessartdörfern heute noch durchgeführt wird. "Alles was wir einatmen, löst etwas in uns aus", sagte sie. Mit dem Räuchern sollen entsprechend der verwendeten Kräuter verschiedene Wirkungen erzielt werden. Mit Wacholder, Beifuß oder Salbei will man böse Dämonen und Krankheitsgeister vertreiben. Gerade der Wacholder galt schon im Mittelalter als desinfizierend und reinigend. Auch Weihrauch wirkt antiseptisch, entzündungshemmend und desinfizierend. Holunderduft hingegen macht gelassen und zuversichtlich.
Dann gibt es noch das Mariengras, auch Süß- oder Venusgras genannt. Das soll euphorisieren, entspannen und Glücksmomente hervorrufen. Der wohltuende Vanilleduft wird auch mit Liebe und Fruchtbarkeit in Verbindung gebracht. In eine ganz andere Richtung führt Styrax, der beim Räuchern einen balsamischen, süß-würzigen Rauch mit einer sinnlichen und verführerischen Note verströmt. In stressigen und hektischen Zeiten wirkt er beruhigend und entspannend. Zirbenholz geht noch einen Schritt weiter, "es öffnet den Menschen nach oben in andere Dimensionen", so Heidrun Gärtner.
Praktisches Räuchern mit verschiedenen Duftproben
Selbstverständlich konnten die zwölf Frauen und drei Männer beim Lohrer Workshop die Aromen und teilweise auch die Wirkungen der verschiedenen Kräuter an einem Räuchergefäß mit eigener Nase erleben. Die Kräuterführerin ist auch eine erfahrene "Räucherin", die das Wissen dazu von der Oma übernommen hat. Sie verwendet ausschließlich selbst geerntete und getrocknete Pflanzen, gut dreißig davon hat sie in den Fächern ihres Kastens. Künstliche Aromen oder Duftstoffe lehnt sie ab.

Was braucht man zum traditionellen Räuchern? Zum einen ein feuerfestes Gefäß aus Ton oder Metall, am besten mit einem Untersatz, weil die Schale schnell heiß wird. Als Zündstoff nimmt sie Schnellzünderkohle. Früher hatte man beim Räuchern des Hauses und des Stalles einfach eine Kohlenschaufel vom Herd genommen. Begonnen wurde stets in der linken, hinteren Ecke des Raums und dann ging es mit Gebeten quer durch. In Gärtners Familie sprach man dazu: "Im Namen der Heiligen Dreifaltigkeit bewahre Gott dieses Haus und seine Bewohner vor allem Bösen!"
Nacheinander gab die Referentin gut ein Dutzend verschiedener Kräuter auf die glühende Kohle in der Schale und ließ diese nach Erklärung der mythischen Bedeutung durch die Reihen gehen. Natürlich war die Wirkung je nach der persönlichen Empfänglichkeit oder der augenblicklichen Stimmung bei der Mitgliedern der Gruppe durchaus unterschiedlich.
Regeln, Sagen und Bräuche zu den Rauhnächten im SpessartZentrale Figur ist neben dem "Wilden Heer" die Frau Holle. In Sagen aus Triefenstein tritt sie als Wohltäterin auf, sie kann aber neben der guten Fee auch eine Angst und Schrecken verbreitende Rachegestalt werden. Dem Volksglauben nach wohnt Frau Holle in Brunnen, Seen, in Bergen, Höhlen oder aber unter Bäumen, die bei Kelten und Germanen als Sitz von Geistern und Göttern galten. In Hasloch wohnt sie im Unteren Berg, wo es den Felsen "Frau Hullenstein" gab. Sie hilft den fleißigen Mädchen und Frauen bei der Hausarbeit, leuchtet nachts den Verirrten. Bei Urphar schwebt die "gute Fraa" über den Fluss und warnt die Schiffer vor Gefahr. Doch treibt sie auch bösen Scherz mit jenen, die ihre Gebote missachten oder ihre Hilfe abweisen oder faul sind. Im gesamten Spessart kannte man Frau Holle auch als "Hullefraache", die den Kindern am Weihnachtsabend Hutzeln (gedörrte Birnen) sowie Äpfel und Nüsse brachte . Bei dieser Gelegenheit trat sie als kleine, alte Frau mit weißer Haube auf.Wenn das "Wilde Heer" durchzieht, darf keine Wäsche aufgehängt werden, sonst verfängt es sich darin und verwendet die Laken als Todestücher. Weitere Gebote lauteten etwa:Das Vieh wurde so lange nicht ausgemistet, es wurde nur Stroh darüber gestreut.In den zwölf Nächten steht das "Rad still", das heißt darf nicht gesponnen werden, es tun dies bloß die Hexen.Wer in dieser Zeit eine Tür laut zuschlägt, hat im Sommer den Blitz zu befürchten.Alles Ackergerät muss unter Dach sein, kein Backgerät oder Holz darf vor dem Ofen liegen bleiben.Wer sein Bett in diesen Tagen im Freien lüftet, bekommt im nächsten Jahr eine schwere Krankheit.Jetzt soll alles, was verliehen wurde, wieder im Hause sein und Geliehenes soll man zurückbringen.Wer in diesen Tagen Nägel oder Haare schneidet, bekommt böse Finger und wird unter Kopfschmerzen leiden.Wer in diesen Tagen am Morgen aufsteht und pfeift, hat Unglück zu erwarten.Jegliche Arbeit ist verboten in den Rauhnächten, sonst fällt der Wolf in die Herde und das Vieh gedeiht nicht.Tiere sprechen in der Christnacht. Wer das hört und weitererzählt, stirbt.Quelle: Reinhard Worschech, Peter Wehner, Heidrun Gärtner