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(LIES): Wenn Leichen nicht mehr verwesen

(LIES)

Wenn Leichen nicht mehr verwesen

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    Obwohl seit Jahrzehnten bekannt, ist das Problem offenbar so brisant, dass der Gemündener Stadtrat nichtöffentlich darüber beraten hat: die unzureichende Verwesung im Friedhof Hofstetten. „Punktuell“ gebe es jetzt auch im Langenprozeltener Friedhof Beanstandungen, berichtete Bürgermeister Thomas Schiebel auf Anfrage der MAIN-POST. Werden Erdbestattungen unmöglich?

    In Langenprozelten ist nun Praxis, was die Hofstettener schon seit jeher kennen: Vor einer Beerdigung begutachten Mitarbeiter des Staatlichen Gesundheitsamts Karlstadt das ausgehobene Grab. Ist Wasser zu sehen, wird die Erdbestattung untersagt. Das Kostenrisiko tragen die Angehörigen. Möglich bleibt dann nur noch die Feuerbestattung mit Urnenbeisetzung; wer auf Erdbestattung besteht, muss einen anderen Friedhof wählen.

    Der Stadtrat hat laut Bürgermeister Schiebel die Verwaltung beauftragt, Lösungsvorschläge für Hofstetten und Langenprozelten zu untersuchen. In Frage kommen wiederverwendbare Grabkammern aus Beton (was in einer Hofstettener Bürgerversammlung strikt abgelehnt wurde), Drainagen, Bodenaustausch und -auffüllung. Mancherorts behelfen sich die Gemeinden mit so genannten Grabhüllen – Gewebe, mit dem die Särge umhüllt werden.

    Probleme in vielen Gebieten

    Über die Hälfte aller deutschen Friedhöfe sind nach Schätzungen für Erdbestattungen ungeeignet. Ernst Michler, der Sachbearbeiter im Rathaus Gemünden, geht gar von 80 Prozent aus und zwar in ganz Zentraleuropa, gleich ob in Deutschland, Frankreich oder Polen. Die Verwesung beeinträchtigen wasserundurchlässige Erdschichten wie in Hofstetten und stellenweise in Langenprozelten sowie verbrauchte Böden wie im alten Teil des Langenprozeltener Friedhofs. Immer öfter untersagen die Fachbehörden die Erdbestattungen.

    Nach dem Bestattungsgesetz und der Bestattungsverordnung sollen Erwachsene in mindestens 1,80 Meter Tiefe beerdigt werden, wobei das Erdreich so beschaffen sein soll, dass sich die Körper in längstens acht Jahren komplett zersetzen. Fehlt dem Boden Feuchtigkeit, kommt es zur Mumifizierung, ist er zu nass, bildet sich Leichenwachs, was die Zersetzung erheblich verzögert.

    Staunässe gab es schon immer im Hofstettener Friedhof. Eine Anfang 2003 gelegte Drainage zur Ableitung des Oberflächenwassers, zu der ein Bodengutachten geraten hatte, brachte keine Abhilfe. Ernst Michler vermutet, dass sich Regen- und Gießwasser auf einer wasserundurchlässigen Bodenschicht sammelt. In welchen Bereichen des Friedhofs das der Fall ist, lasse sich aufgrund der Hanglage und des welligen Geländes nicht vorhersagen. Tatsache aber ist, dass das Gesundheitsamt immer mehr Grabstellen ablehnte. Daher hat es in Hofstetten seit mehreren Jahren keine Erdbestattung mehr gegeben.

    Einen Versuch gab es am 6. November 2006. „Es war der größte Wunsch von meiner Mutter“, berichtet Johanna Kraft. Daher hatte sie sich schon vor dem Ableben der 86-jährigen Hofstettenerin informiert. Im Gemündener Rathaus habe es geheißen, die Erdbestattung sei möglich, „wenn es sehr trocken ist“. Der Bestatter habe eine „50-Prozent-Chance“ eingeräumt.

    Was dann am 6. November folgte, „war schrecklich“, erzählt Johanna Kraft. Die Begutachtung des Grabes habe von Amts wegen zwei Stunden vor der Beerdigung am 7. November sein sollen, was sie verständlicherweise abgelehnt habe. Also traf sie sich am 6. November mit Ernst Michler und zwei Mitarbeitern des Gesundheitsamts am offenen Grab, die tote Mutter lag ein paar Meter weiter im Leichenhaus.

    Überheblich und zynisch seien die Karlstadter Beamten aufgetreten. Sie hätten die Beerdigung abgelehnt, weil am Grund der Grabstelle etwa ein halber Liter Wasser stand. Dann sei Hofstettens Ortssprecher Hans Buch hinzugekommen und habe sich unpassenderweise mit den Beamten gestritten. Buch mutmaßt als Vorsitzender der Bürgerinitiative „Wasser“, dass der Fernwasserversorgung Mittelmain zuliebe der Friedhof beseitigt werden soll.

    Letzter Wunsch blieb unerfüllt

    „Ich stand voll Bangen und Trauer dabei“, schildert Johanna Kraft. „Das war alles für mich sehr unangenehm.“ Kurzfristig musste sie sich für eine Feuerbestattung entscheiden. Dass die Situation problematisch ist, sieht sie ein. Sie bemängelt jedoch, dass es keine klare Ansage gibt, sondern den Hinterbliebenen quasi ein Lotteriespiel um den Gestorbenen zugemutet wird. Und: „Es ist schlimm, wenn man der Mutter den letzten Wunsch nicht erfüllen kann.“

    Diesem Vorfall in Hofstetten folgte kurz darauf in Langenprozelten ein ähnlicher. Das Gesundheitsamt untersagte ebenfalls eine Erdbestattung. Mit Wassereinbruch sei dort jedoch nur an wenigen Stellen zu rechnen, so Ernst Michler, weshalb es seither auch wieder reguläre Beerdigungen gegeben habe. Allerdings sei im alten Teil des Langenprozeltener Friedhofs der Boden verbraucht, weshalb hier zunächst keine weiteren Erdbestattungen möglich sind.

    Das Problem wolle die Stadt jetzt in Absprache mit Fachleuten, dem Gesundheitsamt und der Bevölkerung lösen, gibt Bürgermeister Schiebel als Ergebnis der nichtöffentlichen Stadtratssitzung bekannt. Die billigste Lösung, nur noch Urnenbeisetzungen zuzulassen, hat das Gremium offenbar verworfen. Wobei laut Michler der Trend ohnehin zu Urnen geht: Ihr Anteil an den Beisetzungen im Stadtgebiet mache mittlerweile 60 bis 65 Prozent aus.

    Stichwort

    Wachsleichen Bei schlechter Luftdurchlässigkeit und hohem Wassergehalt des Bodens können so genannte Wachsleichen entstehen. Hautfette werden nicht abgebaut, sondern wandeln sich in Leichenlipide um, die den Körper umgeben und die Verwesung einschränken oder ganz verhindern. Finden sich bei der Neubelegung einer Grabstelle nach Ablauf der Ruhefrist Leichenteile, so werden sie gesammelt und an Ort und Stelle unter dem neuen Grab wieder beigesetzt.

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