Menschen mit geistig-seelischen Erkrankungen gab es zu allen Zeiten. Im 14. Jahrhundert wurden sie im deutschsprachigen Raum vielfach in Verwahrhäuser, Narrenkäfige, Tollkästen oder auch in die Zellen der Stadttore gesperrt. Im späten Mittelalter kam es noch schlimmer: Geistig und seelisch Kranke wurden mit dem Teufel in Verbindung gebracht und vielfach als Hexen und Zauberer verfolgt. Tausende von ihnen wurden gefoltert und verbrannt.
Noch bis ins 18. Jahrhundert wurden Menschen mit geistig-seelischen Erkrankungen – zusammen mit Armen, Prostituierten, Landstreichern, Krüppeln und Straftätern - in Zuchthäuser gesperrt. Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts, mit dem Aufkommen der Anstaltspsychiatrie, verbesserte sich die Situation langsam.
Als weltweit erste psychiatrische Klinik wird der 1784 in Wien errichtete "Narrenturm" betrachtet, als erste psychiatrische Heilanstalt in Deutschland gilt eine Einrichtung in Bayreuth, die ab 1805 vom "Tollhaus" zur "modernen Irrenanstalt" umgebaut wurde.
Werneck erste "Kreisirrenanstalt"
Die erste "Kreisirrenanstalt" Unterfrankens wurde 1855 in Werneck im ehemals fürstbischöflichen Schloss eröffnet. Am 15. Juli 1904 machte die Königliche Regierung von Unterfranken und Aschaffenburg bekannt, dass wegen Überfüllung der Wernecker Anstalt – dort waren rund 800 Patienten stationär untergebracht - eine zweite "Kreisirrenanstalt" benötigt werde.
Insgesamt 39 Kommunen, darunter auch die Stadt Lohr, boten sich bis zum Stichtag 1. September 1904 als Standort für die geplante Anstalt an. Benötigt wurde dafür eine Fläche in der Größenordnung von 300 Tagwerk, was in etwa einer Million Quadratmetern beziehungsweise einem Quadratkilometer entspricht. Ein knappes Viertel dieser Gesamtfläche war als eigentliches Baugelände vorgesehen, der Rest sollte auf Wiesen, Wald und vor allem für die Landwirtschaft geeignete Felder entfallen.

Wichtig war dem als offizieller Auftraggeber auftretenden "Landrath" (entspricht dem heutigen Bezirkstag) zudem eine reichliche Quellwasserversorgung, das Vorhandensein eines fließenden Gewässers zur Ableitung des Abwassers sowie eine gute Verkehrs- und Eisenbahnanbindung.
Im Herbst 1908 waren von den ursprünglich 39 Bewerbern nur noch Lohr, Hafenlohr und Reichelshof bei Schweinfurt im Rennen. Ein großes Problem in Lohr waren die hohen Preise, die die Grundstückseigentümer für das Abtreten ihrer Flächen erwarteten.
Da die Stadt aufgrund der zu erwartenden Arbeitsplätze jedoch äußerst interessiert war, das Krankenhaus zu bekommen, sagte der Lohrer Stadtmagistrat am 7. November 1908 dem Kreis Unterfranken zu, im Falle des Zuschlags das benötigte Gelände selbst aufzukaufen und für 300.000 Mark abzutreten (die Stadt zahlte dafür letztendlich rund 320.000 Mark).

Außerdem sagte die Stadt zu, rund 18 Hektar jungen Wald im Wert von etwa 7000 Mark sowie eine Quelle zur Wasserversorgung im Wert von 3000 Mark kostenlos abzugeben. Auch auf die Forderung aus Würzburg, noch 20.000 Mark für den Bau der Anstalt zuzuschießen, ließ sich der Lohrer Magistrat ein. Alles in allem kam somit eine Unterstützungszusage der Stadt in Höhe von rund 50.000 Mark zusammen.
Begeisterung in Lohr
Als sich der unterfränkische "Landrath" am Abend des 27. November 1908 in Würzburg für Lohr entschied, wurde diese Nachricht sofort telegrafisch in die Stadt am Main übermittelt und in einem "Extrablatt" veröffentlicht. In der Stadt habe eine "allgemeine Begeisterung für die Sache" geherrscht und auf den Straßen und in den Wirtschaften sei es "überaus lebhaft" zugegangen, schrieb die Lohrer Zeitung.
Nach dem Bau einer Wasserleitung ab Juli 1909 fand der eigentliche Baubeginn der zwischenzeitlich als Heil- und Pflegeanstalt bezeichneten Einrichtung mit dem ersten Spatenstich für das Gärtnereigebäude am 18. Oktober 1909 statt. Im März 1911 nahm der landwirtschaftliche Betrieb der Heil- und Pflegeanstalt, der jahrzehntelang der Selbstversorgung des Krankenhauses diente, seine Arbeit auf. Auch viele Patienten arbeiteten in dem landwirtschaftlichen Betrieb bis zu dessen Auflösung in den 1970er Jahren mit.

Feierlich in Betrieb genommen wurde die nach den Plänen des Münchner Architekten Fritz Gablonsky (1876 bis 1971) errichtete Heil- und Pflegeanstalt in Lohr, deren historische Substanz seit 2001 unter Denkmalschutz steht, am 13. November 1912. Damals waren in der auf 500 Patienten ausgelegten Einrichtung 350 Kranke untergebracht, die von Werneck gekommen waren. Betreut wurden sie von vier Ärzten, einem Medizinalassistenten und rund 70 Pflegekräften.

Dem Jahresbericht 1912 ist zu entnehmen, dass sich die Patienten in Lohr schnell eingewöhnten und die "luftigen Tag- und Schlafräume" sowie "die schöne freie Lage der Gärten und Veranden" besonders lobten. Keiner von ihnen habe sich zurückgesehnt in die "ungesunden und beengten Verhältnisse der hochgradig überfüllten Anstalt Werneck".

Die im Pavillonstil in parkähnlicher Umgebung erbaute Heil- und Pflegeanstalt in Lohr mit 14 Krankengebäuden, zwölf Wirtschaftsgebäuden, acht Häusern für Ärzte und Beamte sowie einer Kirche war damals eine Vorzeige-Einrichtung, die Fachleute aus dem In- und Ausland zur Besichtigung anzog. Die Therapie bestand in den Anfangsjahren aus "Arbeit und Ergötzung". Behandlung mit Medikamenten gab es nur in Ausnahmefällen.
Dunkles Kapitel in der Nazi-Zeit
Ein äußerst dunkles Kapitel erlebte die Heil- und Pflegeanstalt während des "Dritten Reiches" (1933 – 1945). Rund 600 Patienten wurden damals deportiert und in Tötungsanstalten umgebracht; insgesamt töteten die Nationalsozialisten in Deutschland mehr als 200.000 Menschen mit körperlichen, geistigen und seelischen Behinderungen.

Zur Erinnerung an diese Opfer eines menschenverachtenden Systems ließ der Bezirk Unterfranken 1993 ein Mahnmal errichten. Es handelte sich um ein Bronzerelief des Bildhauers Rainer Stoltz mit dem Titel "Finaler Adam", das quer im Boden eines der Hauptwege in der Nähe der Kirche lag. 2016 ließ es der Künstler abbauen, weil es vom Verkehr beschädigt worden war. 2019 wurde ein neues Mahnmal installiert. Das Werk "Turm der Erinnerung" wurde von Bildhauerin Heike Metz geschaffen und steht vor dem Haupteingang zum Festsaal.

Einhergehend mit vielen baulichen Ergänzungen und Umstrukturierungen wandelte sich die "Anstalt", wie ältere Lohrer noch heute sagen, im Lauf der Zeit von einer Bewahranstalt zu einem modernen psychiatrischen Krankenhaus mit über 60 Gebäuden: dem Bezirkskrankenhaus für Psychiatrie, Psychotherapeutische Medizin, Psychosomatik und Forensische Psychiatrie.

Seit 1986 werden dort auch psychisch- und suchtkranke Straftäter – so genannte forensische Patienten – behandelt. Zunächst waren sie auf den allgemeinpsychiatrischen Stationen des Bezirkskrankenhauses untergebracht, ab 1995 gab es für diese Patienten zwei eigene Stationen. 2003 und 2007 wurden für die forensischen Patienten Neubauten errichtet, die aktuell mit knapp 200 Patienten belegt sind; eine Erweiterung der forensischen Einrichtung ist geplant.
Das Bezirkskrankenhaus Lohr, dessen Träger, wie der Name schon sagt, der Bezirk Unterfranken ist, ist für die Bereiche Würzburg, Aschaffenburg, Miltenberg und Main-Spessart zuständig. Mehr als 1100 Mitarbeiter, das entspricht rund 600 Vollkräften, sind in der Klinik beschäftigt; 55 von ihnen sind Ärzte. Behandelt werden in der Klinik jährlich mehr als 20.000 Patienten mit seelischen Problemen oder Suchterkrankungen.
Hierfür stehen stationär 299 Betten und teilstationär 67 tagesklinische Plätze zur Verfügung. Die Institutsambulanz betreut über 4000 Patientinnen und Patienten im Quartal.
Quellen: Archiv Main-Post, Internetseite des Bezirkskrankenhauses Lohr.
Lesetipp: Den Einstieg in die Serie verpasst? Die bisher erschienenen Serienteile finden Sie unter https://www.mainpost.de/dossier/geschichte-der-region-main-spessart/