Icon Menü
Icon Schließen schliessen
Startseite
Icon Pfeil nach unten
Main-Spessart
Icon Pfeil nach unten
Lohr
Icon Pfeil nach unten

Lohr: Wie Strahlenschutz von Lohr in die Welt kommt

Lohr

Wie Strahlenschutz von Lohr in die Welt kommt

    • |
    • |
    Mit vereinten Kräften: Helfer bringen ein Strahlenschutzfenster der Lohrer Firma in eine neu gebaute Krankenstation in Liberia. Rund 160 Kilo wiegt ein solches Fenster mit Bleiglas und Blei im Rahmen.
    Mit vereinten Kräften: Helfer bringen ein Strahlenschutzfenster der Lohrer Firma in eine neu gebaute Krankenstation in Liberia. Rund 160 Kilo wiegt ein solches Fenster mit Bleiglas und Blei im Rahmen. Foto: Deutsche Welthungerhilfe

    Ob im Münchner Forschungsreaktor, im Kinderkrankenhaus in Bukarest oder auf der Notfallstation in Liberia: Strahlenschutz-Baustoffe der Lohrer Firma Seitz & Kerler kommen in aller Welt zum Einsatz. Was kaum einer weiß: Eigentlich als Spezialfirma für Bodenbeschichtungen und den Vertrieb und Großhandel ihrer Farben und Lacke bekannt, ist die Lohrer Firma bereits seit ihrer Gründung 1945 auf dem kleinen und hoch spezialisierten Markt für Strahlenschutzbaustoffe aktiv. Firmen, die individuelle Lösungen für Strahlenschutz anbieten, gibt es in Deutschland nur wenige. In der Region gar keine.

    Begonnen hat die Geschichte des Strahlenschutzes im Familienunternehmen mit dessen Gründung durch Alexandra Seitz' Großvater Rudolf Seitz. Und sie ist eng verknüpft mit einem Mineral, das für die industrielle Historie des Spessarts noch bis Mitte des 20. Jahrhunderts eine große Rolle spielte: Baryt oder das "weiße Gold des Spessarts".

    "Mein Großvater war damals Werksleiter der Barytwerke Stolte & Co.", erklärt Alexandra Seitz, heute Prokuristin des Familienunternehmens, dessen Geschäftsführer ihr Cousin Nicolas Seitz ist.

    Mit Baryt fing es an

    Ihr Großvater kam schon früh in Berührung mit dem kostbaren Mineral, das auch in Spessart und Rhön abgebaut wurde. Baryt, als wahres Schwergewicht auch Schwerspat genannt, wurde zu jener Zeit, als Eisen vorrangig für Rüstungsbetriebe zum Zweiten Weltkrieg benötigt wurde, industriell immer bedeutender. Sei es, als Belastungsgewicht in der Schiffs- oder Bauindustrie oder als Blei-Ersatz im medizinischen Bereich. Seine hohe Rohdichte und Schwere ermöglicht wie Blei eine hohe Abschirmung zum Strahlenschutz.

    Satte sieben Kilo wiegt ein einzelner Strahlenschutzstein in Ziegelsteinformat: Alexandra Seitz und ihr technischer Berater Franz Eitel im Lager des Familienunternehmens.
    Satte sieben Kilo wiegt ein einzelner Strahlenschutzstein in Ziegelsteinformat: Alexandra Seitz und ihr technischer Berater Franz Eitel im Lager des Familienunternehmens. Foto: Bianca Löbbert

    Die Entstehung der Firma Seitz & Kerler – Fritz Kerler war damals ebenfalls Prokurist bei Stolte – hängt somit unter anderem eng mit den seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts betriebenen Schwerspatgruben in der Region zusammen, etwa bei Partenstein und Rechtenbach. "Baryt wurde auch in unseren Farben und Lacken verwendet. Aber der Strahlenschutz war von Anfang an ein wichtiges Geschäftsfeld. Damals sogar der überwiegende Teil", erklärt Alexandra Seitz.

    Das hat sich inzwischen gewandelt. Rund zehn Prozent machen die von der Lohrer Firma vertriebenen Strahlenschutz-Baustoffe heute noch im Geschäftsanteil aus. "Dennoch ist dies eine absolute Nische und ein Alleinstellungsmerkmal, weshalb wir den Bereich nicht aufgeben werden. Wir haben hier einen äußerst interessanten Kundenbestand und die Beratung ist hoch spezialisiert", erklärt Seitz. Technischer Berater, der diese Beratungen leistet, ist Franz Eitel.

    Forschungsreaktor und Kliniken

    Er ist seit 35 Jahren im Familienunternehmen. Und kann aus dieser Zeit von vielen spannenden Projekten berichten. Zu den Kunden und Projekten, die er berät, gehört zum Beispiel das GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung in Darmstadt. Hier wird eine weltweit einmalige Beschleunigeranlage für Ionen betrieben, die Forschende aus aller Welt anzieht, um neue Erkenntnisse über den Aufbau der Materie und die Entwicklung des Universums zu gewinnen.

    Andere Kunden sind Kliniken und Arztpraxen wie die Strahlentherapie Mainfranken in Veitshöchheim oder die Klinik für Strahlentherapie an der Uni-Klinik Würzburg, die 2022 neu gebaut wurde. "Eine sehr interessante Anfrage kam auch von der Deutschen Welthungerhilfe für eine Kranken-Notversorgung in Liberia", sagt Eitel. Als er ein Foto aus dem westafrikanischen Land erhielt, auf dem jede Menge Helfer mit vereinten Kräften das schwere Strahlenschutzfenster zur Krankenstation hievten, habe er sich besonders gefreut.

    Schlagzeilen habe auch der Bau der ersten Kinderkrebsstation in dem Bukarester Krankenhaus Marie Curie gemacht. Das war Anfang 2000 und auch hier lieferte die Lohrer Firma unter enorm hohen Transportkosten die Strahlenschutz-Baustoffe: 20.000 Steine und 37 Tonnen Sand.

    Schwerster Beton

    Den schwersten Beton allerdings, an den Eitel sich überhaupt erinnern kann, lieferte er zum Bau des Münchner Forschungsreaktors II. Dieser steht direkt neben seinem berühmten Vorgänger, dem Forschungsreaktor I, auch das Garchinger Atom-Ei genannt, und ist gut von der A9 aus zu sehen. Betrieben wird er von der Technischen Universität München, und die dort erzeugten Neutronen werden hauptsächlich für Forschung in Physik, Chemie, Biologie und Materialwissenschaften verwendet. "Zum Bau 1998 haben wir Stahlgranulat für Schwerbeton geliefert. Der wog sechs Tonnen pro Kubikmeter. Das war das Schwerste, was wir je geliefert haben. Ich wüsste nicht, dass so ein Beton schon mal verbaut wurde", sagt Eitel.

    Zum Vergleich: Normaler Beton hat etwa eine Trockenrohdichte von 1,8 bis 2,2 Tonnen pro Kubikmeter. Von Strahlenschutzbeton spricht man ab einer Rohdichte von 2,2 oder 2,3 Tonnen pro Kubikmeter. "Unsere Betone haben meist eine Rohdichte ab 3,2 Tonnen pro Kubikmeter", erklärt Eitel. Dabei liefert Seitz & Kerler üblicherweise die Zuschlagstoffe für den Schwerbeton an den Kunden. Oder vertreibt eigene Strahlenschutz-Steine, die für das Mauerwerk in Kliniken, Krankenhäusern oder anderen Strahlenschutzräumen verwendet werden. Baryt wird dafür heute allerdings nicht mehr genommen.

    "Bis Ende der 60er Jahre kam der Baryt noch aus Main-Spessart. Als hier die Gruben schlossen, haben wir Baryt noch aus anderen Gebieten in Deutschland wie dem Rothaargebirge verwendet. Dann aus Belgien, aber auch dort endete der Abbau vor 15 Jahren. Zuletzt hatten wir noch Baryt aus Marokko. Die Qualität war aber nicht mehr zufriedenstellend und deswegen haben wir Baryt als Baustoff vor drei Jahren ganz eingestellt", erklärt Eitel.

    Heute überwiegend Magnetit

    Als Zuschlagstoff für Strahlenschutz-Lösungen wird heute überwiegend Magnetit verwendet. Dieses gehört aufgrund seines hohen Eisenanteils von bis zu 72,4 Prozent zu den wichtigsten Eisenerzen. Seine hohe Rohdichte macht es zum idealen Zuschlagstoff für Steine oder Schwerbeton zum bautechnischen Strahlenschutz. "Unser Magnetit wird in Schweden abgebaut, per Bahn nach Norwegen gebracht, dann per Schiff nach Rostock oder Rotterdam und von dort zu unseren Partner-Betonwerken. Wir lassen aus Zement, Sand und Magnetit auch eigene Strahlenschutz-Steine fertigen", erklärt Eitel.

    Ein einziger Strahlenschutzstein in Ziegelsteingröße kann dabei aufgrund seiner hohen Dichte über sieben Kilo wiegen. Schon ein kleiner Sack Magnetitgranulat lässt sich von Hand nicht mehr anheben. Die Transportkosten sind enorm hoch, wenn zum Beispiel, wie in der Würzburger Strahlenklinik, 1300 Tonnen Magnetit im Schwerbeton verarbeitet sind. Kurios: Die Lastwagen, bis an ihre Grenze beladen, sehen dabei meist ziemlich leer aus.

    Hochkomplexe Richtrezepte

    Wie der richtige Strahlenschutz für das jeweilige Projekt erreicht wird, ist eine Wissenschaft für sich. Und Eitel, mit jahrzehntelanger Erfahrung, ist ein wichtiger Berater für die Kunden. Liefert Seitz & Kerler die Zuschlagstoffe für die Bauherren, die ihren Beton dann selber mischen, so braucht es immer eine Richtrezeptur. Und das hat mit einem einfachen Betonmischungsrezept wie ein Teil Zement und vier Teile Zuschlag Sand und Wasser nur wenig zu tun. "Zunächst ermitteln Physiker, wie hoch die Dichte des Betons sein muss. Das liegt an dem jeweiligen Projekt und den örtlichen Gegebenheiten", erklärt Eitel.

    Handelt es sich um Neutronen-, Gamma- oder Röntgenstrahlung? Bei medizinischen Anwendungen: Wie viele Patienten werden am Tag bestrahlt? Welche Geräte werden benutzt, wo steht das Gerät? Die Abschirmung in einem üblichen CT-Raum ist also wieder eine ganz andere als zum Beispiel bei der Tumorbehandlung unter Einsatz eines Linearbeschleunigers. Bis zu 50 Seiten Dokument können solche Richtrezepturen umfassen, die unter anderem physikalische Berechnungen und chemische Analysen umfassen.

    Um die optimale Rezeptur für einen Strahlenschutzbeton mit Zuschlagstoffen wie Magnetit oder auch Hämatit und Eisengranulat zu entwickeln, ist zudem ein Grundsatz entscheidend: Raum ist Geld. "Beim Bau von Kliniken zählt jeder Meter. Also sollen die Wände und Decken zudem möglichst dünn sein", erklärt Eitel. Steht die Rezeptur, geht es an die Versuche mit den Betonherstellern und Spezial-Baufirmen, die den Schwerbeton herstellen.

    "Jede Charge wird anschließend von einem unabhängigen Prüf-Labor geprüft, bevor sie beim Bau verwendet wird", erklärt Eitel. So werde ein sicherer Strahlenschutz garantiert.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden