Erfolgreich wiederbelebt worden ist die Frauenheilkunde am Klinikum Main-Spessart. Seit 1. April ist dort Professor Dr. Jörg Engel als Chefarzt für Gynäkologie tätig. Unterstützt wird er von der leitenden Oberärztin Dr. Eva Velten. Beide gelten als Experten für minimalinvasive Operationen, so dass nicht nur die 2021 geschlossene Abteilung eine Renaissance erlebt, sondern im Lohrer Krankenhaus künftig auch neue Behandlungen und Operationen möglich sind.
Herr Professor Engel, in Deutschland werden zu wenige Kinder geboren. Woran liegt's?
Es liegt an empfängnisverhütenden Maßnahmen, es liegt an der generellen Zukunftsunsicherheit, und vielleicht liegt's auch an einer Seinsvergessenheit der Menschen.
Also eher an gesellschaftlichen Ursachen als an medizinischen?
Ja, vor allem an gesellschaftlichen Ursachen. Natürlich aber auch an medizinischen, weil die Ausbildungsgänge länger werden, und Frauen werden einfach ab 35 schwerer schwanger – auch wenn man alles versucht.
Sie sind seit Anfang April Chefarzt der Gynäkologie am Klinikum Main-Spessart. Damit ist die Wiedereröffnung der 2021 geschlossenen Klinik für Frauenheilkunde verbunden. Wie reaktivieren Sie diese Abteilung?
Ich reaktiviere die Abteilung, indem ich über das rede, was ich gut kann. Nämlich die operative Gynäkologie in all ihren Facetten von ganz banal bis hoch anspruchsvoll. Also, ich fahre zu den niedergelassenen Kollegen sowohl im frauenärztlichen als auch im hausärztlichen Tätigkeitsfeld. Die Hälfte von ihnen habe ich schon besucht. Worte sind keine Taten, auch wenn Wittgenstein was anderes behauptet. Ich versuche, die Kollegen dann einfach durch gutes Handwerk und eine zugewandte Art dem Patienten gegenüber davon zu überzeugen, dass es sinnvoll ist, die Patienten hierher zu schicken.
Wie sind Sie personell aufgestellt, wie ist die medizinisch-technische Ausstattung?
Die medizinisch-technische Ausstattung ist hier jetzt gut, wir haben zwei neue Ultraschallgeräte bekommen. Im OP ist die apparative Ausstattung absolut zeitgemäß. Die personelle Ausstattung ist jetzt noch etwas dünn, aber uns werden in Kürze zwei weitere Kollegen verstärken.
Sie sind im Moment wie viele?
Die Gynäkologie sitzt vor Ihnen, Frau Velten und ich. Aber wir sind zwei Gynäkologen, die seit 15 oder 20 Jahren operative Medizin bestreiten, also zwei exzellente Operateure. Das ist so, als würde hier quasi, vielleicht nicht der FC Bayern, aber doch der BVB vor Ihnen sitzen, was die operativen Fähigkeiten angeht.
Was fehlt, beziehungsweise wo sehen Sie Entwicklungsmöglichkeiten?
Im Raum – wir haben einfach zu wenig Platz. Das ist dem alten Gebäude geschuldet. Im Moment wird im Souterrain die alte Physiotherapie für uns als Ambulanz ausgebaut. Das ist baulich schon fast vollzogen. Wir warten nur noch auf die neuen Möbel. Dann haben wir adäquate räumliche Verhältnisse mit fast zeitgemäßem Standard. Aber natürlich, wenn das neue Klinikum gebaut wird, werden wir alle genug Platz haben. Jetzt ist es noch etwas beengt.
Wer kann bei Ihnen behandelt werden?
Ich fange mal damit an, wer nicht behandelt werden kann: Wir haben nicht die Infrastruktur, um Schwangere zu behandeln und zu entbinden. Auch Brustkrebsbehandlungen können wir leider nicht anbieten, weil die Infrastruktur fehlt, wir haben zum Beispiel keine nuklearmedizinische Abteilung, die Radiologie hat keine Mammografie-Einheit, so dass sich das zurzeit nicht abbilden lässt. Ansonsten können wir das gesamte Spektrum behandeln. Gynäkologie ist ein operatives Fach, das geht von den kleinen Eingriffen – Ausschabungen, Gebärmutterspiegelungen – bis hin zu den großen gynäkologischen Krebseingriffen bei Eierstockkrebs, Gebärmutterkrebs, Gebärmutterhalskrebs oder Scheidenkrebs. Noch zu erwähnen wäre, dass wir eine hohe Expertise im laparoskopischen Bereich haben. Das war hier früher nie stark repräsentiert in der Gynäkologie. Jetzt hat man einen kompletten Kurswechsel hin zu minimalinvasiven Eingriffen vollzogen. Ich habe die höchste Qualifikationsstufe, meine Kollegin die zweithöchste, das ist einfach ein Quantensprung für die Gynäkologie im Landkreis Main-Spessart.
Es ist also nicht daran gedacht, auch die Geburtshilfe wiederzueröffnen?
Nein. Wir bräuchten dann mindestens zehn Ärzte, um das auf einem einigermaßen vernünftigen Level machen zu können. Die höchste Geburtenzahl, die hier jemals erreicht wurde, waren so 300 bis 400 Geburten, so dass das ein ökonomisches Desaster wäre. Das Thema wird immer emotional hochgekocht, wenn man sich aber die Zahlen anschaut, dann haben am Klinikum Main-Spessart gar nicht so viele Patientinnen entbunden.
Planen Sie weitere Behandlungsmöglichkeiten?
Was mir die niedergelassenen Kollegen widergespiegelt haben, ist, dass hier eine große Versorgungslücke im Bereich der Beckenbodensenkungen besteht, also die ältere Dame mit Senkungsbeschwerden, das versorgt hier kaum einer. Diese Patientengruppe will ich auf alle Fälle hier operieren. Denn damit kann man den betroffenen Patientinnen schnell helfen. Die haben keine Lebensqualität mehr und warten auswärts ein halbes Jahr auf einen Termin. Das geht hier schneller. Eine Lücke besteht auch bei den Jüngeren – also für mich sind Mittdreißigerinnen jüngere Frauen – mit Zyklusbeschwerden, Schmerzen bei der Menstruation, Kinderwunsch, Verdacht auf Endometriose: Die müssen auch relativ lange auf Termine warten, und man muss es auch gut operieren können. Ich habe in Frankfurt unter anderem ein großes Endometriosezentrum geleitet und bin, was derartige Eingriffe angeht, sehr erfahren. Also, die Patientinnen bekommen hier schnell Termine und werden auf einem sehr hohen medizinischen Level behandelt.
Was ändert sich durch das neue Zentralklinikum?
Man hat mehr Platz und man hat's ein bisschen schöner. Aber ich glaube eigentlich eher an die persönliche Expertise. Ich glaube eher an die Hände des Operateurs als an ein schickes Gebäude.
Wird Ihre Fachabteilung vom Umfang her dann auch größer – Sie verfügen jetzt über acht Betten?
Das ist ein bisschen Kaffeesatzlesen. Ich hoffe, weil ich den Bedarf hier wahrnehme, dass wir wachsen werden. Das ist auch so vorgesehen. Aber man muss schauen, inwieweit sich der Bedarf wirklich einstellt. Wir können mitwachsen.
Bieten Sie auch Gynäkologie im Medizinischen Versorgungszentrum des Klinikums an?
Noch nicht, aber das ist durchaus vage geplant. Also es gibt jetzt noch kein Datum, wann wir beginnen. Wir bräuchten dazu einen Arztsitz, um in dem MVZ eine gynäkologische Versorgung anbieten zu können. Das ist von der Geschäftsführung durchaus angedacht, aber es ist noch nicht konkret.
Sie waren zuvor im Klinikum Aschaffenburg und anschließend im Krankenhaus Nordwest in Frankfurt tätig. Was hat Sie zu einem Wechsel ans vergleichsweise kleine Klinikum Main-Spessart bewogen?
In Frankfurt war die Managementebene instabil geworden. Wir hatten relativ häufige Geschäftsführerwechsel, und irgendwann war ich's müde. Dann wollte ich nicht mehr. Ich bin ja hier in der Gegend groß geworden, ich stamme aus Alzenau, und als ich dann gesehen habe, dass es hier die Möglichkeit gibt, in einem relativ schönen Umfeld und in einem Krankenhaus, wo's alles gibt, was man braucht, um gute Medizin zu machen, arbeiten zu können, da fand ich das attraktiv.
Laut Versorgungsatlas der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Bayerns gibt es im Landkreis Main-Spessart neun Frauenärzte. Bei 63.851 Einwohnerinnen entspricht dies einem Versorgungsgrad von 97 Prozent. Halten Sie das für ausreichend?
Fragen Sie bitte mal die niedergelassenen Kollegen, die das sicherlich gänzlich anders sehen. Ich habe ebenfalls mit der KV gesprochen, weil die sagen, wir sind eigentlich ganz gut versorgt. Ich habe mittlerweile fast alle Niedergelassenen im Kreis hier besucht, die erzählen eine ganz andere Geschichte und ich glaube eher denen als der KV. Also, wir sind unterversorgt. Die Patienten warten Monate auf einen Termin, das ist keine gute Situation.
Das kennt man auch von anderen Fachrichtungen.
Ja, genau, das ist überall so. Ich besuche jetzt gerade die Hausärzte, die singen das gleiche Lied. Die sagen auch, sie können sich vor Patienten nicht retten. Sie wollen versorgen, aber es ist einfach viel.
Im Versorgungsgrad ist ja auch das Alter der Ärzte nicht so offenkundig.
Das sind alles Babyboomer. Ich hoffe, sie machen noch ein paar Jahre. Das wird richtig schwierig, Nachfolger zu finden, wenn man jetzt noch fünf Jahre in die Zukunft schaut. Wenn man es mit der Situation in Frankfurt vergleicht, wo praktisch eine Überversorgung war, da haben sich die Krankenhäuser um die Patienten quasi geprügelt und hier müssen die Patientinnen und Patienten schauen, wo sie unterkommen. Für Patienten ist es in der Stadt, glaube ich, schon angenehmer.
Soll es eine Zusammenarbeit mit niedergelassenen Ärzten geben und gegebenenfalls in welcher Form?
Unbedingt. Die Geschäftsleitung ist schon mit der Praxis von Dr. Konstantinidis, dem noch einzigen Gynäkologen in Lohr, im Gespräch. Er wird mit uns kooperieren. In welcher Form müssen wir sehen. Und persönlich kooperieren wir schon die ganze Zeit. Meine Kollegin kennt ihn aus Aschaffenburg. Wir haben uns, bevor ich herkam, kurzgeschlossen, dass wir einander verstehen und auch kollegial und gut zusammenarbeiten können. Sonst hätte das keinen Sinn gemacht.
Bestimmte Krankheiten nehmen zu, weil die Gesellschaft älter wird. Wie ist das in Ihrem Fachbereich?
Klassisch sind die Gebärmuttersenkung und die Inkontinenz, eine Erkrankung der älteren Frau, und das wird immer mehr. Und auch Krebs. Krebs ist ja letztlich die Bremse, die die Evolution in uns eingebaut hat, dass wir nicht zu alt werden. Wenn wir älter werden, steigt die Prävalenz, also die Häufigkeit von Krebs und dadurch haben wir auch mit mehr gynäkologischen Tumoren zu tun. Die Ausnahme ist der Gebärmutterhalskrebs. Er betrifft oft jüngere Patientinnen. Aber das wird wahrscheinlich weniger werden, weil wir dagegen impfen können. Wobei die Durchimpfungsrate nicht gut ist in Deutschland, wegen einer generellen Skepsis an der Wissenschaft. In anderen Ländern, die ein stärker zentralistisch geprägtes Gesundheitswesen haben, liegt die Durchimpfungsrate höher. Die Deutschen sind halt Individualisten und Föderalisten, das war schon immer so.