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ZWIESELMÜHLE: Zwieselmühle schließt: Der letzte Walzer klingt aus

ZWIESELMÜHLE

Zwieselmühle schließt: Der letzte Walzer klingt aus

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    Abschiedssong: Kurt Jeßberger-Nitschke spielt und singt einen letzten Schneewalzer.
    Abschiedssong: Kurt Jeßberger-Nitschke spielt und singt einen letzten Schneewalzer. Foto: Lucia Lenzen

    Ob er noch ein letztes Stück zum Besten geben könnte? Für Kurt Jeßberger-Nitschke keine Frage. Mit drei festen Zügen hat er den blassroten Vorhang der kleinen Empore aufgezogen. Dahinter erscheint ein silbergraues Keyboard, ein Mischpult und ein Mikrofon. Mit einem Knopfdruck macht der 66-jährige Wirt die Elektronik startbereit, spielt ein kurzes Intro und beginnt: „Ja wenn's den Schnee, Schnee, Schnee vom Himmel schneit, dann ist weit und breit, Winterzeit . . .“

    Seit 1984 ist Kurt Jeßberger-Nitschke als singender Wirt aus dem Spessart bekannt. Der Schneewalzer war immer sein erstes Lied – heute ist es sein letztes. Denn seit Mitte Juni ist der traditionsreiche Gasthof und die Pension Zwieselmühle geschlossen. 45 Jahre lang hat er zusammen mit seiner Frau Christina hier ganze Busladungen von Spessart-Touristen bekocht, bedient und besungen. Damit ist jetzt Schluss. Am 11. und 12. Juli verkaufen sie in einer Art Flohmarkt ihr Inventar. Die beiden Gästehäuser mit Grundstücken, die große Halle sowie das Haupthaus mit Nebenzimmer und den Parkplatz, auf dem sich zu Hoch-Zeiten die Busfahrer die Klinke in die Hand gaben, stehen zum Verkauf.

    Zurückgespult auf das Jahr 1906 startete an dieser Stelle die Gastronomie und Pension Zwieselmühle mit einem einzigen Haus, in das rund 40 Gäste passten. Erstmals erwähnt wurde die Zwieselmühle bereits 1424, weiß Kurt Jeßberger-Nitschke. Auf einer alten Aufnahme sieht man das damalige Haus mit einer großen, hölzernen, auf Stelzen stehenden Teerrasse davor. Dass diese Terrasse mitsamt einer Schülerschar damals irgendwann zusammenbrach, erfuhr Jeßberger-Nitschke erst kürzlich von einer 96-jährigen Besucherin, die bei diesem Schülerausflug dabei war – und sich beim Absturz einen Arm brach.

    „Damals mussten die Gäste noch über die Küche auf die Terrasse“, erzählt der Gastronom. Wer den Weg in das Mühlental damals fand? Vor allem Landwirte aus den benachbarten Ortschaften wie Bischbrunn, Esselbach und Oberndorf, bevorzugt in der Zeit der Heuernte. „Damals standen die Fuhrwerke vor dem Haus, wie heute die Busse“, erzählt der Wirt. Ein Rippchen mit Brot oben auf dem Heuwagen verspeist – für damalige Verhältnisse ein Festessen. „Unser eigenes Heu konnten wir nur machen, wenn es geregnet hat, weil dann niemand kam.“

    Als 14-Jähriger begann der Wirte-Sohn seine Lehre zum Metzger in Wertheim. Schon damals war Kurt Jeßberger-Nitschke voll im Betrieb seines Vaters, Albert Jeßberger, eingespannt. Denn der Ausbau der Autobahn in den 60er Jahren spülte den Fremdenverkehr in die Region. „Vor allem aus Hessen war man schnell da und der Spessart galt als billig“, beschreibt Jeßberger-Nitschke. 1970, als 22-Jähriger, übernahm er die Geschäftsführung und begann in den folgenden Jahren kräftig um- und auszubauen. 1974 wurde das Haupthaus neu eröffnet. Es folgten 1984 zwei Gästehäuser, eine große Pergola, ein Grillplatz, ein Tiergehege mit Streichelezoo, ein großer Parkplatz. 2005 kamen noch ein Teich mit Zier-Enten und ein Biergarten dazu. Einiges war aber auch von kurzer Dauer: So entpuppte sich der Streichelzoo als zu personalintensiv. Dem Ententeich gingen die Enten aus, als der Schnee 2014 ein Loch in die Voliere drückte und die Tiere in die Freiheit entließ.

    „Man kann alles selber machen.“

    Kurt Jeßberger-Nitschke Singender Wirt der Zwieselmühle

    Ein Dauerbrenner wurde hingegen sein Auftritt als singender Wirt. „Man kann alles selber machen“, hat er sich damals gedacht, sich eine Heimorgel gekauft und mit zwei Fingern angefangen zu üben. Bei seinem ersten Auftritt vor einer Busgruppe spielte er einen Tag lang „Waldeslust“ und „Lustig ist das Zigeunerleben“ im Wechsel. Aber auch kulinarisch war Jeßbergers „Selbermachen“ immer wichtig: In der eigenen Hausmetzgerei produzierten sie Hausmacher, die Silber- und Goldmedaillen erhielten. Im Holzofen entstand das eigene Bauernbrot. Zudem wurde der Betrieb als familienfreundlich, fahrradfreundlich, umweltfreundlich und für seine Erlebnisgastronomie ausgezeichnet.

    Bereits 1992 ging die Zwieselmühle mit der eigenen Internetseite online. Hier konnten die Gäste nicht nur die Ente für halb drei bestellen, sondern auch gleich den Rundwanderweg aussuchen, auf dem sich die Ente wieder abtrainieren ließ. „350 D-Mark hat mich die Seite damals im Monat gekostet“, erinnert sich der Wirt schmunzelnd.

    Mitten in der Hochphase der Zwieselmühle lernte Kurt Jeßberger-Nitschke seine jetzige Ehefrau Christina kennen. „Ich habe am zweiten Weihnachtsfeiertag 1981 in der Zwieselmühle als Aushilfe angefangen“, erzählt sie. Die Stelle war ihr vom Arbeitsamt vermittelt worden. Weil sie kein Auto hatte, holte der Wirt sie persönlich jeden Tag in Hasselberg ab und fuhr sie abends wieder heim. Ein Jahr später, 1982, wurde geheiratet.

    Gemeinsam haben sie zwei Töchter und einen Enkel, ein weiterer ist unterwegs. Den Betrieb übernehmen wollte keine der Töchter „Sie haben sich für andere Berufe entschieden“, erzählt Christina Jeßberger. Sicherlich auch, weil sie miterlebt haben, was so ein Betrieb für eine Familie bedeutet. „Bei uns mussten immer alle mit anpacken und wenn dann sonntags die Freunde anriefen und fragten: Kommt ihr mit ins Schwimmbad? Hieß es: Ne, wir können nicht, wir kriegen heute einen Bus“, erzählt die Wirtin. Mittlerweile sind die Bustouren allerdings weniger geworden. Kamen in den 80er und 90er Jahren viele Kegel-Clubs und Kriegswitwen, die – meist führerscheinlos – Ausflugsfahrten mit dem Bus in den Spessart buchten, kommen die Leute heute überwiegend einzeln mit dem Auto.

    Immer schwieriger sei es auch, Personal zu bekommen – vor allem, wenn man so weit ab vom Schuss liegt wie die Zwieselmühle, erläutern die Gastwirte. Da ist ein Fahrzeug nötig, das nicht jeder hat. Und so schmissen Jeßbergers ihren Betrieb in den letzten zwei Jahren so gut wie alleine. „Zuletzt haben wir noch zu dritt 62 Leute a la Carte bedient“, erzählt Christina Jeßberger.

    Und ein kleiner Betrieb? Mit weniger Aufwand? Und weniger Fläche? „Von groß auf klein – das geht nicht“, ist sich das Ehepaar einig. Ihren langjährigen Stammkunden absagen zu müssen, das können sich beide nicht vorstellen. Worauf sie aber beide große Lust haben, ist, ihren Ruhestand zu genießen und endlich einmal zu machen, wofür nie Zeit war: E-Bike fahren, lesen, sich um Enkel Leo kümmern oder Feste besuchen. „Wir kennen ja nichts“, sagt Kurt Jeßberger-Nitschke. Eines fehlt allerdings in der Aufzählung: das Singen. Und das will Kurt Jeßberger-Nitschke nach seinem letzten Schneewalzer-Auftritt auch so belassen – zumindest öffentlich.

    Auf einem Flohmarkt verkauft die Familie Jeßberger am 11. und 12. Juli von 11 bis 17 Uhr ihre gastronomischen Geräte und ihr Inventar.

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