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Bad Mergentheim: "Alle wussten es, aber keiner machte etwas": Vor neuem Prozess gegen Lehrer schildern Schüler jahrelange Schikanen

Bad Mergentheim

"Alle wussten es, aber keiner machte etwas": Vor neuem Prozess gegen Lehrer schildern Schüler jahrelange Schikanen

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    Weil er Schülerinnen sexuell belästigt hat, ist ein Lehrer einer weiterführenden Schule in Bad Mergentheim vom Amtsgericht verurteilt worden. Das Landgericht Ellwangen rollt jetzt den Fall noch einmal auf. 
    Weil er Schülerinnen sexuell belästigt hat, ist ein Lehrer einer weiterführenden Schule in Bad Mergentheim vom Amtsgericht verurteilt worden. Das Landgericht Ellwangen rollt jetzt den Fall noch einmal auf.  Foto: Illustration Ivana Biscan

    "Alle an der Schule wussten es, aber keiner machte etwas", so beschreibt ein ehemaliger Schüler die Situation. 2020 hat er an der weiterführenden Schule in Bad Mergentheim (Main-Tauber-Kreis) sein Abitur gemacht. Über Jahre habe ein Lehrer dort Schülerinnen und Schüler mit rassistischen, sexistischen und homophoben Bemerkungen schikaniert, berichtet der 23-Jährige, der heute in Würzburg studiert.

    Im März 2024 hat das Amtsgericht Bad Mergentheim den Pädagogen wegen sexueller Belästigung und Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten auf Bewährung und einer Geldstrafe von 5000 Euro verurteilt. Abgeschlossen ist der Fall aber nicht. Zum einen akzeptiert der Lehrer das Urteil nicht und hat Berufung eingelegt: Der Fall wird an diesem Donnerstag vor dem Landgericht Ellwangen neu verhandelt werden. Zum anderen ist für die Betroffenen bislang viel unter der Decke geblieben.

    Lehrer zwang Schüler und Schülerinnen mit der Androhung schlechter Noten zum Mitmachen

    Laut Amtsgericht Bad Mergentheim wurden dem Mann zwei Fälle von sexueller Belästigung nachgewiesen: 2019 habe er einer Schülerin während einer Skifreizeit an den Hintern gefasst, der nur mit einem Handtuch bedeckt war. 2022 habe sich der Lehrer bei einem "Kennenlernspiel" auf die Oberschenkel eines Mädchens gesetzt und ein anderes auf den Schoß genommen.

    Dass der über 60 Jahre alte Mann Schüler und Schülerinnen mit der Androhung schlechter Noten zum Mitmachen beim "Kennenlernspiel" gezwungen hatte, wertete das Gericht als Nötigung in besonders schwerem Fall. Nach Information des Amtsgerichts nannten Zeugen in der Verhandlung weitere Beispiele für das "grenzüberschreitende" Verhalten des seit über zwei Jahrzehnten an der Schule tätigen Lehrers.

    Betroffener: "Er hat Schüler und Schülerinnen bloß gestellt und das als Humor getarnt"

    Was "grenzüberschreitend" bedeutet, schildert der Würzburger Student gegenüber der Redaktion. "Er hat einzelne Schüler und Schülerinnen bloßgestellt und das als Humor getarnt. Klassenkameraden haben gezwungenermaßen mitgelacht, damit sie nicht selbst Zielscheibe werden." Alle hätten gespürt, dass es nicht in Ordnung war, wenn der Pädagoge Bemerkungen über die Figur oder über ein Kopftuch von Schülerinnen beziehungsweise über die sexuelle Orientierung von Schülern gemacht habe. "Aber es hat nichts gebracht, sich zu wehren oder sich zu beschweren, weil die Vorfälle kleingeredet wurden."   

    Diese Ohnmacht spüre er noch heute, sagt der 23-Jährige. "Wenn ich an meine Schulzeit denke, ist da vor allem Wut." Zum einen mache es ihn wütend, dass er damals selbst nicht mehr unternahm. Zum anderen, dass das Verhalten des Mannes in der Schule und in der Region bekannt gewesen sei, aber niemand etwas getan habe, um den Jugendlichen zu helfen. "Das ist halt seine Art", habe es nur geheißen.

    Schüler meldeten Vorfälle bei der Schulleitung - ohne Folgen

    Zwei weitere ehemalige Schüler berichten, dass der Lehrer häufig sexuelle Anspielungen gemacht habe. Beschwerden bei der Schulleitung hätten nichts daran geändert. "Bei einem Fall von Belästigung habe ich mitbekommen, wie die Schulleitung versucht hat, ihn zu vertuschen", sagt einer der beiden, dessen Name wie alle anderen der Redaktion bekannt ist.         

    Vor dem Amtsgericht traten im März auch Lehrer der weiterführenden Schule in den Zeugenstand. Einer von ihnen hatte den Kollegen im Juli 2023 angezeigt - nachdem Schulleitung und das Stuttgarter Regierungspräsidium trotz mehrfachen Drängens dies nicht getan hatten. Der verurteilte Lehrer hat nach Informationen dieser Redaktion bis zum Ende der Verhandlung in Bad Mergentheim weiter an der Schule unterrichtet - auch einen Zeugen, der bei der Polizei gegen ihn ausgesagt hatte. 

    Das Regierungspräsidium in Stuttgart, das für die Schule zuständig ist, beantwortet Anfragen der Redaktion zum Vorwurf der Untätigkeit "aus datenschutzrechtlichen Gründen" nicht. Ebenso wenig teilt die Pressestelle mit, ob der Lehrer suspendiert oder beurlaubt wurde und ob es dienstrechtliche Schritte gegen ihn gibt.

    Beim Berufungsverfahren an diesem Donnerstag wird die Anklage wegen sexueller Belästigung und Nötigung neu aufgerollt. Laut Heiko Baumeister, Vorsitzender Richter und Pressesprecher am Landgericht Ellwangen, hat der Lehrer das Urteil gegen ihn "vollumfänglich" angefochten. Eine Stellungnahme dazu will die Anwaltskanzlei des in erster Instanz Verurteilten nicht abgeben.

    Mehrere Opfer treten laut Landgericht Ellwangen als Nebenkläger auf. Über 15 Zeuginnen und Zeugen sollen an zwei angesetzten Verhandlungstagen aussagen. Die Betroffenen hoffen, dass das Ausmaß der Schikanen des Pädagogen in dem Prozess in zweiter Instanz noch deutlicher ans Licht kommt - und auch die Verantwortung seiner Vorgesetzten. 

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