Mehr als eine Million Flüchtlinge versuchten im Jahr 2015 über das Mittelmeer in die EU zu gelangen. Einer davon lebt seit zwei Jahren in Tauberbischofsheim: Mohammad Al Najjar ist 19 Jahre alt und ursprünglich aus Syrien. Vor zwei Jahren flüchtete er gemeinsam mit seinem Bruder und macht inzwischen im ersten Lehrjahr eine Ausbildung zum Holzmechaniker bei VS. Er scheint also angekommen und zufrieden – zumindest auf den ersten Blick.
Die Entscheidung, mit seinem Bruder die Heimat Syrien zu verlassen und die Flucht an sich waren allerdings sehr schwer. Eltern und Großmutter sind zu alt und blieben in Syrien zurück. Die Schwester floh mit ihrer Familie in den Irak. Wie er in Tauberbischofsheim jetzt lebt, schildert eine Pressemitteilung der Stadt Tauberbischofsheim.
„Die Flucht war problematisch“, sagt Mohammad. Drei Monate dauerte die Reise von Syrien nach Deutschland. Zunächst ging es zu Fuß und mit dem Bus in die Türkei, dort blieben sie zwei Wochen und fuhren dann weiter den gefährlichen Weg mit dem Boot nach Griechenland. Zu diesem Zeitpunkt konnten weder er noch sein Bruder schwimmen. In Griechenland mussten die beiden 15 Tage auf ihre Aufenthaltspapiere für drei Tage warten, der Andrang war groß.
Zu Fuß ging es weiter nach Mazedonien und Serbien. Ein Schlepper versprach ihnen dort gemeinsam mit fünf anderen Flüchtlingen für viel Geld die Mitnahme nach Deutschland. Die Reise endete jedoch bereits an der ungarischen Grenze. Dort wurde die Gruppe im Zug durch die ungarische Polizei in Gewahrsam genommen, die sie „wie Tiere behandelten“. Ohne Essen und Trinken wollte man sie zunächst in die Hauptstadt in ein Heim bringen.
Wieder versuchten sie es mit einem Schlepper: Diesmal schafften sie es tatsächlich mit einer 15-köpfingen Gruppe nach Passau, weiter über München und für drei Monate in die Landeserstaufnahmestelle Meßstetten. Mohammad war zu dieser Zeit 17 Jahre alt.
Eigene Wohnung bezogen
Letztendlich kam er nach drei Monaten nach Tauberbischofsheim, wo er bis heute lebt. Erst wohnte er vorläufig in der Albert-Schweizer-Straße, inzwischen hat er mit seinem Bruder eine eigene Wohnung bezogen. Sein erster Eindruck von Tauberbischofsheim? Da er zuvor in Damaskus lebte, fand er die Stadt zunächst schon sehr klein. „Ich bin zu Beginn einfach mal losspaziert und war nach 20 Minuten wieder am Ausgangspunkt“, lacht er.
Allerdings haben seiner Meinung nach Kleinstädte durchaus Vorteile. „Ich kann hier alles zu Fuß oder mit dem Fahrrad erledigen. Und so viele Leute haben mir hier geholfen - In einer Großstadt würde ich nie so eine Unterstützung bekommen.“
Doch der Anfang in Tauberbischofsheim war holprig. Zu Beginn besuchte er eine sogenannte „VAOB“-Klasse („Vorqualifizierung Arbeit und Beruf ohne Deutschkenntnisse der beruflichen Schulen“) in der Gewerblichen Schule, um erst einmal Deutsch zu lernen. Danach konnte er ins reguläre Schulsystem wechseln. In seiner neuen Klasse fühlte er sich anfangs sehr fremd. „Man ist der Neue, versteht zusätzlich die Menschen nicht gut und sieht auch noch ganz anders aus.“ Auch spürt er im Alltag skeptische Blicke. „Vor allem mein Bart wird von vielen kritisch betrachtet. Aber nicht jeder mit Bart ist doch gleich ein Terrorist! Ich möchte mich ungern deshalb rasieren und schlechter aussehen als vorher“, lächelt er.
Zu dieser Zeit hätte er oftmals fast aufgegeben. Silke Bartholme, Lehrerin für Deutsch und Englisch an der Gewerblichen Schule, stand ihm mit Rat und Tat zur Seit und ermunterte ihn, nicht aufzugeben. „Aufgeben gibt?s nicht!“ sagt er nun selbst und es hat sich gelohnt. Nach und nach fühlte er sich in der Schule angenommen und inzwischen hat er einige deutsche Freunde gefunden.
Für seine Ausbildungsstelle bei VS musste er sich dem normalen Auswahlverfahren stellen und überzeugte. Seine Tätigkeit gefällt ihm sehr und er hofft, dass er die drei Jahre gut absolvieren kann. Während seine Kollegen in der Berufsschule nur die fachlichen Inhalte kennen müssen, lernt er zusätzlich deutsche Fachbegriffe, um die Fragen in den Tests verstehen und beantworten zu können.
Zwei große Wünsche hat er allerdings: Sein erster Wunsch ist ein deutscher Pass. Den könnte er nach fünf Jahren Aufenthalt mit einer festen Arbeitsstelle in Deutschland erhalten.
Schon als Flüchtling geboren
„Das wäre das erste Mal in meinem Leben, dass ich einem Staat angehöre“, sagt er. Denn „ich bin schon als Flüchtling geboren.“ Sein Großvater war ein geflohener Palästinenser, in Syrien gilt damit die gesamte Familie als staatenlos und darf nur eingeschränkt das Land verlassen. Mohammads zweiter und größter Wunsch ist das Wiedersehen mit seiner Familie. Seine zwei Nichten kennt er ausschließlich über das Smartphone. „Ich bin ja noch nicht besonders alt und mir fehlen meine Eltern, die sich um mich kümmern und für mich da sind.“ Zwar sind seine Freunde hier ein Familienersatz geworden, doch er hofft sehr, dass er seine Familie bald wiedersehen kann. Alleine würde er das alles nicht schaffen, deshalb ist er den vielen ehrenamtlichen Helfern und seinem Arbeitgeber sehr dankbar und zuversichtlich, dass er hier in Deutschland – und am liebsten in Tauberbischofsheim – bleiben kann.
Wohnungen für Asylbewerber gesucht In der Stadt Tauberbischofsheim freut man sich über so positive Beispiele für Mohammad Al Najjar. Bürgermeister Wolfgang Vockel ist überzeugt, dass die Stadt von Mitbürgern wie Mohammad Al Najjar profitieren kann: „Herr Najjar leistet nicht nur mit seiner Arbeitskraft einen wichtigen Beitrag in unserer Stadt. Er trägt zu einem offenen und vielfältigen Tauberbischofsheim bei. An einem friedlichen Zusammenleben in unserer Gesellschaft sollte jeder von uns arbeiten.“ Gerade auf dem städtischen Wohnungsmarkt ist die Lage noch lange nicht entspannt: Sobald die Asylbewerber anerkannt sind oder spätestens nach 24 Monaten müssen sie ihre Gemeinschaftsunterkunft verlassen und sich auf dem freien Wohnungsmarkt eine neue Bleibe suchen. Der Helferkreis Asyl steht tatkräftig zur Seite, doch noch immer fehlen zahlreiche Wohnmöglichkeiten in Tauberbischofsheim. Wer vermieten möchte, kann sich direkt in der Stadtverwaltung unter Tel. (0 93 41) 8 03-29 oder -68 melden.