Ein volles Haus und dazu passend die phänomenale Vorstellung eines Marimba-Duos im Rathaussaal: Man hätte sich keinen besseren Auftakt für die mittlerweile 36. Saison der Schlosskonzerte vorstellen können. Dies war auch aus den Begrüßungsworten von Bürgermeister-Stellvertreter Kuno Zwerger herauszuhören, als er zu Beginn der Veranstaltung den Sponsoren und dem Programmmacher Peter Leicht dankte, der von Beginn an die erfolgreiche Konzertreihe – nur kurz unterbrochen durch die Pandemie - am Laufen hält und sie je länger je mehr zu einem herausragenden kulturellen Anziehungspunkt in unserer Region emporgeführt hat.
Das Schlaginstrument Marimbaphon dürfte man bei so vielen Schlosskonzerten hier schon ein- oder mehrere Male gesehen und gehört haben, aber noch keine zwei zugleich, wie sie an diesem Abend mächtig und ausladend die gesamte Bühne des Rathaussaals in Beschlag nahmen. Die Marimba mit ihren hölzernen Klangstäben, die zumeist mit Holzschlägeln bespielt werden, ist zwar afrikanischen Ursprungs und als Instrumententyp uralt, doch in ihrer modernen Form existiert sie erst seit Mitte der 80erJahre des letzten Jahrhunderts. Das ist auch die Hauptursache dafür, dass es für dieses Instrument noch relativ wenig anspruchsvolle, "klassische" Literatur gibt und die führenden Interpreten in ihrem Repertoire auf Transkriptionen, das heißt Kompositionen, die eigentlich für Klavier, Gitarre und ähnliches geschrieben wurden, angewiesen sind. Um eine solche Transkription für Marimbaphon handelt es sich auch bei den berühmten "Goldberg-Variationen" von Johann-Sebastian-Bach, die nach der Pause nicht nur den Höhepunkt dieser Vorstellung bildeten, sondern überhaupt zum Sensationellsten und Faszinierendsten gehörten, was langjährige Besucherinnen und Besucher der Schlosskonzerte hier jemals erleben durften.
Dafür standen auch zwei Weltklasse-Virtuosen in Person von Katarzyna Mycka und ihres Partners Conrado Moya zur Verfügung. Die gebürtige Polin (Jahrgang 1972) zählt seit langem zu den weltweit führenden Marimba-Interpretinnen und hat seit den Neunzigerjahren so ziemlich alles an Preisen und Auszeichnungen abgeräumt, was es auf diesem Gebiet zu verleihen gibt. Ihr Partner und ehemaliger Schüler, der Spanier Conrado Moya (Jahrgang 1989) zählt inzwischen ebenfalls zu den international renommierten Meistern auf diesem Instrument und erarbeitet damit ständig neue Werke von zeitgenössischen Komponisten.
Orchestrale Klangfülle
Bevor man es nicht selbst gehört hat, macht man sich kaum eine Vorstellung, welch orchestrale Klangfülle und welchen Reichtum an suggestiven, dunklen bis halbhellen Farben (die Klangfarben der Marimba sind in allen Tonlagen etwas gedeckt) die zwei Spieler mit ihren acht Schlägeln (je zwei in einer Hand) zu erzeugen imstande sind. Bestechend war auch die Klarheit und Transparenz des Klangbildes, die auch im dichtesten kontrapunktischen Gewebe nicht verloren ging.
Das erwies sich natürlich vor allem bei den "Goldberg-Variationen" als glücklicher Umstand, aber auch bei den weniger gewichtigen Nummern des ersten Teils, in denen das klangliche und virtuose Element im Vordergrund stand, wie in dem eingangs gespielten Stück "Departure" von Emmanuel Séjourné, einem viel gefragten Komponisten und Interpreten zwischen Klassik, Jazz und Pop. Das Stück bot ein echtes Brillantfeuerwerk schon zum Auftakt: Eine Art von virtuos verziertem Balladenthema, mündend in einen tänzerisch-turbulenten Latin-Jazz. Farbensatt und stimmungsvoll ins neue Medium umgesetzt wurden die Transkriptionen bekannter Orchesterstücke von Astor Piazzolla (das schwermütige Andante aus der Tango Suite Nr. 2) und Maurice Ravel (das vielfarbig schillernde "Alborada des Gracioso"). Die restlichen zwei Programmnummern waren jüngeren Datums: Ein charmanter, federleichter Jazz-Walzer von Daniel Nikolas Wirtz und das ebenfalls für Marimba geschriebene Stück "Like blind men tapping in the dark" der amerikanischen Komponistin Libby Larsen, die in ihrer langen Musikerkarriere in den unterschiedlichsten Gattungen fruchtbar war. Das Besondere an ihrer Komposition ist, dass die zwei Spieler an nur einem Instrument einander gegenüberstehen und sich gegenseitig die kleinteiligen, rhythmisch ostinaten, zeitlich versetzten Motive und Muster zuspielen.
Zeitlos-transzendente Musik
Bachs 1741 veröffentlichte 30 "Goldberg-Variationen" sind eigentlich für Cembalo gesetzt und demonstrieren exemplarisch die barocke Kunst der Variation, in dem sie sämtliche Stile der Epoche mit einbeziehen. Hier übernahmen die Marimbaphone von Katarzyna Mycka und Conrado Moya die Aufgaben des zweimanualigen Cembalos, um einmal mehr zu beweisen, was freilich auch schon von anderen Interpreten mit anderen Mitteln bewiesen wurde: Dass diese absolute Musik letztlich zeitlos-transzendent und in ihrer Wirkung damit unabhängig von zeitgebundenen Klangträgern ist.
Davon abgesehen waren diese 45 Minuten allein schon physisch eine unglaubliche Leistung, in der atemberaubende technische Brillanz, absolute Konzentration und Hingabe zu einem in seiner Art wohl einmaligen Hörerlebnis zusammenschmolzen. Dementsprechend war der Beifall im Rathaussaal. Die gewünschte Zugabe hatten Katarzyna Mycka und Conrado Moya freilich schon vorher mit der finalen Wiederholung der "Aria" der Goldberg-Variationen geliefert.