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Igersheim: Mein Leben mit deiner Niere: Wie eine Organtransplantation die Beziehung eines Paares verändert

Igersheim

Mein Leben mit deiner Niere: Wie eine Organtransplantation die Beziehung eines Paares verändert

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    Im Juli hat Sabine Kraft ihrem Mann Markus eine Niere gespendet. Sechs Monate später ist die Transplantation nach wie vor präsent und das Paar spricht fast täglich darüber. 
    Im Juli hat Sabine Kraft ihrem Mann Markus eine Niere gespendet. Sechs Monate später ist die Transplantation nach wie vor präsent und das Paar spricht fast täglich darüber.  Foto: Silvia Gralla

    Nur wenige Zentimeter sind die Narben lang. Verblasste Schnitte in der Haut, die Schmerzen längst abgeklungen. "Die Niere arbeitet einwandfrei", sagt Markus Kraft. "Es geht mir gut – auch wenn ich nach wie vor merke, dass da unten etwas sitzt." Etwas. Ein fremdes Organ. Die Niere, die ihm seine Frau Sabine im Juli gespendet hat. "Das ist ein Geschenk – ich bin einfach nur dankbar."

    Mittlerweile ist es Dezember. Auf den Äckern rund um Reisfeld im Main-Tauber-Kreis liegt Schnee, in den Fenstern leuchten erste Weihnachtslichter. Noch spüre er die Niere beim Sitzen, beim Aufstehen, beim Arbeiten. "Es ist ständig im Kopf und ich kann das nicht wegdenken", sagt Markus Kraft.

    Bis zu einem Jahr könne es dauern, bis das Fremdkörpergefühl nachlasse, bis sich das transplantierte wie ein eigenes Organ anfühle. So hätten es die Ärzte prognostiziert. "Aber meine Nierenwerte sind top", sagt Kraft. "Und das Beste ist: Auch Sabine geht es sehr gut."

    Seit der Transplantation fühlt sich Sabine Kraft "ein bisschen" für ihren Mann verantwortlich

    Der 52-Jährige legt den Arm um seine Frau, zieht sie näher an sich heran. Sie strahlt. "Für mich ist es unbegreiflich, dass ich mit einer Niere lebe und es sich genauso wie zuvor mit zweien anfühlt", sagt Sabine Kraft.

    Sie arbeite wieder normal, müsse sich im Alltag nirgends einschränken. Abgesehen von einer tauben Hautstelle im Bereich der linken Leiste spüre sie keine Veränderung – und auch nicht, "dass etwas fehlt".

    Der Alltag läuft für das Ehepaar Kraft nach einer Nierentransplantation wieder normal, die Nachsorge bleibt wichtig.
    Der Alltag läuft für das Ehepaar Kraft nach einer Nierentransplantation wieder normal, die Nachsorge bleibt wichtig. Foto: Silvia Gralla

    Sicher habe die Transplantation die Beziehung verändert, sagt die 52-Jährige. Intensiviert. Abends lägen sie oft auf dem Sofa und sie streichle über die Stelle, an der ihre Niere nun bei ihm sitze, suche den Kontakt. "Wir reden fast täglich darüber", sagt Sabine Kraft.

    Und ja, seit der Transplantation fühle sie sich "ein bisschen für ihn verantwortlich". Sie achte darauf, dass ihr Mann seine Medikamente einnehme, sich gesund ernähre. "Wenn ich zu viel arbeite, bekomme ich von ihr einen Rüffel", sagt Markus Kraft und lacht. Eine Ermahnung, besser auf sich aufzupassen. Und auf die Niere. Ihre Niere, die jetzt seine ist.

    "Für mich ist es unbegreiflich, dass ich mit einer Niere lebe und es sich genauso wie zuvor mit zweien anfühlt."

    Sabine Kraft, Organspenderin

    Rückblick. Am 5. Juli 2023 bekommt Markus Kraft im Uniklinikum Würzburg eine Niere seiner Frau transplantiert. Zwei Stunden und 45 Minuten dauert die Organentnahme, zweieinhalb Stunden das Einsetzen. Beide Eingriffe verlaufen ohne Komplikationen, die Ärzte sind zufrieden.

    Sabine Kraft kämpft in den ersten Tagen nach der Narkose mit Übelkeit und Wundschmerzen. Ihre Niere aber arbeitet sofort in ihrem Mann. Fünf Tage nach der Transplantation darf sie nach Hause, ihr Mann wird einen Tag später entlassen. Mit normaler Nierenfunktion. "Das ist Freiheit pur", sagt der 52-Jährige damals. "Für mich ist das wie ein Traum."

    Bereits 16 Jahre zuvor hatte Markus Kraft ein Herz transplantiert bekommen. Die Medikamente, die er seitdem gegen eine Abstoßung einnehmen musste, hatten seiner Niere zugesetzt, ihn an die Dialyse gezwungen. Allerdings vertrug sein transplantiertes Herz die Behandlung schlecht. Ein Teufelskreis. Ohne die Spende seiner Frau hätte er es nicht geschafft. "Sie ist mein Engel", sagt Markus Kraft schlicht.

    Seitdem lebt der 52-Jährige mit zwei transplantierten Organen, aber ohne Dialyse. Bei beiden Ehepartnern sei "die akute Komplikationsgefahr vorbei", sagt Prof. Kai Lopau, Nephrologe und Leiter des Nierentransplantationsprogramms an der Uniklinik Würzburg. Wichtig bleibe aber, die Nachsorge ernst zu nehmen.

    Im Jahr 2023  wurden an der Uniklinik Würzburg 35 Nieren transplantiert

    Für Sabine Kraft als Spenderin heißt das, auf ihren Blutdruck und ihr Gewicht zu achten und einmal jährlich zum Kontrolltermin in die Uniklinik zu kommen. Wenn nichts Unvorhergesehenes mit der verbliebenen Niere passiere, könne sie ganz normal leben und "damit 100 Jahre alt werden", sagt Lopau.

    Das Bild zeigt das Ehepaar Kraft (Mitte) mit dem Chirurgen Dr. Johan Lock (ganz links) und dem Nephrologen Prof. Kai Lopau wenige Tage nach der Transplantation im Juli 2023 in der Uniklinik Würzburg. 
    Das Bild zeigt das Ehepaar Kraft (Mitte) mit dem Chirurgen Dr. Johan Lock (ganz links) und dem Nephrologen Prof. Kai Lopau wenige Tage nach der Transplantation im Juli 2023 in der Uniklinik Würzburg.  Foto: Thomas Obermeier

    Markus Kraft hingegen muss monatlich zur Nachkontrolle bei seinem Nephrologen im Main-Tauber-Kreis und zwei Mal pro Jahr in die Uniklinik. "Abstoßungen kann es lebenslang geben, das droht immer", warnt Lopau. Das Risiko werde nach einem halben Jahr geringer, "aber man darf sich nie darauf verlassen, indem man etwa die Medikamente selbstständig absetzt oder mit zusätzlichen paramedizinischen oder naturheilkundlichen Substanzen den Erfolg gefährdet".

    Grundsätzlich könne Markus Kraft mit der Niere seiner Frau "alt werden", sagt Lopau. 15 bis 20 Jahre halte eine gespendete Niere durchaus. Der Nephrologe weiß, wovon er spricht. Allein in diesem Jahr wurden an der Uniklinik Würzburg 35 Nieren transplantiert, davon 15 von Lebendspendern. "Das ist absoluter Rekord", sagt Lopau. "Und das soll auch so weitergehen, denn das bleibt die beste Art, den Patienten zu helfen."

    Weihnachten will das Ehepaar Kraft im Familienkreis feiern. Der große Wunsch fürs nächste Jahr ist ein erster Urlaub nach der Transplantation.
    Weihnachten will das Ehepaar Kraft im Familienkreis feiern. Der große Wunsch fürs nächste Jahr ist ein erster Urlaub nach der Transplantation. Foto: Silvia Gralla

    Nur: Nach wie vor ist die Bereitschaft zur Organspende in Deutschland gering. Nach Daten der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung stehen 8496 Menschen auf der Warteliste für ein Spenderorgan, die meisten hoffen auf eine Niere. Allerdings gab es 2022 bundesweit nur 869 Organspenderinnen und Organspender.

    Für das Ehepaar Kraft war genau das ein Grund, seine Geschichte öffentlich zu erzählen. Sie wollen, sagt Sabine Kraft, anderen Paaren Mut machen. Und aufklären. Natürlich seien sie auf die Berichterstattung angesprochen worden, sagt die 52-Jährige. "Die Reaktionen waren immer positiv." Andere Betroffene hätten sich jedoch kaum gemeldet. "Vielleicht haben die Leute Hemmungen."

    Sabine Kraft bereut ihre Entscheidung für die Organspende nicht

    Und wie geht es jetzt für das Paar weiter? Weihnachten wollen Sabine und Markus Kraft mit der Familie feiern. Gemütlich, ohne zu viel Trubel, um Markus Kraft vor Infekten zu schützen. Sein Immunsystem bleibt anfällig, geschwächt. Deshalb muss auch ein großer Traum noch etwas warten.

    "Wir möchten so gerne in den Urlaub fliegen, ins Warme", sagt Sabine Kraft. Das war das große Ziel nach der Transplantation. Noch würden die Ärzte abraten. "Da müssen wir jetzt durch, aber im Frühjahr könnte es gehen", sagt die 52-Jährige. Zumindest eine kleine Reise, ein Durchatmen. Und nächstes Jahr, "wenn alles stabiler ist, dann wollen wir nach Mexiko".

    Langfristig, sagt Markus Kraft, will er auch weniger arbeiten, kürzertreten. Einfach sei das jedoch nicht, als selbstständiger Landwirt hänge der Betrieb an ihm. Kraft zuckt die Schultern, seine Frau drückt seine Hand. "Wir schaffen das." So wie sie die Transplantation geschafft haben. Gemeinsam.

    "Es war schon eine große Belastung und keine Kleinigkeit", sagt Sabine Kraft. Sie will weder beschönigen noch jammern. "Aber ich würde es auf jeden Fall wieder machen." Sie kuschelt sich enger an ihren Mann. Vier Augen strahlen. "Der Zweck heiligt die Mittel und es kommt nur darauf an, dass es ihm besser geht."

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