Vier Wochen nach einer wüsten Schießerei zwischen einem Reichsbürger und Polizisten im baden-württembergischen Boxberg (Main-Tauber-Kreis) nähren Recherchen des Südwestrundfunks (SWR) den Verdacht: In der 7000-Einwohner-Kleinstadt zwischen Würzburg und Heilbronn könnte sich in aller Stille ein Treffpunkt für Rechtsextreme, Querdenker und Reichsbürger etabliert haben – was den Behörden nicht verborgen blieb.
Razzia am markanten Datum
War das Datum für den Einsatz ein Zufall? Ausgerechnet am 20. April – dem Tag, an dem die rechte Szene allen Verboten zum Trotz Adolf Hitlers Geburtstag feiert – formierte sich im 400-Einwohner-Stadtteil Bobstadt am Haus eines mutmaßlichen Reichsbürgers ein Polizeiaufgebot. Für den Anlass – Beschlagnahme einer Pistole, für die der Mann keine Erlaubnis mehr hatte – war das Aufgebot ungewöhnlich groß: 250 Polizistinnen und Polizisten einschließlich Unterstützung aus Bayern, Panzerfahrzeugen und SEK-Beamten.
Die Vorsicht erwies sich als berechtigt, wie der rasch eskalierende Einsatz zeigte: Ein 54-jähriger Kampfsportler verschanzte sich und feuerte mit einer automatischen Kalaschnikow auf die Einsatzkräfte. Sein Haus geriet in Brand, es gab mehrere Explosionen. Schließlich ergab der Mann sich. Im Haus fanden Spurensicherer zwei begehbare Waffenkammern, überall lagen Waffen und Munition herum, darunter ein Maschinengewehr, sowie Nazi-Devotionalien.
Generalbundesanwalt ermittelt
Jetzt ermittelt nicht mehr die Staatsanwaltschaft Mosbach, sondern Deutschlands oberster Ankläger in Karlsruhe zu dem Fall, der vor seiner eigenen Haustür spielt: Generalbundesanwalt Peter Frank stammt aus Lauda, keine zehn Kilometer entfernt. Auskünfte zum Stand der Ermittlungen in Boxberg gibt es aus seinem Haus derzeit nicht - auch nicht zum zweiten Großeinsatz eines Spezialeinsatzkommandos, der Mitte Mai an selber Stelle stattfand.
Doch die Behörde hat "wegen der besonderen Bedeutung" den Fall an sich gezogen, bestätigte eine Sprecherin. Immerhin geht es nicht mehr um illegalen Waffenbesitz, sondern um den Verdacht des 15-fachen Mordversuches gegen Polizeibeamte.
Runen an der Hauswand, rechtsextreme Aufkleber
Wer sich im Stadtteil Bobstadt umschaut, kann kleine und große Zeichen für eine rechte Gesinnung mancher Bürgerinnen und Bürger nicht übersehen: Mannshoch prangt an der Wand eines durchsuchten Hauses eine Rune, ein nach oben zeigender roter Pfeil – für Kenner der rechtsextremen Szene ein unübersehbarer Fingerzeig. Die Tyr-Rune wurde schon den Absolventen der NSDAP-Kaderschmiede verliehen. Unter Neonazis gilt sie als Zeichen für Krieg und Kampf.

Eine zweite Rune an der Hauswand daneben erinnert nach Recherchen des SWR an das straff organisierte rechtsextreme Netzwerk "Reconquista Germanica". Und auf einem Zigarettenautomaten, nur wenige Meter vom Ort der beiden SEK-Einsätze entfernt, sieht man Aufkleber der als rechtsextrem geltenden "Identitären Bewegung" und der rechtsextremen Kleinstpartei "Der III. Weg".

Laut SWR gibt es auch Hinweise auf rassistische Vorfälle in Boxberg, geheime Treffpunkte mit Reichskriegsflaggen, eine Neonazi-Gaststätte am Waldrand und Konzerte mit rechtsextremen Bands 2016 und 2020. Der Name des Hauptverdächtigen taucht immer wieder in Verbindung mit bekannten Größen der Rechtsextremen-, Querdenker- und Reichsbürgerszene in der Region auf.
Damit konfrontiert, erklärt Bürgermeisterin Heidrun Beck (parteilos): Die Stadt wolle die Augen "vor der erschreckenden politischen Entwicklung im gesamten Land" nicht verschließen. Nach wie vor habe sie aber keinerlei Erkenntnisse auf rechtsradikale Vorgänge in ihrer Amtszeit.