"Ich konnte einfach nicht mehr." Carola Müller-Arnold, die zusammen mit ihrem Mann einen Ackerbaubetrieb in Impfingen im Main-Tauber-Kreis führt, erinnert sich noch genau an die Zeit acht Monate nach der Geburt ihres dritten Kindes. Damals wusste die Landwirtin noch nicht, dass sie an einer postpartalen Depression litt, bekannt als Kindbett- oder Wochenbettdepression. Eine Erkrankung, von der nach Schätzungen zehn bis 15 Prozent der Mütter betroffen sind. Meist kurz nach der Geburt, manchmal auch noch Monate später.
Eine Depression verschwindet nicht einfach spurlos. Sie hinterlässt Narben, die das Leben der gesamten Familie prägen. Für Landwirtin Carola Müller-Arnold liegt die schwere Zeit 17 Jahre zurück. Ihr jüngstes Kind war gerade mal acht Monate alt, die älteren beiden sechs und acht Jahre. "Die Büroarbeit habe ich am Abend erledigt, um tagsüber für die Kinder, Haushalt und Hof da zu sein", erinnert sich Müller-Arnold. "Abends füllte ich Agrarförderanträge aus, während ich gleichzeitig die Jüngste stillte." Nachts habe sie kaum noch Ruhe gefunden. "Ich fühlte mich nur noch erschöpft und war oft gereizt."
Vor allem Landwirtinnen und Landwirte stark psychisch belastet
Dann kam der Pfingstmontag 2008. Carola Müller-Arnold hatte geplant, mit ihrer älteren Tochter zur Pferdesegnung nach Distelhausen zu reiten. Doch beide Pferde litten an einer Hufkrankheit, ein Tierarzt musste gerufen werden. "Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte", sagt die 53-Jährige. Als sie kurz darauf mit ihrem unruhig schlafenden Baby beim Hausarzt war, habe der am Ende gefragt, wie es ihr selbst gehe. "In diesem Moment brachen alle Dämme, und ich konnte nicht mehr aufhören zu weinen."
Erhebungen zufolge erkranken Landwirtinnen und Landwirte sehr viel häufiger an Angststörungen, Burnout und Depression als die Durchschnittsbevölkerung. "Die seelische Not in der Landwirtschaft nimmt seit Jahren zu", sagt Wolfgang Scharl, Leiter der Ländlichen Familienberatung in Würzburg.

Woran das liegt? "Eine Landwirtschaft zu führen bedeutet viel Arbeit - und zwar 365 Tage im Jahr", sagt Carola Müller-Arnold. Gleichzeitig sinke das Ansehen in der Gesellschaft, die bürokratischen Hürden werden immer mehr. "Hinzu kam bei mir noch die Überforderung mit drei kleinen Kindern und das Stillen, das ja eine zusätzliche körperliche und psychische Anstrengung ist."
Erschöpfungsdepression: Der Hausarzt erkannte die Symptome
Sie sei damals unglaublich müde gewesen und habe unter extremen Schlafstörungen gelitten. "Ich fühlte mich unwohl und hatte eine Art Druck auf der Brust. Aber ich wusste einfach nicht, was mit mir los ist." Ihr Arzt diagnostizierte eine Erschöpfungsdepression. "Bei Frauen, die noch stillen, spricht man im ersten Lebensjahr des Kindes von einer Wochenbettdepression", erklärt die 53-Jährige heute mit ihrem Wissen. Sie sei dankbar, dass ihr Hausarzt ihre Symptome ernst genommen habe und ihr helfen konnte.
"In diesem Moment brachen alle Dämme und ich konnte nicht mehr aufhören zu weinen."
Carola Müller-Arnold, Landwirtin aus Impfingen
Mit Medikamenten, einer Verhaltenstherapie bei einer Psychologin und der Unterstützung ihres Ehemanns habe sie gelernt, sich selbst mehr Wertschätzung entgegenzubringen, sagt die Landwirtin. "Jetzt stehe ich an erster Stelle und nicht mehr die Arbeit. Tatsächlich hat mir erst die Krankheit das Selbstbewusstsein gegeben, auch mal Nein zu sagen und mich auszuruhen, wenn ich das für nötig erachte." Sie habe sich damals eine Haushaltshilfe gesucht, die sie unterstützte.

Heute wisse sie, welche Schritte sie unternehmen muss, um sich aus einem emotionalen Tief wieder herauszuziehen. Carola Müller-Arnold sucht dann bewusst Ruhe in der Natur, verbringt mehr Zeit mit ihren Pferden oder gönnt sich eine Nordic Walking-Runde mit ihren Hunden. Ihrer Tochter gegenüber plage sie auch heute noch ein schlechtes Gewissen: "Wenn man depressiv ist, fehlt einem die Empathie. Man ist selbst so gefühllos." Was ihre Tochter wohl aus dieser Zeit mitgenommen habe, sei ein sehr gutes Gefühl für Menschen, denen es nicht so gut geht.

"Obwohl Ärztinnen und Ärzte in Gynäkologie und Pädiatrie regelmäßig junge Familien betreuen, wird nur ein Bruchteil der psychischen Erkrankungen der Eltern rund um die Geburt frühzeitig erkannt", sagt Dr. Andrea Gehrmann, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie an der Uniklinik in Würzburg. "Viele Frauen und Männer haben Scham- und Schuldgefühle und müssten routinemäßig nach ihrem psychischen Befinden gefragt werden, um sich zu öffnen. Dabei lassen sich diese Leiden bei rechtzeitiger Diagnose meist gut und schnell therapieren", erklärt die Oberärztin.
Heute hilft Carola Müller-Arnold ehrenamtlich anderen Erkrankten
Im Rückblick empfinde sie beinahe Dankbarkeit für diese Krise, meint Carola Müller-Arnold. Als es ihr nach einigen Jahren wieder besser ging, habe sie die Begriffe "Landwirtschaft" und "Psychologie" in die Google-Suchleiste eingegeben. Das erste Ergebnis, das aufleuchtete: Landwirtschaftliche Familienberatung Würzburg. Ohne zu zögern bewarb sich die dreifache Mutter dort und ließ sich zur ehrenamtlichen Beraterin ausbilden.

Durch ihre eigene Erfahrung kann sich die 53-Jährige heute gut in andere hineinversetzen. "Ganz wichtig ist mir auch, gegen diese Stigmatisierung von depressiv und psychischen Erkrankungen anzukämpfen." Deshalb gehe sie mit ihrer eigenen Erkrankung bewusst an die Öffentlichkeit. Carola Müller-Arnold will Menschen helfen, eine psychische Krise zu erkennen - "und auch wieder hinauszufinden".
Hilfe bei postpartaler DepressionDie Mutter-Kind-Sprechstunde in der Uni-Frauenklinik in Würzburg ist offen für (werdende) Mütter und Väter, die während der Schwangerschaft oder nach der Geburt psychische Unterstützung brauchen. Für eine Behandlung benötigen die Betroffenen eine Überweisung vom Haus- oder Frauenarzt. Informationen und Anmeldung zur Sprechstunde unter Tel. (09 31) 20 17 78 00 oder (09 31) 20 17 75 35.Die Ländliche Familienberatung für Landwirtschaft, Wein- und Gartenbau in der Diözese Würzburg ist erreichbar in der Ottostraße 1, 97070 Würzburg, Tel. (09 31) 386 63 725, www.lfb-wuerzburg.deCarola Müller-Arnold spricht bei der Fachtagung "Familie, Haushalt, Betrieb" in Bad Mergentheim am Mittwoch, 5. Februar, zum Thema "Landwirtschaft und Lebensfreude: Wie geht das noch zusammen?". Anmeldung beim Landwirtschaftsamt Main-Tauber-Kreis unter Tel. (07931) 48 63 07 oder per E-Mail: LWA-veranstaltungen@main-tauber-kreis.de clk