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Eußenhausen: Als nachts auf der Schanz die Grenze aufging: Was hat sich dort am 10. November 1989 ereignet – und heute?

Eußenhausen

Als nachts auf der Schanz die Grenze aufging: Was hat sich dort am 10. November 1989 ereignet – und heute?

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    Zielfoto der Geschichte: Um 3.40 Uhr am 10. November 1989 fuhr der erste Trabi im dichten Nebel auf der Schanz bei Eußenhausen über die weiße Demarkationslinie in den Westen.
    Zielfoto der Geschichte: Um 3.40 Uhr am 10. November 1989 fuhr der erste Trabi im dichten Nebel auf der Schanz bei Eußenhausen über die weiße Demarkationslinie in den Westen. Foto: Georg Stock

    Mauerfall und Grenzöffnung waren die Sternstunde der deutschen Nachkriegsgeschichte: Am frühen Morgen am 10. November 1989, Stunden nach dem Mauerfall in Berlin, passierte um 3.40 Uhr auf der Schanz im Landkreis Rhön-Grabfeld der erste Trabi die Staatsgrenze der DDR auf der Fahrt in den Westen. 33 Jahre später: Was tut sich um diese Zeit auf dem ehemaligen Grenzübergang Eußenhausen-Meiningen?

    Gleicher Ort zur gleichen Zeit. Droben auf der Schanz ist das Fleckchen Erde ein anderes. Nicht nur, weil der Nachthimmel vom 9. auf den 10. November 2022 Wolken verhangen ist – im Gegensatz zur dichten Nebeldecke, die sich vor 33 Jahren über das Gelände gelegt hatte. Weit gravierender die Tatsache, dass die strengstens bewachte Grenzkontrollstelle Meiningen, die sich über Jahrzehnte hinweg aufgrund von Schikanen einen Namen gemacht hatte, komplett vom Erdboden verschwunden ist.

    Goldene Brücke als Symbol der Wiedervereinigung

    Wo früher auf der Anhöhe im Wald Minenfeld und Stacheldraht Angst und Schrecken verbreitet hatten, stehen inzwischen zahlreiche Skulpturen mit der Goldenen Brücke als prägende Symbole der Wiedervereinigung. Geschaffen von Künstler Jimmy Fell, der mit dem Skulpturenpark Deutsche Einheit auch ein Zeichen für ein neues Europa setzen möchte.

    Gleicher Ort, gleiche Zeit. Nichts bewegt sich am 10. November 2022 um 3.40 Uhr auf der Staatsstraße 2445 (früher B 19). Kein einziges Fahrzeug passiert am 33. Jahrestag zu dieser frühen Stunde die bayerisch-thüringische Landesgrenze. Also bloß die Zeit vergeudet in dunkler Nacht? Mitnichten. Der Reporter, der in der Stille auf der Schanz ausharrt, erinnert sich an die Ereignisse von 1989, als wären sie gestern gewesen.

    Günter Schabowskis Versprecher

    Zur rechten Zeit am richtigen Ort: Während eines arbeitsreichen Redaktionsalltags deutete damals nichts auf den Fall der Mauer und des Eisernen Vorhangs hin, den Günter Schabowski mit seinem Versprecher in der Pressekonferenz des SED-Politbüros in Berlin hinsichtlich der Reisefreiheit der DDR-Bürger ausgelöst hatte: "Meines Wissens gilt das ab sofort … unverzüglich".

    Während noch vor Mitternacht in der geteilten Stadt die Grenzdämme brachen, hatte sich dichter Nebel über die Schanz und den Grenzübergang Eußenhausen-Meiningen gelegt. "Bislang alles ruhig, es tut sich nichts", sagten die Beamten der Grenzpolizei Mellrichstadt dem Reporter vor Ort. Kurz vor Mitternacht machte er sich also wieder auf den Heimweg.

    Wann geht der Schlagbaum an der Schanz hoch?

    Doch an Schlaf ist nicht zu denken. Die Fernsehbilder aus Berlin mit dem Strom freudetrunkener Menschen, die die Grenzbarrieren einfach zur Seite schafften, haben aufgewühlt. Was, wenn der Schlagbaum auch auf der Schanz hochgeht? Da will, ja muss man dabei sein. Also hinaus in eine triste Novembernacht. Die Fahrt zur Schanz hinauf konnte nicht schnell genug gehen. Um schließlich das zu erleben, wovon die Deutschen zwar geträumt, woran aber nur wenige geglaubt hatten: die Öffnung der Grenze.

    So steht es im Protokoll der bayerischen Grenzpolizei

    Es ist, so hält es das Protokoll der bayerischen Grenzbeamten fest, 3.40 Uhr am Freitag, 10. November 1989, als der erste Trabi die Grenzanlagen passiert. Und der Reporter an der weißen Demarkationslinie, derart euphorisiert und voller Adrenalin, ließ jegliche Vorsicht außer Acht. Er bewegte sich zum Fotografieren auf DDR-Gebiet – noch 48 oder gar nur 24 Stunden vorher hätte man ihn wohl abgeführt.

    An der ehemaligen Grenze zwischen Eußenhausen und Henneberg standen vor 33 Jahren Grenzzäune und Wachtürme. Heute erinnert nur noch ein Schild an das ehemals geteilte Deutschland.
    An der ehemaligen Grenze zwischen Eußenhausen und Henneberg standen vor 33 Jahren Grenzzäune und Wachtürme. Heute erinnert nur noch ein Schild an das ehemals geteilte Deutschland. Foto: Georg Stock

    Glücksmomente im Minutentakt

    So aber gibt es Glücksmomente quasi im Minutentakt, wie dieser, der im Gedächtnis bleiben wird: Ein junger Motorradfahrer fährt langsam auf die Grenze zu, dreht zwei Ehrenrunden um die weiße Demarkationslinie, stoppt dann direkt dahinter auf bayerischem Gebiet, steigt ab und küsst bundesdeutschen Boden. "Davon hab ich immer geträumt", sagt er nur, nimmt sein Motorrad und fährt wieder zurück.

    Immer mehr DDR-Bürger strömten im Laufe des Tages über die Grenze nach Mellrichstadt, die Stadt füllte sich mit freudestrahlenden Menschen. "Wahnsinn, unfassbar und unglaublich" – drei Worte nur, die den Menschen immer wieder über die Lippen kamen. Da waren DDR-Bürger und bundesdeutsche Bürger einer Meinung, seit die Schlagbäume zwischen Ost und West geöffnet waren. Alles einfach unvorstellbar. Ein Mann aus Rentwertshausen feierte gar seinen Geburtstag in Mellrichstadt. "Mein schönstes Geschenk überhaupt", freute er sich über alle Maßen.

    Einmal auf die andere Seite von Deutschland

    Oder der Mann aus Schwickershausen, dem Nachbarort hinterm Zaun von Mühlfeld. "35 Jahre hab‘ ich hinüber zu euch geschaut. Nun ist der Tag da, wo ich von dieser Seite aus hinüber auf meinen Garten gucken kann", sagte er mit belegter Stimme. Nie im Traum hätte er je daran gedacht, dass die Grenze einmal aufmacht. Wie die Familie aus Suhl, die in aller Herrgottsfrüh den Grenzübergang Eußenhausen angesteuert hatte, mit dem Ziel, "einmal nur die andere Seite von Deutschland zu sehen".

    Straßen und Wege führen Menschen zusammen. So war die Straße zwischen Eußenhausen und Henneberg schon in frühester Vergangenheit ein verbindendes Element zwischen Nordbayern und Südthüringen, wie dies heute wieder so ist. Bedeutsam für den regionalen Verkehr und für alle, die heute zu den Arbeitsplätzen in Ost und West pendeln.

    A71, ein Projekt der Deutschen Einheit

    Nicht um 3.40 Uhr, sondern zwischen 5.30 und 8 Uhr nutzen Schüler und Pendler aus Thüringen heute diesen Weg zu ihren Lern- und Arbeitsstätten, vorwiegend in Mellrichstadt und Ostheim, wie Thomas Pfennig, stellvertretender Leiter der Polizeiinspektion Mellrichstadt, weiß. Wer seinen Job in Bad Neustadt oder gar in Schweinfurt hat, nutzt die Autobahn 71, ein Projekt der Deutschen Einheit, im Dezember 2005 eröffnet.

    Trabi an Trabi – am Tag der Grenzöffnung war Mellrichstadt im wahrsten Sinn des Wortes eine Trabantenstadt. Heute finden sich in der Stadt die MET- und NES-Kennzeichen bunt gemischt mit MGN- und SM-Kennzeichen – die kleine Welt rund um die Schanz kennt keine Grenzen mehr. Und belegt, dass "zusammenwächst, was zusammen gehört".

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