Der Himmel über der Rhön könnte an diesem Mittwochmorgen nicht blauer und verheißungsvoller sein. Wie harmlose kleine Kratzer erscheinen die Kondensstreifen der Flugzeuge hoch oben in der Luft. Die Wälder ringsum sind noch blattlos und kahl. Aber man ahnt, dass der Frühling auch hier im Mittelgebirge bald die ersten Knospen sprießen lässt.
Die Sonne schickt warme Strahlen in die Rhön hinab. Auf dem Feuerberg fallen sie auf die schreckliche Szenerie der niedergebrannten Kissinger Hütte. Neben dem Eingang steht ein Rest der Giebelwand mit den biberschwanzförmigen Holzschindeln noch. Die Fensterlaibungen geben den Blick frei in die aufgetürmten, verkohlten Balken des Gastraumes - oder hoch in den Himmel.

Es gibt keine Decke mehr. Das Kupferdach, das die Feuerwehr am Dienstagmorgen zur besseren Brandbekämpfung abgetragen hatte, liegt in zwei riesigen Knäueln neben der Ruine. Fest und unverrückbar steht nur das Fundament aus Basalt, dem Gestein des Feuerbergs.
Letzte Löscharbeiten der Feuerwehr noch am Mittwochmorgen
Die Stille hier oben mit der unvergleichlichen Rundumsicht wäre so schön. Aber der laue Wind trägt an diesem Mittwoch immer wieder den noch immer beißenden Geruch von Verkohltem heran. Noch am Morgen nach dem Brand war die Feuerwehr mit restlichen Löscharbeiten befasst. Das Feuer, das am Dienstagfrüh um 4.21 Uhr gemeldet worden war, wollte und wollte nicht endgültig verlöschen.

Die Kissinger Hütte, ein Juwel unter den Rhöner Berghütten wegen ihrer Panoramalage, ist für die Versicherung und für die Gutachter, die bald kommen werden, nurmehr eine Brandstelle. Und deshalb muss sie abgesichert sein. Dutzende Bauzaun-Elemente halten jetzt Neugierige von der Hüttenruine ab. "Wir sind zum Brandstellen-Schutz verpflichtet", sagt Manfred Egert. "Das haben wir gleich in der Versicherungspolice nachgelesen."
Drei Jahre nach der großen Sanierung - alles zunichte gemacht
Der Pensionär ist Vorsitzender des Rhönklubs Bad Kissingen. Und er ist Vorsitzender des Fördervereins, der gegründet worden war, um die teure Sanierung der Kissinger Hütte in zwischen 2020 und 2022 überhaupt erst zu ermöglichen. Über eine Million Euro für ein modernes Bettenlager, für eine neue Küche, Elektrotechnik und Infrastruktur waren nötig.
Da hieß es Klinkenputzen, Spendenaktionen, tausende freiwillige Arbeitsstunden. Alle Arbeit der vergangenen Jahre für den Erhalt dieses Rhöner Symbols auf dem Feuerberg hat das Feuer vom Dienstag zunichtegemacht.

Das Herz blutet nicht nur Manfred Egert, sondern auch seiner Frau Monika. "Unser Enkel Mike war bei den Arbeiten mit Leidenschaft dabei", erzählt sie. "Er wollte seine Kommunion in diesem Jahr eigentlich auf der Kissinger Hütte feiern."
Tausende Rhöner und Rhön-Besucher hegen Erinnerungen an das beliebte Haus
Die Oma blickt hinüber zu dem kleinen Spielplatz vor dem Eingang. Dort stand auch die Holzskulptur "Maria mit dem Kinde". Die Figur hat das Feuer beinahe schadlos überstanden. Hausmeister Hans-Georg Lippert, der in einem Nebengebäude eine Web-SDR-Station für Hobbyfunker aus aller Welt betreibt, passt auf die Holzschnitzerei auf.

Wie viele Kinder haben dort vor der Hütten seit Generationen gespielt? Wie viele im Karussell ihre schwindelerregenden Runden gedreht? Oder etwas abseits die ersten Schwünge auf Skiern gelernt, damals, als der Feuerberglift noch lief?
Wenn man seitlich in die Brand-Ruine blickt, erkennt man das verkohlte Überbleibsel des holzgetäfelten Gastraumes. Wer weiß, wie lange es dauert, bis hier wieder Bierkrüge aneinander stoßen und Messer und Gabeln in eine saftige Hüttenpfanne stechen können?

Stickige Luft, dunstig durchschwitzte Wanderkleidung, Schneekristalle an den Scheiben an einem kalten Wintertag, dafür als Krönung eines Hüttenabends das gemeinsam intonierte Kreuzberg-Lied: Tausende Rhönerinnen und Rhöner und vor allem Rhön-Besucher erinnern sich seit Dienstag an ihre ganz persönlichen Erlebnisse hier in der Kissinger Hütte.

Manfred Egert und sein Kollege Horst Karl haben für Sentimentalitäten am Mittwochvormittag schon keine Zeit mehr. Immer wieder klingeln die Handys. Die Baufirma, die ihre Unterstützung angeboten hat, will Instruktionen. Zwischendrin wird eine Warnbake aufgestellt, damit auch der ehrgeizigste Mountainbiker sieht, dass hier jetzt ein Absperrzaun steht.
Brandermittler der Kripo Schweinfurt auf Spurensuche in den Überresten
Aus allen Ecken kommen Hilfsangebote. Die Zeichen stehen auf Wiederaufbau. Doch erst einmal sind am Mittag zwei Brandermittler der Kripo Schweinfurt vor Ort. Mit ihrem geübten Blick finden sie Anzeichen dafür, wie sich der Brand entwickelt hat. Ein Beamter stakst vorsichtig durch die Gebäudereste. Eingestaubte, große Töpfe sieht man, im Büro-Regal lagern die nutzlos gewordene Kassenbon-Rollen. Das Geschwisterpaar Diana und Dennis Tisma, die Pächter der Hütte, würden von ihrer Miete jetzt natürlich befreit, sagt der Rhönklub-Vorsitzende.

"Das ist, wie wenn man zu einem Begräbnis kommt", sagt der Rhöner Landrat Thomas Habermann, der kurz nach den Brandermittlern an der Kissinger Hütte eintrifft. "Als Kind und Jugendlicher war ich oft hier, da unten in Waldberg habe ich meine halbe Kindheit verbracht", erzählt Habermann. Sein Vater hat hier einst als Landarzt gearbeitet.
Landkreise Rhön-Grabfeld und Bad Kissingen wollen nach Kräften helfen
Schon am Dienstag hatten der CSU-Politiker und sein Kissinger Landratskollege Thomas Bold ihre Hilfsbereitschaft angekündigt. Die ernste Miene, mit der Habermann am Mittwoch zum Brandort kommt, löst sich im Gespräch mit dem Rhönklub-Vorsitzenden Manfred Egert etwas. Der Wille, nach der anstrengenden Sanierung der vergangenen Jahre jetzt auch den Wiederaufbau in Angriff zu nehmen, ist beim Verein stärker als jede Verzweiflung.
Der Rhöner Landrat liest von seinem Handy WhatsApp-Nachrichten vor - von Hütten- und Rhön-Freunden, die schon am Tag nach dem Feuer große Benefizkonzerte und andere Aktionen zum Wiederaufbau planen. Eine neue Kissinger Hütte wird freilich etwas Anderes sein, sagt Habermann.
Immer wieder kommen Mountainbiker oder Wanderer vorbei, um einen Blick zu werfen auf das, was von der Kissinger Hütte übrig blieb. Einer wirft den Engagierten vom Rhönklub einen Gruß hinüber, so verheißungsvoll wie das Blau des Rhöner Himmels: "Auf Wiedersehen in der nächsten Hütte. Auf dass es bald weitergeht!"