Am 23. August 1942 erreichten Teile der sechsten Armee die Wolga bei Stalingrad. Damit begann eine Schlacht, die bis zum 3. Februar 1943 geführt wurde und rund 700 000 Soldaten das Leben kostete. Auch nach 75 Jahren gilt sie immer noch als Inbegriff sinnlosen Sterbens und erschüttert jeden, der sich mit diesem kriegerischen Geschehen beschäftigt.
Die Erinnerung daran hält der Großwenkheimer Erich Fries – er engagiert sich bei den Briefmarkenfreunden Bad Neustadt – auf eine ganz besondere Weise wach: Er sammelt Feldpostbriefe von und nach Stalingrad und macht sie mit den Briefmarkenfreunden am Wochenende 27./28. Januar in der Stadthalle in Bad Neustadt einer breiten Öffentlichkeit zugänglich.
Mahnung für den Frieden
Als sich die Schlacht von Stalingrad zum 70. Mal jährte, zeigte Fries einen Teil seiner umfangreichen Sammlung im Münnerstädter Rathaus und lockte damit 1000 Besucher an, die keinen Eintritt zahlten, sondern für den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge spendeten. Dieser Verein sorgt für die Pflege des Soldatenfriedhofs Rossoschka in der Nähe des heutigen Wolgograd, auf dem 103 000 deutsche Namen Mahnung für eine friedliche Gegenwart sind.
Eingemeißelt in Würfel 85, Platte 20, ist dort beispielsweise Otto Schwing. Sein kurzes Leben kann Erich Fries in der Stalingrad-Ausstellung recht ausführlich darstellen, da ihm die Familie des Wermerichshäuser Lehrersohns entsprechende Dokumente zur Verfügung stellte. Aus ihnen lässt sich ersehen, dass sich Wermerichshausens Bürgermeister mit einem Schreiben an die Einheit dafür einsetzte, dass Otto Schwing für ein Studium freigestellt werde – ein erfolgloser Versuch.
Drei Wochen unterwegs
Nachweisen lässt sich der Schriftverkehr, weil alle Briefe, die ins Feld geschickt wurden, gesammelt und in die Heimat zurückgeschickt wurden, nachdem die Empfänger sie gelesen hatten. Denn Möglichkeiten, Post irgendwo aufzubewahren, hatten die Soldaten natürlich nicht. Während die normale Feldpost etwa drei Wochen unterwegs war, kam die Luftfeldpost, die 1942 eingeführt wurde, mit einem Drittel der Zeit aus. Jeder Soldat erhielt vier Marken im Monat, zwei davon steckte er für die Antwort der Angehörigen in die Umschläge.
Von Otto Schwing erhalten sind nicht nur Briefe, sondern auch die Urkunde, mit der ihm am 10. November 1942 in Stalingrad das Eiserne Kreuz verliehen wurde, und die Nachricht, dass er seit 1. Januar 1943 vermisst sei. Dieses Datum wurde bei allen Toten eingesetzt, bei denen nicht mehr näher nachvollzogen werden konnte, wann sie gefallen sind.
Die Kost ist nicht schlecht
Aber der Begriff „vermisst“ führte dazu, dass Schwings Familie ihren Otto noch bis 1956 suchen ließ, die päpstliche Auskunftsstelle, das Rote Kreuz und Organisationen in Russland um Mithilfe bat – ergebnislos.
Auch der Feldpostbrief mit der Feldpostnummer 18882 B regte Erich Fries an, sich näher mit dem Schreiber zu beschäftigen. Er hieß Benno Volk, wurde 1909 geboren und schrieb am 16. August 1942 unter anderem aus Stalingrad „Die Kost ist nicht schlecht“. Zwei Tage vor seinem Tod im Januar 1943 überwies er noch 100 Reichsmark an seine Frau. Jetzt steht sein Name auf dem Großwenkheimer Friedhof neben vier weiteren bei den Gefallenen von Stalingrad. Als sechster Großwenkheimer kam Alois Schlembach lebend aus dem Kessel heraus, zwei Monate später starb er in der Kriegsgefangenschaft in Kasachstan.
150 Karten aus dem Ersten Weltkrieg
Auf die Idee, sich mit Feldpost zu beschäftigen, kam der gebürtige Burgläurer Erich Fries, als er vor 46 Jahren nach Großwenkheim heiratete und im Haus seiner Frau auf 150 Karten aus dem Ersten Weltkrieg stieß. Daraus entwickelte sich eine umfangreiche Sammlung von Militärbriefen aus verschiedenen Kriegen der vergangenen Jahrhunderte.
Der Schwerpunkt Stalingrad kristallisierte sich für den Obergefreiten der Reserve vor 30 Jahren heraus. Auslöser dafür war unter anderem die Tatsache, dass auch der Vater von Erich Fries unter den Toten von Stalingrad hätte sein können. Aber bei der Heeresteilung im Juli 1942 wurde er Richtung Kaukasus geschickt.
Kesselbriefe
Anfangs ging Erich Fries seiner Sammelleidenschaft bei Tauschtagen nach, er reiste nach München oder Essen, um Ausschau nach Feldpostbriefen zu halten. Heutzutage beteiligt er sich an eBay-Versteigerungen, bei denen für einen sogenannten Kesselbrief höchst unterschiedliche Beträge geboten werden: War der Verfasser ein einfacher Soldat, zahlt man etwa 20 Euro, lautete der Dienstgrad General, werden auch 300 Euro locker gemacht.
Als Mitglied der Briefmarkenfreunde Bad Neustadt wird Erich Fries die große Stalingrad-Ausstellung im Januar 2018 gemeinsam mit dem Mellrichstädter Erich Falk in der Bad Neustädter Stadthalle mit insgesamt rund 100 Stellwänden bestreiten und bewegende Einblicke in Soldatenschicksale geben.
Auszügen der gesamten Feldpost-Sammlung von Erich Fries kann man bereits am Sonntag, 20. August, in der Rudi-Erhard-Halle in Burglauer begegnen. Von 1693 bis zur Gegenwart bereichern die Ausstellungsstücke das Fest zum 140-jährigen Bestehen der Soldaten- und Reservistenkameradschaft Burglauer.