Eigentlich ist alles bekannt, was in Christoph Heins Roman "Guldenberg" von 2021 und nun in der Uraufführung einer Theaterfassung in den Meininger Kammerspielen verhandelt wird. Spätestens seit 2015 und seit Angela Merkels hoffnungsvoll gemeintem Satz "Wir schaffen das!" ist das Thema wieder einmal in der Welt: Was sich nach der Ankunft flüchtender Menschen, vor allem aus Syrien und Afghanistan, in deutschen Landen tat. Neu aufkeimende Fremdenfeindlichkeit, Misstrauen, Hass, Gleichgültigkeit auf der einen Seite. Auf der anderen: eine Welle von Hilfsbereitschaft und Verständnis.
Eigentlich sind die Anfeindungen bekannt, denen gerade unbegleitete Minderjährige aus islamischen Staaten ausgesetzt waren und sind. Trotzdem ist das, was Regisseur und Textbearbeiter Max Claessen und sein Team auf die Bühne stellen, bedenkenswert. Sieht man von der öffentlichen Aufmerksamkeit ab, die die Anwesenheit des Autors und des thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow verursachte, sieht man davon ab, rückt sofort der Blick auf Heins protokollarische Dichte und Nüchternheit der dialogreichen Schilderung der Ereignisse in der fiktiven Kleinstadt Bad Guldenberg in den Mittelpunkt. Der Schriftsteller selbst sagt, sein Roman sei Ergebnis der Beobachtungen des Alltags in den Kleinstädten, in denen er gelebt habe.
Kargheit des Bühnenbildes
Die Unmittelbarkeit der Aufmerksamkeit verdankt sich zunächst der bedrückenden Nähe des Geschehens. Im Großen Haus wäre die räumliche Distanz zum Publikum viel zu groß gewesen, um diesen Eindruck zu erzeugen. Bedeutsam ist auch die Kargheit des Bühnenbildes von Ilka Meier, das wie ein Resonanzkörper wirkt und das gesprochene Wort auf der Bühne direkt in den Saal zu werfen scheint: Eine weiße Wand mit fensterartigen Durchlässen. Davor ein Schlackenfeld.

So muss sich das Publikum auf die Personen konzentrieren, die sich über die hochsymbolischen Lavabröckchen bewegen, auf ihre vordergründigen Bekundungen und hintergründigen Motive. Christoph Hein versteht sich als ein am Rande stehender akribischer Chronist und Protokollant des Kleinstadtalltags. Bald wird klar, dass dies keine ausschließlich ostdeutsche Geschichte ist, sondern eine, die sich so oder ähnlich in jedem Provinznest der Republik ereignen könnte.

Aufruhr im schmucken kleinen Ort, nachdem einige unbegleitete Jugendliche aus Afghanistan und Syrien in einem leerstehenden Heim untergebracht wurden. Eigentlich sollte dort eine Pflegestation eingerichtet werden, aber die Stadtverwaltung hatte den Weg dazu nicht rechtzeitig geebnet. Persönliche Animositäten spielen eine Rolle, Machtkämpfe, Gier, Eitelkeiten und kulturelle Visionen der Honoratioren zur Stadtentwicklung.
Die Schauspielerinnen und Schauspieler
Auch die Befindlichkeiten der jungen Fremden werden differenziert wahrgenommen. Dazwischen treten besoffene Wutbürger mit über den Kopf gestülpten Papiertüten auf, die sie aussehen lassen wie Ku-Klux-Klan-Mitglieder (Kostüme: Christian Rinke). Sie werden das unwahre Gerücht verbreiten, ein 14-jähriges Mädchen sei von einem Heimbewohner vergewaltigt worden und legen eines Nachts Feuer im Heim.

Die Schauspielerinnen und Schauspieler proklamieren ihr Texte nicht. Miriam Haltmeier (Heimleiterin), Stefan Willi Wang (Bürgermeister), Michael Schrodt (Bürgermeisters Gegenspieler, Polizist), Michael Jeske (Unternehmer), Emma Suthe (Mädchen), Gunnar Blume (Pfarrer, Anwalt) und Ahmad Jolaak, Mirza Jbouri und Shadi Abdulhai als geflüchtete Jugendliche – sie alle mimen ihre Charaktere nachvollziehbar. So, dass man meint, ihre Ansichten im eigenen Umfeld schon vielfach selbst gehört zu haben.
Das Gefühl bedrückender Nähe der Ereignisse
Heins Sprache wirkt zwar nicht proklamatorisch, aber häufig hölzern, weil die Figuren nicht als Individuen auftreten, sondern als Typen charakterisiert werden. Hein protokolliert das gesprochene Wort, nicht die möglichen psychologischen Verknüpfungen. Das ist die Schwachstelle des mitunter spröde wirkenden Textes.
In der Theaterfassung versucht man diesen Mangel durch Andreas Kleins Videos dokumentarischer und atmosphärischer Szenen und durch Musikeinblendungen zu mildern. So geht es am Ende weit weniger darum, etwas Neues erfahren zu haben, sondern um das Gefühl der bedrückenden Nähe der Ereignisse, quer durchs Land, quer durch die Zeiten.
Nächste Vorstellungen: 4. Dezember, 19 Uhr, 22. Dezember, 19.30 Uhr, Kartentelefon: (03693) 451 222, www.staatstheater-meiningen.de