Wölfe sind auch in Unterfranken wieder heimisch. Was als Erfolg des Artenschutzes gilt, bereitet Weidetierhaltern enorme Probleme. Ein Teil der streng geschützten Tiere verhält sich unauffällig, andere töten Weidetiere. Die Diskussion über den Umgang mit Wölfen ist erbittert. Die Schweinfurter CSU-Bundestagsabgeordnete Anja Weisgerber, umweltpolitische Sprecherin der Unionsfraktion, fordert ein Umdenken der Politik.
Frage: Frau Weisgerber, dass wieder Wölfe in der Rhön, im Spessart und anderswo in der Region leben, sorgt nicht nur für Freude. Wie sehen Sie das?
Anja Weisgerber: Grundsätzlich muss man sagen, dass es eine Balance braucht. Eine Balance zwischen dem Artenschutz, der Akzeptanz der Bevölkerung und den Interessen der Weidetierhalter. Diese Balance geht gerade verloren. Die Wolfspopulation wächst ungebremst. Handeln wir nicht, verdoppelt sie sich alle drei Jahre. Gespräche mit Tierhaltern zeigen mir, dass nicht der Wolf vom Aussterben bedroht ist, die Weidetierhaltung aber schon. Niemand möchte den Wolf ausrotten, aber es muss die Balance geben.
Wo haben Sie sich über die Situation der Weidetierhalter informiert?
Weisgerber: Ich war in der Rhön, ich war im Süden Bayerns bei Almbauern, ich höre Erfahrungsberichte von Kollegen. Überall sind Angst und Verzweiflung bei Tierhaltern groß. Durch die wachsende Wolfspopulation wird ihnen die Arbeit sehr erschwert. Dabei ist die Weidetierhaltung zur Pflege der Landschaft zur Vermeidung von Verbuschung zum Schutz von Deichen unerlässlich. Da wird ein Handeln der Politik erwartet, doch hier lässt Umweltministerin Steffi Lemke die Menschen im Stich.
Ist eine Koexistenz von Wolf und Weidewirtschaft überhaupt möglich?
Weisgerber: Das würde funktionieren, wenn die Balance wiederhergestellt wird. Deswegen fordern wir ein aktives Bestandsmanagement. So könnte der Wolfsbestand durch Bejagung unabhängig von konkreten Rissen kontrolliert klein gehalten werden. Wenn wir weiter untätig bleiben beziehungsweise Regelungen beschließen, die nicht funktionieren, bleibt der Unmut bei den Weidetierhaltern groß.

Der Wolf ist auf europäischer Ebene streng geschützt. Lässt sich das ändern?
Weisgerber: Nach Erhebungen der EU-Kommission ist der "günstige Erhaltungszustand" beim Wolf erreicht. Die Kommission hat daher vorgeschlagen, den Schutzstatus des Wolfes von "streng geschützt" auf "geschützt" abzusenken. Die Bundesregierung muss diesem Vorschlag unverzüglich zustimmen. Wir verstehen überhaupt nicht, dass die Bundesregierung das Thema quasi blockiert und mit dafür sorgt, dass es nicht auf die Tagesordnung kommt.
Was sind die Hintergründe für diese Politik?
Weisgerber: Ich bin der Meinung, dass hier nach Parteiprogramm entschieden wird. Man hört nicht auf die Menschen und ihre Ängste.
Gibt es Beispiele für ein erfolgreiches Management von Wolfspopulationen?
Weisgerber: Ja, die gibt es. Sowohl in Frankreich als auch in Schweden wird der Wolfsbestand im Rahmen eines Bestandsmanagements begrenzt und klein gehalten. Frankreich zum Beispiel legt jährlich fest, wie viele Wölfe entnommen werden, damit der Bestand erhalten bleibt, aber nicht unkontrolliert wächst.
Die kürzlich beschlossene „Schnellabschussregelung“ soll die Entnahme nach Nutztierrissen vereinfachen. Funktioniert das?
Weisgerber: Ein Fokussieren auf Wölfe, die bereits Schäden angerichtet haben, ist rein reaktiv. Wir brauchen eine schadensunabhängige Begrenzung des Wolfsbestandes. Die Neuregelung ist zu bürokratisch und es dauert zu lange, bis die Abschussgenehmigung da ist und womöglich vor Gericht noch aufgehoben wird. Das führt zu unglaublicher Frustration bei den Tierhaltern. Ich habe eine Anfrage an die Bundesregierung zu dieser Regelung gestellt. Die Antwort: Kein einziger Wolf wurde seit Dezember auf dieser Basis geschossen.
Was bedeutet aktives Bestandsmanagement?
Weisgerber: Das bedeutet, dass wir den Wolfsbestand kontrolliert kleinhalten. Voraussetzung ist, dass der "günstige Erhaltungszustand" von der Bundesregierung festgestellt wird. Dann kann man definieren, auf welche Größe die Wolfspopulation begrenzt wird. Damit das Vorgehen rechtssicher ist, müsste der Schutzstatus des Wolfes herabgesetzt werden. Das aber blockiert die Ministerin. Argumente von Gegnern, das Bestandsmanagement würde nicht funktionieren, kann ich nicht nachvollziehen. Ich habe mich bei Verantwortlichen vor Ort in Schweden persönlich informiert. In der Praxis werden die Argumente nicht bestätigt.
Wie realistisch ist es, dass ein solches Bestandsmanagement doch noch umgesetzt wird?
Weisgerber: Ich weiß nicht, ob sich die Position der Bundesregierung noch mal ändert, oder ob gewartet werden muss, bis es eine neue Regierung gibt.
Was würde den Weidetierhalten schnell helfen?
Weisgerber: : Die Umweltministerkonferenz hat jetzt beschlossen, die Schnellabschussregelung zu konkretisieren, damit die Genehmigungen nicht ständig vor Gericht gestoppt werden. Das ist vielleicht ein erster kleiner Schritt. Die Verfahren müssten aber auch noch beschleunigt werden. Zusätzlich bleibe ich bei meiner Forderung, dass es ein aktives Bestandsmanagement braucht.
Bietet Herdenschutz keine ausreichende Sicherheit für die Tiere?
Weisgerber: Zum einen können Wölfe Zäune überwinden. Dann gibt es Gegenden, wo der Herdenschutz nicht funktioniert, zum Beispiel auf Almen oder Deichen. Oder wenn man die Rhön anschaut. Die Wanderschäfer dort müssen die Zäune ständig neu aufstellen. Wenn eine Unebenheit im Boden ist und der Wolf durchschlüpfen konnte, heißt es, der Herdenschutz sei nicht ausreichend gewesen und es gibt keine Entschädigung.

Wie könnten Entschädigungsregeln für Weidetierhalter verbessert werden, um deren Akzeptanz des Wolfes zu erhöhen?
Weisgerber: Der wirtschaftliche Schaden ist die eine Sache. Schlimm aber ist es für die Schäfer, wenn sie am Morgen gerissene Tiere auf der Weide finden. Was nützt es, wenn wir immer nur entschädigen und die Schäfer im Endeffekt sagen: Ich hänge an den Tieren und ich kann sie nicht beschützen, dann höre ich lieber auf.

In der Rhön gibt es Menschen, die sich nicht mehr trauen, hier zu wandern. Was sagen Sie denen?
Weisgerber: Also meine Familie und ich, wir wandern nach wie vor sehr gerne in der Rhön. Klar, Vorsicht ist immer besser als Nachsicht, aber bislang gibt es ja zum Glück keine Vorfälle in Deutschland. Es ist wichtig, dass wir nicht in Panik verfallen und den Weidetierhaltern konkret geholfen wird. Deshalb ist es wichtig, dass Umweltministerin Lemke endlich handelt.