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Feurige Show in der Heide

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Feurige Show in der Heide

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    Schlachtfeld: In einem Fiasko endete im September 1977 das First Rider Open Air Festival in Scheeßel. Michael Petzold (Zweiter von rechts) erlebte den Bühnenbrand mit.
    Schlachtfeld: In einem Fiasko endete im September 1977 das First Rider Open Air Festival in Scheeßel. Michael Petzold (Zweiter von rechts) erlebte den Bühnenbrand mit. Foto: Foto: Music-Joker

    Das „First Rider Open Air Festival“ am 3. und 4. September 1977 war das erste Rockfestival in Deutschland, das es gleichzeitig in die 20-Uhr-Nachrichten der Tagesschau und auf Seite 1 der Bildzeitung gebracht hat. Nicht wegen der angekündigten spektakulären Lasershow, die erstmals in Deutschland zu sehen sein sollte, sondern, weil enttäuschte Fans die Bühne in Brand gesetzt hatten.

    23 Gruppen sollten im Speedway-Stadion der niedersächsischen Kleinstadt Scheeßel in der Lüneburger Heide auftreten. Neben Nektar und den Byrds Gruppen wie Graham Parker, Eddie and the Hot Rods, Camel, Nektar, Klaus Schulze, Franz K oder Steppenwolf und Iron Butterfly. Die Aussicht auf zwei Tage Musik – mehrtägige Festivals waren damals die Ausnahme – wollten sich gut 30 000 junge Leute nicht entgehen lassen. Darunter auch ein damals 19-Jähriger, Michael Petzold aus Bad Bocklet, heute im Münnerstädter Stadtteil Brünn zu Hause. mit einem Freund.

    Am Ende traten auf dem von einem holländischen Tabakkonzern gesponserten Festival nur fünf Bands auf: Long Tall Ernie and The Shakers, Van der Graf Generator, Camel, Colosseum II und zuletzt Golden Earring.

    Als die holländische Rockband nach Mitternacht fluchtartig die Bühne verließ, brach das absolute Chaos aus. Während die meisten Festivalbesucher wie ich schauten, dass sie so schnell wie möglich vom Gelände kamen, als klar war, dass hier keine weitere Band mehr auftreten würde, ließen andere ihrer Wut freien Lauf. Ein lebensgefährlicher Flaschenhagel prasselte in Richtung Bühne, als Roadies der Band versuchten, das Equipment in Sicherheit zu bringen. Von den für den Ordnungsdienst verpflichteten Hells Angels war da längst nichts mehr zu sehen.

    Dann ging es Schlag auf Schlag. Besonders waghalsige erklommen das Gerüst, versuchten Lampen abzumontieren, während andere Teile der Anlage auf den gegenüberliegenden Campingplatz schleppten. Irgendwann brannte dann die Bühne. Hinter der Bühne abgestellte Wohnwagen wurden in die Flammen geschoben. Als dann die Feuerwehr anrückte, hagelte es wieder Flaschen. Ich habe selbst gesehen, wie ein Feuerwehrmann getroffen wurde und zu Boden ging. Der Einsatz währte nicht lange, weil sämtliche Schläuche zerschnitten wurden.

    Der Morgen graute, als ein paar Hundert verbliebene Rockfans ein dickes Seil an dem Gerüstgestänge festmachten und versuchten, es niederzureißen. Zu diesem Zeitpunkt waren die allermeisten Besucher längst auf und davon. Jetzt trat die Polizei, von der die ganze Nacht über nichts zu sehen war, in Mannschaftsstärke auf den Plan. „Ihr gefährdet euch doch selbst“, versuchte ein Sprecher die noch immer tobende Menge vor der Bühne von ihrem Tun abzuhalten.

    Die wütende Antwort soll hier aus Rücksicht auf den Berufsstand nicht näher ausgeführt werden, fiel aber derart aggressiv aus, dass es die Polizei vorzog, unverrichteter Dinge abzuziehen. Ein weiser Entschluss. Kaum auszudenken, was passiert wäre, wenn die Polizei eingeschritten wären. Das Gerüst erwies sich schließlich als zu stabil und irgendwann beruhigte sich die Lage – vorerst.

    Mein Kumpel und ich machten uns am Morgen auf den Weg ins Städtchen, weil wir einfach mal unsere Ruhe haben und Verpflegung kaufen wollten. Zurück in die Heimat trampen konnten wir nicht, weil wir mit seinen Eltern nach Scheeßel gefahren waren, die übers Wochenende Urlaub machten, so dass wir bis Montagvormittag auf sie warten mussten. In der noch handylosen Zeit waren sie vorher nicht zu erreichen, zumal in der Stadt die Telefonzellen zerstört waren. Als wir nach ein paar Stunden aufs Campinggelände zurückkamen, stapelten sich neben den Zelten die Bierpaletten. Den Sturm auf die Biercontainer hatten wir nicht mitbekommen. Die Brüder und Schwestern im Zorn waren aber gern zum Teilen bereit.

    Wie es zu dem Desaster kommen konnte, lässt sich heute nicht mehr schlüssig bis ins Detail nachvollziehen. Zumal sich die eh spärlichen Quellen zum Teil auch noch widersprechen. Natürlich ging es ums Geld. Die meisten Gruppen hatten wohl abgesagt, weil entweder die zugesagten Flugtickets nicht vorlagen oder sie Angst um ihre Gage hatten. Es soll Anrufe von der Konkurrenz gegeben haben, der Veranstalter, der vorher noch nie in Erscheinung getreten war, sei pleite. Das muss sich wie ein Lauffeuer herumgesprochen haben. Als einfacher Besucher blieb man ahnungslos. Außer den Gruppen ließ sich während des Festivals auf der Bühne niemand blicken. Es gab keine einzige Ansage.

    Wer noch die Naivität besessen hatte zu glauben, dass es im großen Rockbusiness um irgendetwas anderes ging als ums Geld, der wurde hier rabiat aus seinen Träumen gerissen. Das fing schon beim für damalige Verhältnisse hohen Eintritt von 36 Mark an, setzte sich über horrende Getränkepreise (zwei Mark für eine Büchse Bier) fort und endete bei Geschäftemachern aus der Szene. Dass Adressenverkauf schon in den 70ern üblich war, merkte ich nach dem Festival, als ich unaufgefordert diverse Schallplattenkataloge zugesandt bekam. Ich hatte meine Eintrittskarten per Post geordert.

    Was bleibt, ist der Trost, an einem Ereignis teilgenommen zu haben, das damals wegen seiner Einmaligkeit in vielen Details im Gedächtnis haften geblieben ist. Ich habe in den Jahren danach noch mehrere Festivals besucht, aber an keines kann ich mich auch nur ansatzweise so gut erinnern wie an die Chaosnacht in Scheeßel.

    Und was sonst noch zu sagen wäre: Ein Jahr später auf der Loreley kam es zu ähnlichen Ausschreitungen, als die Hauptgruppe Jefferson Starship nicht auftrat. Fans sollen damals vor der brennenden Bühne „Scheeßel, Scheeßel“ skandiert haben. Die Deutschrockband Franz K. widmete dem Festival sogar ein Lied. Und es dauerte 20 Jahre bis sich die Stadt Scheeßel wieder bereit erklärte, ein Festival im Speedwaystadion zu genehmigen. Das Hurricane-Festival ist seitdem fester Bestandteil im jährlichen Festivalkalender.

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