Es ist der Morgen nach dem Grillfest einer Teambildungsmaßnahme des Rhön-Klinikum Campus im Oktober 2023: Eine Betreuerin blickt aus dem Fenster Richtung Lagerfeuerplatz, wo am Abend zuvor gefeiert worden war. Sie habe eine Führungskraft gesehen, die dort umhergelaufen sei und "zurückgezogen und nachdenklich" gewirkt habe, beschreibt die Zeugin am dritten Prozesstag am Amtsgericht Bad Neustadt.

Der damalige leitende Mitarbeiter des Rhön-Klinikums muss sich dort verantworten, weil er zwei volljährige und einen minderjährigen männlichen Auszubildenden sexuell belästigt haben soll. Und laut Anklageschrift soll er in ihre Körper eingedrungen sein, sie also vergewaltigt haben.
Von den mutmaßlichen Vorfällen bei der Grillfeier weiß die Betreuerin an jenem Oktobermorgen beim Blick aus dem Fenster noch nichts. "Ich habe gedacht, vielleicht ist er nervös, weil er gleich einen Vortrag halten soll", sagt die Zeugin. Nach dem Frühstück habe der damalige leitende Mitarbeiter bei dem Vortrag dann gesagt, er könne sich nicht mehr genau erinnern, was am Vorabend vorgefallen sei. Er wolle sich aber entschuldigen für das, was gesagt oder getan wurde. "Ich wusste nicht, auf was sich das bezieht."
Der 45-jährige Angeklagte hatte am ersten Prozesstag ausgesagt, damals nur mäßig getrunken und eine klare Erinnerung an den Abend zu haben.

Der leitende Mitarbeiter sei zu später Stunde "gesprächig und gut drauf" gewesen, sagt die Zeugin. Es habe auch Berührungen gegeben, Schulterklopfen. Eine weitere Betreuerin berichtet vor Gericht von der Hand des Angeklagten auf den Schultern von Azubis. "Das hat er bei mir und einer Kollegin auch gemacht, ich habe mir nichts dabei gedacht."
Der Angeklagte sei offener und ausgelassener gewesen als sonst, beschreibt die Zeugin. Wie einige Azubis, darunter einer der mutmaßlich Betroffenen, sei er angetrunken gewesen. Mehr habe sie nicht beobachtet.

Zeugin berichtet von einer Hand des Angeklagten "hinter dem Rücken" eines Azubis
Die Betreuerinnen berichten, sie seien mit einem "guten Gefühl" von der Teambildungsmaßnahme nach Hause gefahren. Anders eine Auszubildende: "Ich habe den Abend in nicht so schöner Erinnerung und denke nicht gerne daran", sagt sie mit leiser Stimme im Zeugenstand.
Sie habe gesehen, wie die Hand des Angeklagten "hinter dem Rücken ein paar Zentimeter über der Hose" eines der Betroffenen verschwunden sei. Da habe sie lieber wegschauen wollen, sagt die Zeugin: "Ich fand das komisch, er war ja einer von den Chefs." Der Azubi habe daraufhin "komisch rübergeschaut". Sie habe nicht mehr am Feuer sitzen wollen und deshalb zu ihm gesagt: "Komm, wir gehen aufs Zimmer", was sie dann auch getan hätten.
Auf dem Weg habe ihr der junge Mann erzählt, der Angeklagte habe ihm in die Hose gefasst. Sie habe später gehört, es seien weitere Azubis betroffen, Namen kenne sie keine.
"Das zieht sich so durch, dass jeder ein bisschen was weiß, aber keiner so richtig etwas sagen will", erwiderte Richterin Katrin Hofmann. "Bei dem Flurfunk, der im Campus abgeht, können Sie mir doch nicht sagen, dass Sie die Namen nicht kennen", wird sie lauter. Sie habe sich "komisch" gefühlt, immerhin habe es sich um eine Führungskraft gehandelt. Sie rede nicht gerne darüber, sagt die Zeugin.

Einer der betroffenen Azubis habe ihm mehrere Wochen nach der Teambildungsmaßnahme anvertraut, der Angeklagte habe ihm ans Gesäß und in die Hose gefasst, sagt ein Ausbilder im Zeugenstand. Der junge Mann habe Angst geäußert, seinen Ausbildungsplatz zu verlieren, wenn er etwas sagt. Er kenne den Angeklagten privat und beruflich, sagt der Ausbilder. An dem Abend sei der 45-Jährige angetrunken, aber nicht betrunken gewesen. Von ungewöhnlichen Vorfällen habe er nichts mitbekommen.
Ehemalige Kollegin berichtet von Ekel des Angeklagten gegenüber Ausscheidungen
Eine Zeugin, die nicht bei der Teambildungsmaßnahme dabei war, aber lange mit dem Angeklagten zusammen gearbeitet hatte, sagt: "Mir ist nie etwas Derartiges aufgefallen." Sie schildert eine Eigenheit des Angeklagten, die aus Sicht der Verteidigung Vergewaltigung unwahrscheinlich mache: "Er ekelte sich extrem vor Fäkalien. Wenn es im Dienst darum ging, diese zu beseitigen, bat er immer Kollegen, das zu übernehmen. Oder zog mehrere Kittel und Handschuhe-Paare an."
Ob sich dieser Ekel auch auf Ausscheidungen innerhalb oder nur außerhalb des Körpers bezogen habe, fragt die Richterin. Das wisse sie nicht, antwortet die frühere Kollegin. Darüber hätten sie nie gesprochen.
Die Verhandlung wird am Donnerstag, 3. April, um 10 Uhr fortgesetzt.