Die Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen am vergangenen Wochenende haben für Entsetzen gesorgt – weit über die Bundeslandgrenzen der zwei Ost-Länder hinaus. Die AfD hat in Thüringen mit 32,8 Prozent nicht nur massiv an Stimmen hinzugewonnen, sie wurde auch stärkste Kraft im Zwei-Millionen-Einwohner-Bundesland. Und auch in Sachsen holte die rechtsextreme, ausländerfeindliche Partei über 30 Prozent der Wählerstimmen.

Für Menschen, die in der Grenzregion zu Thüringen oder Sachsen leben, stellt sich nach der Wahl die Frage, was der Rechtsruck bedeutet und ob sich für sie etwas ändert. Der Landkreis Rhön-Grabfeld im Norden Bayerns grenzt an die Landkreise Schmalkalden-Meiningen und Hildburghausen. In beiden gewann die AfD Direktmandate. Im Wahlkreis Hildburghausen bekam die AfD-Kandidatin Nadine Hoffmann sogar 41,6 Prozent der Stimmen der Wählenden. Rhön-Grabfelds Landrat Thomas Habermann ordnet das Wahlergebnis im benachbarten Thüringen ein und erklärt, wie er in Zukunft mit den Nachbarinnen und Nachbarn umgehen möchte.
Frage: Rhön-Grabfeld grenzt im Norden an die Nachbarlandkreise Schmalkalden-Meiningen sowie Hildburghausen und somit an Thüringen an. Wie haben Sie das Landtagswahlergebnis dort aufgenommen?
Thomas Habermann: Für mich war das Ergebnis nicht überraschend. Die vielen Umfragen haben es vorausgesagt. Trotzdem bedrückt es mich.
Die AfD hat in Thüringen 32,8 Prozent geholt. Im angrenzenden Wahlkreis Hildburghausen holte AfD-Kandidatin Nadine Hoffmann sogar mit 41,6 Prozent das Direktmandat. Welche Auswirkungen hat das Ergebnis auf den Landkreis Rhön-Grabfeld?
Habermann: Man muss abwarten, wie die politisch Verantwortlichen das Ganze aufnehmen. Gemeint sind damit meine Kollegin Peggy Greiser (parteilos, Landrätin Schmalkalden-Meiningen) und Sven Gregor (Freie Wähler, Landrat Hildburghausen). Ich denke, dass das Ergebnis keine Auswirkungen auf die gute politische Zusammenarbeit zwischen uns haben wird. Sie sind ja selbst die Leidtragenden.
Was erwarten Sie, dass sich kurzfristig ändert?
Habermann: Im politischen wie im gesellschaftlichen Leben wird es derzeit wohl noch keine gravierenden Auswirkungen haben. Wie es sich langfristig auswirkt, wird sich zeigen. In den Nachbarlandkreisen gehe ich nicht davon aus, dass es einen erhöhten Anteil an Bürgerinnen und Bürgern gibt, die eine nationalsozialistische Gesinnung haben. Ich sehe einen Grund der Wahlergebnisse darin, dass es derzeit Probleme gibt, die von der Politik aber nicht gelöst werden. Außerdem ist die Politik der Ampel-Regierung in Berlin sehr städtisch geprägt und geht an der Lebenswirklichkeit der Menschen im ländlichen Bereich weitgehend vorbei. Ein Beispiel: Die Leute hier auf dem Land interessiert das Gendern weitgehend nicht. Wir haben andere Probleme.

Das Thema Gendern wird aber ebenfalls vom bayerischen CSU-Ministerpräsidenten Markus Söder thematisiert und wurde sogar in Schreiben von Behörden, Schulen und Hochschulen verboten.
Habermann: Auch im Landratsamt Rhön-Grabfeld habe ich die Anweisung gegeben, nicht zu gendern. Es wird schriftlich nicht mit Sternchen oder Unterstrich gegendert, weil es eine Verhunzung der deutschen Sprache ist. Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind jedoch angehalten, sowohl die männliche als auch die weibliche Form zu nennen.

Warum wird in der Region nicht so viel AfD gewählt?
Habermann: Wir sind seit 1945 demokratisch ganz anders sensibilisiert worden. Die Bürgerinnen und Bürger in den neuen Bundesländern sind aus der Diktatur des Nationalsozialismus in die kommunistische Diktatur übergegangen. Das kann man niemandem vorwerfen. Die breite Masse der Bevölkerung hier bei uns beurteilt beispielsweise Aussagen von Björn Höcke mit völkischem Hintergrund sensibler als Menschen in den neuen Bundesländern.
Wie gehen Sie zukünftig damit um, wenn Sie auf Veranstaltungen sind, auf denen auch Landtagsabgeordnete der AfD aus Thüringen sind?
Habermann: Reiner Boykott der Kommunikation bringt nichts. Man muss den mühevollen Weg gehen und sich inhaltlich sowie argumentativ damit auseinandersetzen. Sie sind da und sie sind gewählt. Wir müssen demokratische Werte vermitteln. Deshalb halte ich nicht viel von Worten wie Brandmauer. Der Inhalt ist viel wichtiger und differenzierter. Menschen wie Höcke muss man sich mit klarer Sprache und Argumenten stellen. Es ist bezeichnend, dass er das Direktmandat in seiner Heimat nicht gewonnen hat.

Die aktuellen Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen waren überlagert von bundespolitischen Themen. Was ist jetzt wichtig?
Habermann: Die Menschen vor Ort wollen ihre eigenen Probleme gelöst haben. Man muss sie ernst nehmen. Ich gehe auf die Menschen zu – offen und auf Augenhöhe. Das sind für mich unsere Nachbarn, wie die aus Main-Spessart oder Schweinfurt.