Es zerbricht mir das Herz. Gemeinhin wird dieser Satz mit Liebeskummer, Trauer oder tief empfundenem Mitgefühl verbunden. Tatsächlich ist aber auch unter dem gebrochenen Herzen im medizinischen Sinn eine besondere Form des akuten Herzversagens zu verstehen, die nicht zu unterschätzen ist. Das sogenannte "Broken-Heart-Syndrom" wird durch starken emotionalen oder psychischen Stress ausgelöst und kann genauso lebensbedrohlich sein wie ein Herzinfarkt.
Die 72-jährige Juliane Härtel litt an dieser Erkrankung und wurde am Rhön-Klinikum Campus in Bad Neustadt erfolgreich behandelt. Sie sowie die beiden Mediziner Prof. Dr. Sebastian Kerber, Ärztlicher Direktor am Campus und Chefarzt der Kardiologie I, sowie Oberarzt Dr. Daniel Hansch erläutern die erstaunliche Erkrankung.
Wie eine Tintenfischfalle: Die Krankheit wird auch Tako-Tsubo-Syndrom genannt
Beim Broken-Heart-Syndrom handelt es sich um eine Pumpleistungsschwäche der linken Herzkammer als Folge einer schweren Belastung, führt Daniel Hansch aus. Die Krankheit wurde erstmals 1990 in Japan beschrieben. Das Bemerkenswerte ist, dass das Herz dabei ein ganz typisches Aussehen annimmt. Die Herzspitze bläht sich zu einem Ballon auf und nur noch die anderen Regionen ziehen sich zusammen.
Diese Besonderheit hat der Erkrankung ihren zweiten Namen gegeben. Während der Kontraktion ähnelt der aufgeblähte Herzteil einem Topf, der von japanischen Fischern zum Fangen von Tintenfischen verwendet wird, einem Tako-Tsubo. Dementsprechend wird die Krankheit auch Tako-Tsubo-Syndrom genannt.
Die eigentümliche Gestalt des Herzens lässt sich durch bildgebende Verfahren, wie zum Beispiel eine Herzkatheter-Untersuchung, erkennen. Tako Tsubo ist somit diagnostizierbar, und die ausgeprägte Herzschwäche – ausgelöst durch Stress und Leid – wird greifbar.

Das Herz von Juliane Härtel hatte nur noch 15 Prozent Pumpleistung
Juliane Härtel sei mit einem ungewöhnlichen Krankheitsbild zu ihnen an den Campus gekommen, blickt Prof. Kerber zurück. Die Gemündenerin habe unter einer schweren Herzleistungsschwäche gelitten und sei in einem sehr schlechten Zustand gewesen. Mit nur noch 15 Prozent Pumpleistung des Herzens. Normal seien 60 Prozent. Auch der Blutdruck sei sehr niedrig gewesen.
Die Herzschwäche hätte viele Ursachen haben können. Angefangen von Herzrhythmusstörungen über eine Lungenembolie bis zu einem Herzinfarkt. "Das hatte sie aber alles nicht", so Kerber. Auch die Koronargefäße seien in Ordnung gewesen.
Die Untersuchungen hätten aber ergeben, dass das linke Herz "in einen vorübergehenden Leistungsschlaf gefallen" sei und nicht mehr richtig arbeitete. Die Bildgebung habe dann das typische Aussehen des Tako-Tsubo-Syndroms offenbart. Vorher habe es bei der Patientin keine Herzprobleme gegeben, bis eben eine extreme Belastungssituation gekommen sei. "Es kommt hier zu dem Phänomen, dass ein komplett organisch gesundes Herz durch psychischen Stress lebensbedrohlich krank wird", betont Kerber.
Juliane Härtel: "Ich hatte Angst und dachte, nun ist es aus mit mir"
Im Fall von Juliane Härtel, die an einer chronischen Bronchitis, COPD, leidet, war der Anlass ein Anfall von extremer Luftnot Anfang Dezember 2024. "Die Atemnot war so heftig, ich habe sie nicht wie sonst in den Griff bekommen und sie hat lange angedauert. Ich hatte Angst und dachte, nun ist es aus mit mir", schildert die gelernte Friseurin die Vorkommnisse. Psychisch sei für sie noch erschwerend hinzugekommen, dass ihre Mutter erstickt ist. Das sei für sie ein traumatisches Ereignis gewesen.
"Die Angst hat schon massiven Stress ausgelöst", führt Prof. Sebastian Kerber aus. "Die Atemnot – die Angst, zu ersticken – hat als starke Belastung ausgereicht, um die Herzschwäche herbeizuführen."
Die genaue organische Ursache des Broken-Heart-Syndroms sei nicht bekannt, erklärt Daniel Hansch. Experten würden jedoch davon ausgehen, dass ein Anstieg der Stresshormone, zum Beispiel Adrenalin, das Herz im Wesentlichen "betäube" und Veränderungen in den Herzmuskelzellen oder den Herzkranzgefäßen – oder beiden – auslöse, was dann eine wirksame Kontraktion der linken Herzkammer verhindere.

Auslöser könnten sein, fährt Kerber fort, Naturkatastrophen, der Tod eines Angehörigen, eine schwere Erkrankung, starke Schmerzen, der Erhalt schlechter Nachrichten, ein Autounfall, ein heftiger Streit, starke Angst, ein finanzieller Verlust oder auch eine plötzliche schlimme Überraschung. Zumindest seien es in der Regel keine langfristigen, sondern eher kurz andauernde Belastungen.
Das Herz bildet sich in der Regel innerhalb von ein paar Wochen wieder zurück
Die Symptome des Broken-Heart-Syndroms sind ähnlich wie bei einem Herzinfarkt, auch wenn die Herzkranzgefäße frei sind. Es gibt keine spezielle Behandlung. In erster Linie wird medikamentös gegen die Herzinsuffizienz vorgegangen. Juliane Härtel lag insgesamt zwölf Tage auf der Kardiologie, davon fünf bis sechs Tage auf der Überwachungsstation. Dem schloss sich eine Rehabilitation an. "Die ersten Tage dachte ich nicht, dass ich lebend aus dem Krankenhaus herauskomme", erinnert sie sich. Schließlich ging es aber stetig bergauf.
Das Broken-Heart-Syndrom ist eine Erkrankung mit einer guten Prognose. Das Herzproblem ist reversibel und das Organ bildet sich in der Regel innerhalb von ein paar Wochen wieder zurück. Die Krankheit kann aber erneut auftreten. Wichtig sei, stellt Daniel Hansch heraus, auch eine psychologische beziehungsweise psychosomatische Betreuung, um den Angstmoment zu behandeln und Stress künftig zu minimieren.
Am Rhön-Klinikum-Campus in Bad Neustadt werde man im Durchschnitt zehn bis 20 Mal im Jahr mit dieser Erkrankung konfrontiert, erzählt Hansch. In Deutschland gebe es rund 8000 Fälle im Jahr. 80 Prozent davon betreffen Frauen über 50 Jahren. Insofern kann ein Bezug zur Postmenopause angenommen werden. Östrogene schützen den Herzmuskel.
Heute ist Juliane Härtel noch relativ geschwächt. Das liegt aber in erster Linie an ihrer Lungenerkrankung. Ansonsten blicke sie ruhig in die Zukunft, sagt sie. "Was kommt, das kommt. Ich kann es nicht aufhalten. Da mache ich mich nicht verrückt." Diese Lebenseinstellung habe ihr immer geholfen und helfe ihr auch jetzt. Man müsse aus allem das Beste machen. "Was nützt es, sich aufzuregen?"