Der Fasching beginnt für Michaela Gernert aus Wülfershausen schon weit, bevor sich die Umzüge durch die Dörfer schlängeln und die Prunksitzungen starten. Als Schneiderin hat sie in ihrer Werkstatt derzeit alle Hände voll zu tun und Hochkonjunktur. Für Faschingsprinzen und Gardemädchen, für Fußgruppen und Wagenbauer gestaltet sie jedes Jahr die verschiedensten Kostüme. Jedes davon, natürlich, ein Unikat. Doch in den letzten Jahren hat sich das Verkleidungsverhalten der Menschen offenbar drastisch geändert.

Früher, so Michaela Gernert, habe man sich vor Fasching Gedanken über die Gestaltung der Kostüme gemacht. Man habe sich in Nähgruppen getroffen, jedes Kostüm noch selbst gestaltet und von der Dorfschneiderin oder innerhalb der Familie, etwa von der Oma, Unterstützung bekommen. Egal ob für Männerballett, Maskenball oder Mellrichstädter Faschingsumzug. Danach wurde es im eigenen Kleider-Fundus aufgehoben und immer mal wieder verliehen.

"Heute nehmen sich nur noch die wenigsten die Zeit, bestellen sich einfach und schnell für 15 Euro ein Kostüm bei Temu oder sonst wo im Internet und schmeißen es direkt nach dem Umzug in den Müll", sagt Gernert. Freilich kann die gelernte Damenschneiderin, die seit 18 Jahren ihren eigenen Laden "Stoff und Kunst" in Wülfershausen betreibt, bei solchen Preisen nicht mithalten. "Traurig, aber wahr: So viel kosten für mich schon die Spitzen."
Der eigentliche Sinn von Fasching geht immer mehr verloren
Dazu lasse die Qualität der importierten Online-Kostüme immer mehr zu wünschen übrig. Manchmal, wenn Gernert an solchen Kostümen etwas ändern soll, dann klebt schon das Bügeleisen am Stoff fest, weil dieser immer minderwertiger werde. "Auch wenn die Kostüme industriell angefertigt werden, sitzt dennoch, am anderen Ende der Welt, ein Mensch, der die Kostüme dann zusammennäht. Und dann schmeißen wir das nach zweimal tragen einfach in den Müll?"

Neben dem ökologischen Aspekt bedauert Gernert vor allem, dass der eigentliche Sinn von Fasching immer mehr verloren geht. "An Fasching haben die Menschen einmal im Jahr die Möglichkeit, sich kreativ und schön zu verkleiden, zu maskieren und quasi eine andere Rolle und Persönlichkeit anzunehmen. Das ist in den letzten Jahren leider irgendwie untergegangen, weil es einfach nur noch billig sein und möglichst wenig Aufwand machen soll. Lieblos und schnell fertig."
Über zu wenig Arbeit kann Gernert dennoch nicht klagen
Über zu wenig Arbeit kann Gernert dennoch nicht klagen. Schließlich gibt es noch genügend Menschen, welche die genannten Trends nicht mitmachen. Nicole Koch aus Hendungen etwa. Als Sitzungspräsidentin der Hendunger Karnevalsgesellschaft HeKaGe lässt sie seit Jahren ihre Kostüme von Michaela Gernert schneidern. "Ich will und finde keine Kostüme von der Stange. Deshalb überlege ich mir Monate vor der Faschingszeit, was zu unserem Session-Motto passt und bespreche das gemeinsam mit 'Micha'", erklärt Koch. In diesem Jahr soll es ein Jahrmarkt-Karussell sein.

Nach der gemeinsamen Ideensammlung erstellt Schneiderin Gernert eine Skizze, wählt die Stoffe aus und fertigt das Kostüm so an, wie es sich die Kundin wünscht. Nach einer Steckprobe geht es dann in die finale Anfertigung. Nicole Koch strahlt bei der Anprobe. "Das Kostüm ist genau so, wie ich mir es vorgestellt und erträumt habe. Einfach echtes Handwerk." Sie sagt: "Weil ich weiß, wie viel Arbeit und Herzblut darin steckt, weiß ich es viel mehr zu schätzen und passe gut darauf auf."
Gibt es das perfekte Kostüm?
Wenn jemand wie Michaela Gernert schon hunderte Kostüme genäht und noch mehr gesehen hat, stellt sich die Frage: Gibt es denn das perfekte Kostüm? "Natürlich! Wenn man sich selbst ein Kostüm überlegt, es individuell gestaltet, mit kleinen Accessoires garniert und in der neuen Rolle für ein paar Stunden und Tage so richtig aufblüht." Egal ob als laufende Parkuhr, düstere Hexe, bunte Vogelscheuche oder als bezaubernde Meerjungfrau.