Es ist das wahrscheinlich auffälligste Haus im Kurgebiet von Bad Neustadt, jedoch im negativen Sinne. Gemeint ist das alte Haus im Ortsteil Bad Neuhaus, in unmittelbarer Nähe zur Wandelhalle und zum Kurpark – in der Bevölkerung auch unter "Schmitts Mary Haus" bekannt.

Eine grüne Plane auf dem Dach soll dafür sorgen, dass es nicht einfällt. An der Hauswand rankt Efeu, ein um das Gebäude aufgestellter Bauzaun dient dem Schutz vorbeilaufender Passanten. Das einzig Intakte hier ist vermutlich der davor aufgestellte Zigarettenautomat.
Nicht nur für Bürgermeister Michael Werner ist das Haus in Bad Neustadt ein "Schandfleck"
Bad Neustadts Bürgermeister Michael Werner läuft selbst privat öfter daran vorbei und bezeichnet das Haus offen als "Schandfleck". Wenn das Thema Jahr für Jahr bei der Bürgerversammlung zur Sprache kommt, muss er, wie bei der jüngsten, antworten, dass es wieder nichts Neues gibt. Doch warum eigentlich?

Der Grund: Denkmalschutz. Die genau genommen zwei Häuser mit der Adresse "An der Wandelhalle 2" sind 1973 in die Denkmalliste eingetragen worden, so das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege auf Nachfrage der Redaktion. Bei den Gebäuden handelt es sich um Häuser, in denen früher Bewohner jüdischen Glaubens lebten (siehe Infokasten). "Die Erhaltung der beiden Anwesen in Bad Neustadt liegt aus geschichtlichen Gründen im Interesse der Allgemeinheit", sagt das Amt.
Anwesen in der Nähe des Kurparks von Bad Neustadt hat eine lange Vorgeschichte
Dass die Anwesen schon lange in einem schlechten Zustand sind, beweist eine Auskunft der zuständigen Unteren Bau- und Denkmalschutzbehörde des Landkreises Rhön-Grabfeld. Bereits 1990 ordnete das Landratsamt "unverzügliche Sicherheitsmaßnahmen" an und wies auf die Denkmaleigenschaft und die Notwendigkeit eines Sanierungskonzepts hin. Diese Maßnahmen verhinderten einen Einsturz des Gebäudes.
"Erforderlich wäre vielmehr eine Sanierungsmaßnahme, die weit über die bloße Bestandserhaltung hinausginge."
Die Untere Denkmalschutzbehörde des Landkreises Rhön-Grabfeld zu zukünftigen Maßnahmen.
Allen voran wegen der Baufälligkeiten im Dachbereich ließ das Landratsamt in den vergangenen Jahren wiederholt Baukontrollen durchführen. Mit der Folge, dass von der Eigentümerin – der BGL Grundbesitzverwaltungs-GmbH (Anm. der Redaktion: eine Firma der Rhön-Klinikum AG) – auf Aufforderung der Behörde hin Notsicherungsmaßnahmen (Aufbringen von Planen) ergriffen worden sind.

Wie es von der Behörde weiter heißt, zeigten die Anwesen im Jahr 2014 "typische Schäden jahrzehntelang unterlassenen Bauunterhalts". Es regnete in das Haus hinein, dies hätte zu zu punktuellen Fäulnisschäden im Dach, an den Decken und der Treppe geführt.
Denkmalschutzbehörde: Bloße Erhaltung des Bestands ist nicht zielführend
Die Meinung der Unteren Denkmalschutzbehörde, wie es mit den Anwesen weitergehen sollte, ist eindeutig: Eine bloße Erhaltung des noch vorhandenen Bestands sei nicht zielführend. Und: "Erforderlich wäre vielmehr eine Sanierungsmaßnahme, die weit über die bloße Bestandserhaltung hinausginge."
2014 regte das Landesamt die Voruntersuchung mit Nutzungskonzept und Kostenermittlung an. Ein Jahr später wurde für die Sanierung und den Erhalt des vorderen Gebäudes (circa halbe Gebäudetiefe) und dem Abbruch des hinteren Gebäudeteils eine denkmalschutzrechtliche Erlaubnis unter Auflagen erteilt. 2018 gingen die Beratungen mit dem Landesamt für Denkmalpflege zwecks eines Gesamtkonzepts weiter.
Die Rhön-Klinikum AG als Eigentümerin zeigt sich von den Vorgängen der vergangenen Jahre wenig erfreut. Man befinde sich seit Jahren mit der Stadt Bad Neustadt, dem Landratsamt und den Denkmalschutz-/Baubehörden im Gespräch, heißt es von einer Unternehmenssprecherin auf Nachfrage. Es gab mehrere Besichtigungen vor Ort, unter anderem mit dem Landeskonservator.
Erstellte Gutachten und Verlagerungspläne ins Freilandmuseum Fladungen
"Wir haben wiederholt forciert, eine angemessene Lösung für das unter Denkmalschutz stehende Gebäude [...] zu finden, beispielsweise durch die Verlagerung einzelner Gebäudeteile/-elemente in das Freilandmuseum Fladungen", so die Sprecherin weiter. Auf Veranlassung des Unternehmens hin seien Gutachten erstellt worden, um den Gebäudezustand zu bewerten.
"Mehrfach haben wir auf Bedenken zur Standsicherheit des Gebäudes hingewiesen und demzufolge auch 2014, 2016 und 2018 Abrissanträge gestellt, die abgelehnt wurden." Und schließlich: "Auch für uns ist dieser Zustand mehr als unbefriedigend und Entscheidungen der Behörden nicht nachvollziehbar."
Die Untere Denkmalschutzbehörde begründet ihre Ablehnung damit, dass angesichts des schadhaften Zustands der Hauptgebäude "An der Wandelhalle 2" das Denkmal gefährdet sei. Anders als vom Rhön-Klinikum dargestellt, seien jedoch "nicht mehrere Anträge auf Abbruch des Einzeldenkmals" eingereicht worden.
"Auch für uns ist dieser Zustand mehr als unbefriedigend und Entscheidungen der Behörden nicht nachvollziehbar."
Eine Unternehmenssprecherin der Rhön-Klinikum AG zur aktuellen Situation
Allgemein bestehen hohe Hürden, was den Abriss eines Denkmals angeht, erklärt das Landesamt in München. Grundsätzlich bleibt ein Baudenkmal ein Denkmal, so lange es steht. Es komme vor, dass ein Denkmal so schwer beschädigt ist, dass es im Rahmen einer Sanierung in wesentlichen Teilen erneuert werden müsste.
Wenn dabei so viel historische Substanz verloren gehen würde, könnte es seine Denkmaleigenschaft verlieren. Erst dann könnte ein Eigentümer von der gesetzlich verankerten Erhaltungspflicht entbunden sein. Das sei aber laut Landesamt nur "äußerst selten der Fall".
Wann darf dem Abbruch eines Denkmals wie in Bad Neustadt überhaupt zugestimmt werden?
Die Entscheidung fällt letztlich, unter Beteiligung des Landesamtes, die Untere Denkmalschutzbehörde. Und diese darf einem Abbruch eines Denkmals nur unter ganz bestimmten Umständen und unter Beachtung klarer Kriterien zustimmen. Beispielsweise müsste geklärt werden, ob eine Nutzung des Denkmals möglich ist und eine Instandsetzung der Eigentümerin oder dem Eigentümer auch wirtschaftlich zugemutet werden kann.

Auch spielt es eine Rolle, ob der Denkmaleigentümer versucht hat, das Denkmal zu veräußern, wenn für ihn eine Instandsetzung aus wirtschaftlichen Gründen nicht infrage kommt.

An der festgefahrenen Situation rund um "Schmitts Mary Haus" – auch bedingt durch die Corona-Krise – könnte sich zeitnah etwas ändern. Das Landratsamt-Untere Denkmalschutzbehörde von Rhön-Grabfeld werde die Initiative ergreifen, um wieder Bewegung in die Angelegenheit zu bringen. Eine "sinnvolle Lösung" könne nur durch den weiteren Austausch zwischen den beteiligten Stellen erreicht werden.
Rhön-Klinikum: Ein Appell an Stadt Bad Neustadt und Landkreis Rhön-Grabfeld
Diese sinnvolle Lösung "im Interesse aller" erhofft sich auch das Rhön-Klinikum und appelliert deshalb nochmals an die Stadt und den Landkreis. Bad Neustadts Bürgermeister Michael Werner brachte das Thema zuletzt bei einem Gespräch mit dem Vorstand des Rhön-Klinikums an und sicherte Unterstützung vonseiten der Stadt zu.

Dass es sich bei den Anwesen in Bad Neuhaus um eine spezielle Angelegenheit handelt, zeigt noch ein anderer Fakt. Laut Landesamt für Denkmalpflege habe man den Fall an eine 2021 eingerichtete Task Force weitergeleitet, die sich speziell um diese Fälle kümmert. Demnach sollten für bedrohtes baukulturelles Erbe "möglichst frühzeitig Wege zu dessen Rettung eingeschlagen werden". Ein Mittel: Alle beteiligten Akteure an einen Tisch bringen.
Das "Schmitts Mary Haus" in Bad NeuhausDie Geschichte der beiden Häuser "An der Wandelhalle 2" geht ins 18. Jahrhundert zurück. Seit 1735 befand sich in der ehemals noch größeren Gebäudegruppe der Betsaal bzw. die Synagoge der jüdischen Gemeinde. Im 19. Jahrhundert waren hier auch die jüdische Schule und die zugehörige Lehrerwohnung eingerichtet. Die Wohnhäuser mit der alten Hausnummer 61 und 62 wurden bis 1883 bzw. bis 1900 von jüdischen Gemeindemitgliedern bewohnt und dann verkauft.Laut Listeneintrag handelt es sich bei dem Denkmal um ein Eckwohnhaus mit einem zweigeschossigen Massivbau. Besonders erwähnt werden eine ehemalige Mesusa, eine Schriftkapsel am Türpfosten, ein Oberlicht aus dem Jahr 1794 sowie eine biedermeierliche Haustür mit Oberlicht aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.Der Spitzname "Schmitts Mary Haus" geht auf die frühere Bewohnerin Maria Schmitt zurück, die hier noch in den 1960er Jahren bis zu ihrem Tode lebte und lange Jahre Privatsekretärin der Familie von und zu Guttenberg auf der Salzburg war.Quelle: chü/ Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege