Resat Tatli kam vor eineinhalb Jahren nach Deutschland. Er stammt aus dem Südosten der Türkei, aus der etwa 130.000 Einwohner zählenden Stadt Mardin, rund 20 Kilometer nördlich der Grenze zu Syrien und nicht weit von der zum Irak. Seit über einem Jahr lebt er mit seiner Frau und seinen Kindern in der Gemeinschaftsunterkunft (GU) für Asylbewerber in der ehemaligen Kreisberufsschule in Mellrichstadt.
Sieben Jahre habe er in seinem Heimatland in einem Gefängnis verbringen müssen, erzählt der 43-jährige Kurde. Weil er die YPG unterstützt habe. Die YPG ist eine bewaffnete kurdische Miliz in Syrien, die von der Türkei als terroristische Vereinigung angesehen wird. "Wenn ich in die Türkei zurückkehre, droht mir erneut Gefängnis", so Tatli.

Zwei Dinge wünscht sich der gelernte Koch vor allem: einen deutschen Pass und Arbeit. Aktuell laufe eine Bewerbung, er warte auf Antwort. Seine vier Kinder besuchen in Mellrichstadt die Schule. Die älteste Tochter habe jüngst ein Praktikum bei einem Zahnarzt absolviert. Nun sei es das Berufsziel der 17-Jährigen, Zahnarzthelferin zu werden.
Die Gemeinschaftsunterkunft bietet zwar ein Dach über dem Kopf, doch es besteht der Wunsch nach einem eigenen Zuhause und einem festen Arbeitsplatz. "Wir wollen arbeiten und nicht zum Sozialamt gehen", betont Resat Tatli, der gut Deutsch spricht. "Meine Kinder sollen stolz auf mich sein und einen Vater haben, der seine Familie ernähren kann."
Nour Abdirisaag: "In meiner Heimat gibt es nur Armut und Gewalt"
Auch Nour Abdirisaag will arbeiten. Der 36-Jährige kommt aus Somalia. 2014 verließ er sein Land. "In meiner Heimat gibt es nur Armut und Gewalt", sagt er über das unter Terrorismus, Naturkatastrophen und Armut leidende Land am Horn von Afrika.

Über mehrere Stationen ist er vor zwei Monaten nach Deutschland und in die Mellrichstädter GU gelangt. Er fühle sich hier wohl, meint er.
Seit zehn Jahren habe er seine Familie nicht mehr gesehen, vor allem seine Ehefrau, die er zurückgelassen hat. Regelmäßig halte er über das Handy Kontakt. "Wäre es in meiner Heimat nicht so furchtbar, hätte ich sie nicht verlassen", erklärt er.
Dreiräder und Bobbycars stehen vor den Zimmern
Lange Flure durchziehen die seit 2016 bestehende Gemeinschaftsunterkunft. Von diesen zweigen die einzelnen Zimmer ab. Vor den Türen stehen Schuhe und auch Spielsachen, darunter Dreiräder und Bobbycars. Auf jedem Stockwerk gibt es eine Küche sowie Toiletten und Waschräume, die von den Bewohnerinnen und Bewohnern gemeinsam genutzt werden.
Derzeit leben rund 85 Menschen in der GU, führt Manfred Bach von der Hausverwaltung aus. Die Familien teilen sich ein Zimmer. Alleinstehende bewohnen zu dritt oder viert ein Zimmer. Die Zahl derjenigen, die Küche und Waschräume zusammen nutzen, sei unterschiedlich. Hier reiche die Spannbreite von zwei bis zehn Zimmern.

Der 58-jährige Hendunger ist bei der Regierung von Unterfranken angestellt, die für die Einrichtung und den Betrieb der staatlichen GUs zuständig ist. Mit drei weiteren Kollegen betreut er die Gemeinschaftsunterkünfte in Mellrichstadt, Saal, Fladungen und Bad Königshofen.
Seit 2019 arbeitet er in den Gemeinschaftsunterkünften. Er leistet Hausmeistertätigkeiten, ist Ansprechpartner bei Fragen der Bewohner und achtet auf Sauberkeit und Ordnung.

Die Flüchtlinge kochen und verpflegen sich selbst
In der GU in Mellrichstadt leben Menschen aus Nigeria, Somalia, Syrien, der Côte d'Ivoire, Türkei, Kasachstan, Afghanistan und Algerien, zählt er auf. "Im Großen und Ganzen vertragen sich alle gut", berichtet Bach. Ab und zu erfordere ein Bewohner mal mehr Aufmerksamkeit und es habe auch schon Zeiten gegeben, da immer wieder die Polizei gerufen werden musste. "Seit ein bis zwei Jahren jedoch ist es relativ ruhig."

Etwa 20 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner würden arbeiten, schätzt Manfred Bach. Unter anderem im Rhön-Klinikum in Bad Neustadt oder bei Reinigungsfirmen. Sie kochen und verpflegen sich selbst und sind auch für die Sauberkeit im Haus zuständig, nicht nur in ihren eigenen Zimmern, sondern auch in den Gemeinschaftsräumen. Tagsüber ist einer von der Hausverwaltung vor Ort, nachts ein Sicherheitsdienst.

Mitarbeiter des Landratsamtes und der Helferkreis stehen zur Seite
Regelmäßig hält das Landratsamt in der GU Sprechstunden ab und hilft bei Anträgen oder sonstigen Fragen. Darüber hinaus unterstützt der Mellrichstädter Helferkreis, der sich Solidaritätsteam nennt, die Asylsuchenden, sich in Deutschland einzuleben und hier Fuß zu fassen. Was nicht leicht ist. Die Menschen haben eine schwierige Vergangenheit hinter und eine unsichere Zukunft vor sich.
Wenn man mit Manfred Bach durch das Gebäude läuft, merkt man schnell, dass er von den Bewohnern geschätzt wird. Immer wieder werden ein paar Sätze gewechselt, die offenbaren, dass der Hendunger die Bewohnerinnen und Bewohner gut kennt.

Alltag zwischen Schulbesuch und Deutschkursen
Fatoumata Diahite ist 15 Jahre alt. Sie trägt das sieben Monate alte Kind einer Mitbewohnerin auf dem Arm. Während sie mit der Redaktion spricht, drückt sie dem Hausverwalter das Baby in die Arme, um die Hände freizuhaben.
Sie kam vor sieben Jahren mit ihrem Bruder und ihrer Mutter von der Côte d'Ivoire, früher bekannt unter dem Namen Elfenbeinküste, nach Mellrichstadt. Sie geht in die dortige Mittelschule. Der Unterricht mache ihr Spaß, sagt sie.

Während Fatoumata sich in der Schule gut eingelebt hat, ist ihre Mutter Dembele Namarou auf Arbeitssuche. Sie absolviert Deutschkurse, hat bereits in einem Pflegeheim gearbeitet und sucht nun erneut einen Job. "Es geht uns gut hier", sagt die 47-Jährige. "Wir würden gerne bleiben." Sie bekennt aber auch, dass die Tage manchmal recht lang werden. "Dann träume ich von einer Arbeitsstelle und einer eigenen Wohnung."