Ab diesem Freitag wird's ernst: Das Meininger Theater eröffnet die Saison 2009/2010 – die letzte vor der 15-monatigen Generalsanierungsphase. Im Schillerjahr steht natürlich zu Beginn Schiller auf dem Spielplan, „Wilhelm Tell“. Im Doppelpack mit Rossinis Oper „Guglielmo Tell“ (Premiere am 2. Oktober) soll das Schauspiel – nach dem Erfolg mit „Faust I“ und „Faust II“ in den vergangenen Jahren – nicht zuletzt den Kulturtourismus in das Städtchen hinter den sieben Bergen befördern. Doppelintendant Ansgar Haag spricht über die Meininger Belange – und über neue Entwicklungen in Eisenach.
Frage: Wie ist die Stimmung heute?
Ansgar Haag: Gut. Alle sind aus dem Urlaub gekommen und die Proben laufen. Es ist beängstigend positiv ruhig.
Wollen Sie jetzt, wie Frau Merkel, den Geist des Aufbruchs wiederbeleben?
Haag: Naja, immerhin habe ich eine neue Fischer-Kampfjacke an. Und das Intendantenzimmer ist neu gestrichen und hat einen neuen Teppichboden. Auch hier wird weiterhin am Aufbau gearbeitet.
Wie haben fünf Jahre thüringische Provinz Ihre Psyche beeinflusst?
Haag: Natürlich lebe ich ich nach wie vor im Spagat, das familiär gut geführte Haus Meiningen so zu halten und gleichzeitig Eisenach aufzubauen. Das ist schon eine Belastung, aber auf die Psyche schlägt das bei mir nicht, höchstens auf Herz und Kreislauf. Mir kommt es vor, als lebten wir in Zeiten des permanenten Neubeginns. Wer ist denn der Buhmann in Eisenach? Ich glaube, es sind immer noch die Politiker. Man hat sich nicht gegen mich eingeschossen, sondern gegen die Idee, vermeintlich von Meiningen fremdbestimmt zu sein. Und das ist jetzt auch meine entscheidende neue Linie: Mehr Selbstständigkeit für die Eisenacher. Es gibt einen neuen Ballettchef mit einer vergrößerten Truppe, einen neuen Dirigenten, der sein eigenes Profil einbringt, einen neuen Schauspielleiter für das Jugendtheater, das jetzt Junges Landestheater heißt und auch den Einstieg in das Schauspiel Eisenach gewährleisten soll. Für Meiningen ist das eine Entlastung. Wir müssen im nächsten Jahr weniger dorthin fahren. Das gibt natürlich ein stärkeres Selbstbewusstsein für die Eisenacher. Die Vorurteile der örtlichen Presse? Ich bin ganz gerührt. Sie loben, sie loben! Zum ersten Mal wird nicht geschrieben „Das geht so nicht!“, sondern man wünscht, dass es gut geht.
Ein paar Sätze zur vergangenen Saison in Meiningen.
Haag: Also, eines ist sicher: Unser „Parsifal“ war außerordentlich. Das war der Höhepunkt. Ich hab jetzt in Bayreuth den Parsifal gesehen – mein lieber Freund! Die Inszenierung kam mir vor wie Volkshochschule für deutsche Geschichte auf hohem Niveau. Und dann die Nominierung von Andrea Moses und ihrer „Elektra“ für den Faust-Preis – das war schon eine tolle Sache.
Wie hält man solche jungen, experimentierfreudigen Regisseure am Haus?
Haag: Im Schauspiel haben wir für die nächste Saison eine ganze Reihe. Die hat der neue Schauspieldirektor Dirk Olaf Hanke mitgebracht. Auch die Andrea Moses will wiederkommen, für die Eröffnungsinszenierung nach der Generalsanierung des Hauses. Schwieriger ist es, große Schauspieler fest im Ensemble zu halten. Für ein Event tolle Künstler zu kriegen, das ist hier leichter als anderswo. Dort kann man‘s nur mit Geld machen, hierher kommen sie wegen der Atmosphäre.
Schon zu Burkhardts Zeiten kamen die Promis für einen Apfel und zwei Eier nach Meiningen.
Haag: Und jetzt sind‘s vielleicht zehn Äpfel und 15 Eier, aber es ist immer noch das Renommee.
Was ändert sich denn in Meiningen in der neuen Spielzeit?
Haag: Einen relativ großen Wechsel gibt's im Schauspiel. Dagmar Geppert, Felicitas Breest und Linda Sixt gehen und wir haben das Schauspielensemble um zwei Künstler aufgestockt, haben also fünf neue Schauspielerinnen und Schauspieler. Vor allem bei den Künstlern mittleren Alters ist es schwer, sie hier zu halten. Deswegen bin ich wirklich froh, dass wir einen Schauspieler wie Harald Schröpfer (er spielt den Tell) gekriegt haben, der mit seiner Familie hierher zieht. Das Problem existiert bei den Sängern natürlich auch, obwohl sich dort wenig ändert. Ich bin ja froh, dass wir den Priese nochmal halten konnten. Daniela Dott wird im Januar gehen. Und dann kommt im Januar auch ein Nachfolger für Erwin Belakowitsch.
Und was ist mit Ihrer Karriere?
Haag: Ich bin ja jetzt erstmal hier. Dieses Hopphopphopp ist nicht meins.
Die Kammerspiele könnten nach Ihrem Weggang Ihnen zu Ehren in „Ansgar‘s Off“ umbenannt werden.
Haag: O je! Aber schnelle Abgänge – das ist nicht mein Weg. Diese Tendenz unter Intendanten hat viel kaputt gemacht, vor allem, wenn das Publikum vor Ort für den Theaterleiter nur sekundär ist.
Was würden Sie so nicht mehr machen?
Haag: Die Disposition. Wir hatten in den Kammerspielen immer das große Problem, dass in den Zweitvorstellungen moderner Stücke nicht so viele Leute saßen wie in der Premiere. Jetzt haben wir 55 Abonnenten mit Preisnachlass-Abo „Auf den zweiten Blick“. Da muss ein neuer Weg rein. Und der neue Schauspieldirektor ist da schon hinterher: zeitgenössische Stücke. Wir haben jetzt zum ersten Mal seit längerer Zeit wieder eine Uraufführung eines deutschsprachigen Stücks.
Und im Großen Haus?
Haag: Wenn ich konsequent wäre, würde ich sagen „Setzen wir 'Dom Karlos' ab und machen dafür 'Lustige Witwe' zweimal mehr“. Aber das kann man mit mir nicht machen und im Schiller-Jahr gleich gar nicht. Dom Karlos ist ja kein künstlerischer Flop.
Könnte aber sein, dass man bei der Menge von Schiller-Inszenierungen im Schillerjahr des Schillers bald überdrüssig wird.
Haag: Sehr gut läuft im Vorverkauf das Doppelpaket „Wilhelm Tell/Schiller-Guglielmo Tell/Rossini – das ist etwas, das touristisch geht.
Und was ist mit „Kabale und Liebe“ in China?
Haag: Alles klar. Am 5. November fliegen wir los. Zwei Vorstellungen in Shanghai und drei Vorstellungen in Peking.
Wollen Sie Ihren Fanclub mitnehmen, unter dem Motto „Mit den Meiningern Hand in Hand durch Shanghai“?
Haag: Ja, gerne. Schön ist, dass vom MDR ein Mini-Fernsehteam mitfährt. Das ist für mich hinterher die größere Werbung als das Ereignis selbst.
Befinden Sie sich, was die Stückauswahl betrifft, im Kampf mit Ihrem Leitungsteam?
Haag: Na ja, nein nein. Eigentlich mit mir selber. Ich bin ja einer, der volle Häuser will und natürlich nehm ich den „Freischütz“ vom Stölzl wieder auf, weil er voll sein wird. „Wiener Blut“ - da werd ich immer gefragt, warum ich das nach Lübeck verkauft habe. Ich will einfach keinen Operettenstadl einrichten. Wer hat das letzte Wort? Auf das treib ich‘s nicht hin. Ich hab den Eindruck, dass der Druck des rein Kommerziellen hier viel geringer ist als woanders. Es kam bisher nicht dazu, dass Frau Schwabe sagte: „Jetzt müss mer halt die Erfolgsstücke spielen.“ Und das ist ganz toll von der Verwaltungsdirektorin.
Generalmusikdirektor Hans Urbanek verlässt Ende nächster Saison Meiningen. Was macht die Nachfolgersuche?
Haag: 70 Bewerbungen liegen schon auf dem Tisch. Da sind auch Namen dabei, wo ich sag: „Schön, dass die sich hier bewerben“. Wenn ich ihnen dann mitteile, was man hier verdienen kann, wird‘s wahrscheinlich nicht klappen. Aber dass überhaupt das Interesse da ist, das ist schon beachtlich.
Herrn Urbaneks Ausscheiden haben Sie nicht erwartet?
Haag: Ich bin innerlich davon ausgegangen: So lange ich da bin, ist er auch da. Und das wäre auch künstlerisch richtig gewesen. Sein Weggang hat aber nichts mit mir zu tun. Ich wäre gerne mit ihm bis zum Ende geblieben. Keine Frage.
Und was ist mit dem Klinkenputzen hier in der kleinen Welt, mit dem Thespiskarren übers Land?
Haag: Das kommt wieder. Das machen wir nächstes Jahr ganz stark. Man muss die jüngere Generation abholen. Gerade jetzt ist auf fränkischer Seite ein ziemlich großer Generationswechsel bei den Theaterbesuchern im Gange. Die, die jetzt zwischen 70 und 80 sind, geben aber nicht automatisch das Abo an die Enkel weiter. Und da muss man wieder dran. Wir haben für die jungen Leute interessante Abo-Angebote, stellen Newsletter ins Internet und jetzt installieren wir einen Ticketservice per Computer. Dort kann man Tickets kaufen und Sitzplätze selbst wählen.