Die Streichung von 370 Arbeitsplätzen im Siemens-Werk von Bad Neustadt soll nur der Anfang sein. Mit dieser Botschaft konfrontierten Gewerkschaft und Betriebsrat die Belegschaft bei einer Betriebsversammlung am Mittwochnachmittag.
Jetzt rechneten die Arbeitnehmervertreter vor, dass über 900 Stellen betroffen sein könnten – und auf längere Sicht sogar der gesamte Standort in Gefahr.
Um 14.30 Uhr traten nach der Betriebsversammlung Gewerkschaftsvertreter und Betriebsräte vor die Werktore an der Siemensstraße und informierten die zahlreichen Medienvertreter über den aktuellen Stand. Nach Worten von Gewerkschaftssekretär Thomas Höhn sei auf Basis der Zahlen der Konzernleitung ein Szenario bis 2020 errechnet worden. Von einem Stellenabbau könnte auch der Bereich Motion Control, also der Standort Industriestraße in Brendlorenzen betroffen sein. 140 Arbeitsplätze könnten bis Ende des Jahrzehnts wegfallen.
Die Gerkschaftssvertreter haben eine Produktivitätsentwicklung von fünf Prozent abgenommen und errechnen infolge der entstehenden Überkapazitäten einen weiteren Stellenabbau aus. Letztendlich wären rund 900 Stellen betroffen.
Damit aber immer noch nicht genug. In der Abteilung E-Car – dort werden Elektromotoren für Volvo-Hybridfahrzeuge und neuerdings, wie es heißt, für die Londoner Taxis hergestellt – gibt es ebenfalls Zukunftssorgen. Das würde noch einmal 133 Arbeitsplätze kosten „und auf längere Sicht den gesamten Rhöner Standort in Frage stellen“.
Nächste Woche Gespräche
Soweit wollen es aber die Arbeitnehmervertreter nicht kommen lassen, versicherte Betriebsratsvorsitzender Oliver Mauer. Für die Belegschaft seien die Nachrichten, die kurz zuvor überbracht worden seien, zwar ein Schock gewesen. Doch wir werden mit allen Mitteln versuchen, die Vorhaben zu verhindern. Er sehe auch einen Schulterschluss mit Landrat Thomas Habermann und Bürgermeister Bruno Altrichter.
Nicht mit einer Verweigerungshaltung werde man in die Verhandlungen gehen, die am nächsten Mittwoch aufgenommen werden sollen. „Wir wollen den Arbeitgebern Konzepte zur Erschließung neuer Vertriebswege vorstellen“, so Mauer. „Die Ausbildung junger Menschen darf nicht gefährdet werden, die hier eine Perspektive haben wollen“, formulierte es der Betriebsrat.
Gewerkschaft will Alternativen aufzeigen
Erster Bevollmächtigter Peter Kippes erinnerte an die Situation von 2010, als durch das Aufzeigen von Alternativen die Rettung von Arbeitsplätzen gelungen sei. An eine Auflösung der E-Car-Abteilung mag Kippes nicht glauben. „Das wäre ein erheblicher Prestigeverlust für Seehofer und sein E-Mobilitätsprojekt“, sagte der Gewerkschafter.
Der ehemalige Betriebsratsvorsitzende Bernhard Omert sieht denn auch viele Ansätze für die Verhandlungen. Er stützt sich dabei darauf, dass nicht ökonomische Gründe für die Vorhaben der Unternehmensleitung verantwortlich seien, sondern strategische Überlegungen, die seiner Ansicht nach nicht überzeugen.
Bürgermeister Bruno Altrichter und Landrat Thomas Habermann zeigten sich von den Befürchtungen der IG Metall, dass der gesamte Siemens-Standort in Bad Neustadt in Gefahr sei, in einer ersten Reaktion mehr als überrascht.
Altrichter: Offiziell klingt es anders
„Die offiziellen Äußerungen der Siemens-Führung haben anders geklungen“, so Altrichter. Von Zahlen oder Plänen, die so ein Szenario unterfüttern würden, habe er noch nichts gehört. Nun müsse geprüft werden, wie belastbar die Aussagen der IG Metall sind. Mit dem Betriebsrat habe er sich bereits ausgetauscht. Der nächste Schritt sei ein Kontakt zur Siemens AG, um verlässliche Aussagen zu erhalten.
Für Bad Neustadt würde solch ein Job-Kahlschlag einen gravierenden Einschnitt bedeuten. Jeder Arbeitsplatz sei wichtig, um den jungen Menschen hier eine Perspektive zu bieten. Nach wie vor sei es von großer Bedeutung, im intensiven Kontakt mit der Siemensführung in München, der Werkleitung vor Ort, dem Betriebsrat, der IG Metall und den politischen Vertretern zu bleiben, um eine solche Entwicklung mit allen Mitteln abzuwenden oder umfassend zu kompensieren.
Landrat: Standort ungefährdet
Bei den bisherigen Gesprächen mit den Siemens-Vertretern, mit Ministerpräsident Horst Seehofer oder den beiden zuständigen Ministerinnen Emilia Müller und Ilse Aigner habe er ein sehr gutes Gefühl erhalten. „Der Staatsregierung ist es ernst damit, Bad Neustadt bei dem drohenden Stellenabbau zu unterstützen“, ist Bruno Altrichter überzeugt.
Auch Landrat Thomas Habermann ist von einem geplanten Stellenabbau über die bekannten 370 Jobs hinaus nichts bekannt. Er hält den Siemens-Standort Bad Neustadt für ungefährdet. Beim Seehofer-Treffen hätten sich die Siemens-Vertreter eindeutig und auf Dauer zu dem Standort Bad Neustadt bekannt.
Nichtsdestotrotz werde man sich mit der Siemens-Führung in Verbindung setzen, um zu erfahren, was an den IG-Metall-Verlautbarungen dran ist. Wie Altrichter betonte auch Habermann den engen Kontakt zu Siemens, zum Betriebsrat und zur Staatsregierung.
„Wir wollen einen Ausbau und eine Neuentwicklung des Standortes“, betonte Habermann das Ziel der Bemühungen. Bad Neustadt sei ein sehr guter Standort, sowohl was die Leistungsbereitschaft als auch die Leistungskraft anbelange. Die Region verfüge über innovative Mitarbeiter. „Ich weiß, dass Siemens das genauso sieht.“