„Halt's Maul, du dumme Sau!“ Das ist der schockierende Titel eines Lehrbuchs aus einem pädagogischen Verlag. Und dieses Lehrbuch war der Leitfaden für einen besonderen Lehrgang, den Studienrätin Irmgard Seifert 16 Schülern an der Ignaz-Reder-Realschule angeboten hatte: die Ausbildung zu Streitschlichtern.
Das Lehrbuch trägt einer unabänderlichen Tatsache Rechnung: Wo Menschen eng zusammenleben, knirscht es manchmal im Gebälk. Das gilt auch für Schulen. Konflikte zwischen Schülern können von noch relativ harmlosen verbalen Verletzungen bis fürchterlich reichen. Dann sind für den jeweiligen Fall Personen und Institutionen zuständig, die die Voraussetzungen haben, um den jeweiligen Vorfall in den Griff zu kriegen.
An den Schulen sind das in aller Regel Lehrer und Schulleitung. In Deutschland gibt es seit den frühen 1990er-Jahren Bemühungen, die Schüler selbst ihre Probleme lösen zu lassen. Diese pädagogisch höchst fruchtbare Idee hat auch die Ignaz-Reder-Realschule aufgegriffen, und das schon seit 2003. Seit 2009 bot Seifert jedes Jahr den Schülern der 8. und 9. Jahrgangsstufe einen solchen Wahlunterricht an. Die Resonanz war so groß sogar, dass sie gelegentlich Schüler abweisen musste.
Nun ging die diesjährige Schulung zu Ende, in zehn Unterrichtseinheiten wurden Schüler unter Leitung von Irmgard Seifert zu Mediatoren ausgebildet. In einem Rollenspiel an ihrer Schule demonstrierten sie, wie die Mediation von Schülern für Schüler nach einem festgelegten, fast ritualisierten Verfahren abläuft.
Die beiden „Streithähne“ Lena Müller und Lisa Langer, beide aus der Klasse 6c und Nicht-Streitschlichter, mimten einen typischen Mädchenkonflikt, weil die eine der beiden eine Freundschaft zu einem anderen Mädchen begonnen hat und ihre bisherige Freundin mit Lügen und Ausreden hinhielt und verärgerte. Die Mediatorinnen waren Alina Saalbach und Elisa Schütz, beide aus der 9c. Vor ihren Schulkameraden, ihrer Lehrerin und ihrem Schulleiter Ulrich Kluge demonstrierten sie das Schlichtungsgespräch, das in fünf standardisierten Phasen abläuft. In der Einleitung werden die „Spielregeln“ für das Gespräch erklärt. In der zweiten Phase stellen die Kontrahenten ihre unterschiedlichen Sichtweisen dar, in der dritten geht man tiefer auf die Gefühle der Betroffenen ein und fragt nach ihren Wünschen; in der vierten Phase suchen alle vier Schüler nach Lösungsmöglichkeiten, und in der letzten wird eine Vereinbarung getroffen, mit der der Konflikt gelöst und sogar schriftlich per Unterschrift besiegelt wird, in einer Art zumindest moralisch bindendem Vertrag. Und das Besondere an dem Verfahren: Das alles geht ohne Intervention oder Kenntnisnahme der Lehrer.
Seifert händigte den diesjährigen Streitschlichtern ihre Bescheinigungen aus, über die auch im Jahreszeugnis ein Vermerk eingetragen wird - sicher kein Nachteil, wenn man sich mit diesem Zeugnis um einen Arbeitsplatz bewerben will.
An die Präsentation schloss sich ein Erfahrungsaustausch mit den Schülern an. Johannes Stum sagte, dass es ihm und seinen Freunden lieber sei, wenn Jungen im Konfliktfall zu ihnen kämen. Die Mädchen unter den Streitschlichtern hätten aber nichts dagegen, wenn auch Jungen zu ihnen kämen. Auch wenn sie das Wort in ihren Äußerungen nicht gebrauchten: Diese jungen Menschen sind Streitschlichter geworden aus einem selbstlosen Verantwortungsgefühl für ihre Mitschüler und ihre Mitmenschen allgemein. Denn sie waren sich sicher, dass die Erfahrungen sehr wohl auch später nützlich sein werden. Und einige konnten sogar schon von erfolgreichen Streitvermittlungen berichten. Und der Friede zwischen den einstigen Streithähnen hält. Das bestätigte Seifert aus ihrer langjährigen Erfahrung.