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BAD NEUSTADT: Keine Verträge, aber harte Schläge

BAD NEUSTADT

Keine Verträge, aber harte Schläge

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    Mit unseriösen Methoden versuchen manche Drückerkolonnen, an der Haustüre oder auf der Straße Zeitschriftenabos an den Mann zu bringen. Ein junger Rhön-Grabfelder hat im Herbst einschlägige Erfahrungen in der Branche gesammelt.
    Mit unseriösen Methoden versuchen manche Drückerkolonnen, an der Haustüre oder auf der Straße Zeitschriftenabos an den Mann zu bringen. Ein junger Rhön-Grabfelder hat im Herbst einschlägige Erfahrungen in der Branche gesammelt. Foto: FOTO Hagen Wohlfahrt

    Eigentlich hätte Maximilian Vogel* es ja wissen müssen. Denn bei der Stellenanzeige in einem regionalen Anzeigenblatt wurde auch der 20-jährige Rhön-Grabfelder skeptisch. 1800 Euro netto im Monat wurden da für einen Job als „Tourenhelfer“ versprochen – angeblich ein Lkw-Beifahrer, der sich nur um den Papierkram kümmern soll.

    „Klar, das war schon komisch“, sagt der junge Mann heute, keine zwei Monate danach. Doch Maximilian konnte es sich nicht erlauben, solche Gelegenheiten einfach zu ignorieren – selbst wenn sie noch so unseriös klingen. Nach seiner Ausbildung zum Lageristen war der Heranwachsende arbeitslos, und die Jobsuche war angesichts der Wirtschaftslage ziemlich aussichtslos.

    Also wählte er die abgedruckte Telefonnummer und informierte sich über das Fabelangebot. Der „Chef“ meldete sich mit einem saloppen „Hallo“ – einen Firmennamen nannte er nicht. Schnell hatte der Bewerber aus der Rhön ein „bezahltes Probearbeiten“ vereinbart. Er sollte nach Frankfurt kommen und gleich Gepäck für 14 Tage mitbringen. Beim Vorstellungsgespräch einen Tag später in der Bankenmetropole hieß es dann, die Stelle als Tourenhelfer sei schon besetzt – aber er könne dafür „Pressevertriebsagent“ werden. Hört sich gut an, bedeutet aber nichts anderes als Zeitschriftenwerber. Drückerkolonne also. Maximilian sagte trotzdem zu.

    Naivität

    Was hätte er auch anderes machen sollen? „Man wird halt naiv, wenn man unbedingt Arbeit haben will“, sagt er. Damals hat er sich das schön geredet: Vielleicht wird's ja gar nicht so schlimm. „Und es gab ja eine Probezeit. Da habe ich mich nochmal rückversichert.“

    Am nächsten Tag saß Maximilian im Zug Richtung Montabaur, Westerwald. Mit sechs Kollegen, alle etwa im selben Alter, wurde er in einem Haus einquartiert. „Hotel“ nannte der Vorgesetzte das, obwohl es keines war.

    Seinen ersten Einsatz hatte er in Bonn. In der alten Bundeshauptstadt sollte Maximilian lernen, was ein Pressevertriebsagent zu tun hat, drei Tage lang wurde er von einer erfahrenen Kollegin eingearbeitet. Junge Leute wurden in der Fußgängerzone angesprochen, man suche sie als „Test-Zeitschriftenabonnenten“. Ein paar Wochen lang würden sie Magazine beziehen, um dann über die Zustellung Auskunft zu geben. Völlig kostenlos, versteht sich. Damit solle bloß die Zuverlässigkeit der jugendlichen Austräger überprüft werden, wurde den Passanten weisgemacht.

    Scheine schreiben

    Feine Sache. Dass die vermeintlichen Tester auch ihre Bankdaten preisgeben und etwas unterschreiben sollten, machte zwar viele von ihnen stutzig, manche unterschrieben aber dennoch. „Die hatten dann ein Abo an der Backe“, erzählt Maximilian.

    Am vierten Tag wurde der Branchenneuling aus der Rhön alleine losgeschickt. Doch er zierte sich, hatte Skrupel, andere Leute übers Ohr zu hauen. „Ich habe keinen einzigen Schein geschrieben“, erinnert er sich. „Scheine schreiben“ ist Szenesprache und heißt: Verträge abschließen. Ein Schein bringt dem Werber 25 Euro, theoretisch, doch die Chefs finden immer Gründe, etwas abzuziehen. Am Ende bleibt nicht viel.

    Der Vorgesetzte, ein Mittvierziger, war sauer, beleidigte Maximilian und brüllte ihn an, aber der Anfänger sollte nochmal eine Chance bekommen.

    In der folgenden Nacht machte sich ein Mädchen aus der Truppe aus dem Staub, die junge Frau hatte wohl genug von der Drecksarbeit. Am nächsten Morgen – Maximilian sollte an dem Samstag in Frankfurt auf Opferjagd gehen – wollte auch er aussteigen. „Ich höre auf“, sagte er dem Kolonnenboss.

    Schmerzhafter Abschied

    Zunächst versuchten sie es auf die sanfte Tour. Ein Kollege machte vor, wie's geht, schrieb die Scheine für den Rhöner, und am Abend gingen sie zusammen aus. „Die wollten mich nicht weglassen“, erzählt der junge Mann. Doch sein Entschluss stand fest. „Ich pack' jetzt meine Sachen“, sagte Maximilian am Sonntagmorgen. Es war ein schmerzhafter Abschied. Der Aussteiger kassierte 20 Schläge ins Gesicht, musste sich später ärztlich behandeln lassen. Obendrein musste er Geld für die Einarbeitung zurückzahlen.

    Maximilian Vogel ist in heimatliche Gefilde zurückgekehrt, hat in Bad Neustadt Anzeige erstattet. Die Polizei hat den Fall weitergeleitet an die Kollegen im Westerwald. Der junge Rhön-Grabfelder hat inzwischen ein Praktikum bei einer Berufsfortbildungsinstitution begonnen. Er hat fürs Leben gelernt. „Ich bewerbe mich nur noch bei seriösen Firmen.“

    * Name von der Redaktion geändert

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