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Bad Neustadt: Landrat Habermann: Warum die Energiewende aktuell am Stromnetz scheitert und was Politik und Bürger tun sollten

Bad Neustadt

Landrat Habermann: Warum die Energiewende aktuell am Stromnetz scheitert und was Politik und Bürger tun sollten

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    Die Netze sind voll. Photovoltaik-Anlagen können schon heute nur noch bedingt in Rhön-Grabfeld angeschlossen werden. Im Bild das Umspannwerk Brendlorenzen in Bad Neustadt.
    Die Netze sind voll. Photovoltaik-Anlagen können schon heute nur noch bedingt in Rhön-Grabfeld angeschlossen werden. Im Bild das Umspannwerk Brendlorenzen in Bad Neustadt. Foto: Torsten Leukert

    Alle reden vom Ausbau alternativer Energiequellen. In Teilen des Landkreises würde ein solcher Ausbau allerdings überhaupt nichts bringen. Das bestehende Leitungsnetz könnte den so produzierten Strom überhaupt nicht aufnehmen. Dementsprechend ist auch in den Augen von Rhön-Grabfelds Landrat Thomas Habermann das Thema Netzausbau der größte Stolperstein für die Energiewende. Der Stromleitungsausbau müsse vehement beschleunigt werden. Was Habermann von der Bundesregierung fordert und seinen Landkreis-Bürgern rät.

    Warum ist das Thema Netzausbau so entscheidend?

    "Ich habe immer wieder kritisiert, dass über das Thema Netz nicht gleichwertig mit dem Thema Erneuerbare Energien gesprochen wird", sagt Landrat Thomas Habermann. "Politisch gewollt ist, dass möglichst viel Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt wird." Habermann, zugleich Aufsichtsratsvorsitzender des Überlandwerks Rhön, das die Verteilernetze vor Ort betreibt, erklärt: "Diese Netze sind im Grunde genommen voll."

    Wie äußert sich das konkret im Landkreis Rhön-Grabfeld?

    Im Bereich Bischofsheim/Schönau beispielsweise können neue Photovoltaikanlagen schon heute nur noch bedingt angeschlossen werden. Das 20-kV-Netz ist bereits voll. Ein entsprechender Ausbau des Netzes, so Habermann, brächte – nach derzeitiger Rechtslage – unverhältnismäßige Kosten mit sich.

    Ähnlich verhält es sich derzeit in Querbachshof: Eine Freiflächen-Photovoltaik am Sportplatz Leutershausen konnte laut Habermann noch eingeweiht werden. Als wenige Wochen später Kreisrat Christoph Herbert eine Photovoltaik-Anlage auf seine Scheune in Querbachshof bauen wollte, bekam er vom Netzbetreiber die Auskunft: "Geht nicht! Netz zu."

    Sind die Verteilernetze vor Ort voll, müssen Einspeisewillige schon heute ein eigenes Umspannwerk bauen und ihren Strom ins nächstübergeordnete Netz einleiten.
    Sind die Verteilernetze vor Ort voll, müssen Einspeisewillige schon heute ein eigenes Umspannwerk bauen und ihren Strom ins nächstübergeordnete Netz einleiten. Foto: TORSTEN LEUKERT

    Was können Einspeisewillige tun, wenn ihr Verteilernetz die Kapazitätsgrenze erreicht hat?

    Jeder hat einen Anspruch auf Einspeisung. Sind die nahen Netze voll, müssen sich Einspeisewillige allerdings ein eigenes Umspannwerk bauen, um ins nächst übergeordnete Netz, etwa das 110-kV-Netz zu kommen. "Das kann schnell zur Unwirtschaftlichkeit des Projekts führen", so Habermann. Wolle man jetzt noch signifikant Windkraft und Freiflächen-Photovoltaik-Anlagen zubauen, bräuchte es eine gesamte Netzertüchtigung. "Vereinzelt geht noch was. Aber nicht so viel, dass wir die politischen Vorgaben – nur E-Mobilität, keine fossilen Heizungen – erfüllen könnten."

    Was passiert, wenn ein Überschuss an Strom produziert wird?

    Option 1: Wenn das Netz voll ist, kommt es zur gesetzlich geregelten Abschaltung von Erzeugungsanlagen. Allerdings wird der Strom, der aufgrund von Netzengpässen gar nicht produziert wird, am Ende über Entschädigungsleistungen dennoch bezahlt. Im Landkreis Rhön-Grabfeld sei eine solche "Abregelung"aber noch nicht nötig geworden.

    Option 2: Der überschüssige Strom werde auf überregionale Transportnetze verteilt. Habermann spricht von einem "Wegdrücken" von Strom in andere Netze, die in der Regel im Ausland liegen. "Das ist der berühmte Fall: Wir liefern den Österreichern Strom, ohne, dass wir ihn bezahlt bekommen. Wenn wir Flaute haben, importieren wir wieder und zahlen."

    Die Folge, die Habermann moniert: "Der Strompreis steigt immer mehr, aber dem Ziel, der Unabhängigkeit von fossilen Rohstoffen, komme ich nicht mehr weiter entgegen."

    Wie gut ist der Landkreis Rhön-Grabfeld im Bereich Erneuerbare Energien aufgestellt?

    Im Netzgebiet des Überlandwerks Rhön wurden in den letzten 20 Jahren circa 6000 Anlagen zur Erzeugung von Energie aus regenerativen Quellen angeschlossen. Von der installierten Erzeugungsleistung (laststärkster Zeitpunkt), ist das mehr als das Doppelte, was an einem Winterabend gebraucht wird. "Nur: Zu diesem Zeitpunkt sind die PV-Anlagen nicht in Betrieb", so Habermanns Einwand. Von den verbrauchten Kilowattstunden pro Jahr liegt Rhön-Grabfeld etwa im deutschen Durchschnitt mit 40 Prozent aus erneuerbaren Energien.

    Was ist das Problem mit den Leitungen?

    "Als die Netze gebaut wurden, waren die jetzigen Anforderungen nicht bekannt", so Habermann. Das Stromnetz wurde zentral angelegt auf große Kraftwerke, die oben Strom produzieren und nach unten hin in Leitungen mit immer niedrigerer Spannung verteilen. Durch die erneuerbaren Energien entwickelte sich das Netz vom Verteil- zum Einsammelnetz. Der Strom muss seither von unten zusammengeführt und weitergeleitet werden, wofür die Kapazitäten der Netze vor Ort begrenzt sind. "Das ist technisch eine Herausforderung, was Leitungsbau, aber auch was Stromqualität angeht", so Habermann.

    Weshalb ist die Stromqualität so wichtig?

    Es geht nicht nur um Strom. Wichtig ist eine Netz- und Frequenz-Stabilität. Firmen wie Siemens, erzählt der Landrat, bräuchten Strom in bester Qualität. "Der darf nicht flackern. Wenn der eine Hundertstel-Sekunde instabil wird, schalten hochsensible Maschinen ab."

    Immer wieder kommt es auch im Landkreis zu Stromausfällen. Sind das erste Anzeichen einer Netzüberlastung?

    Bundesweit lag die durchschnittliche Ausfallzeit pro Kunde und Jahr 2021 bei 12,7 Minuten. Im Bereich des Überlandwerks Rhön waren es nur 6,3 Minuten. "Das zeigt, wir sind auf dem Stand der Technik und müssen uns nicht verstecken", so der ÜW-Aufsichtsratsvorsitzende. Zumal der Zubau erneuerbarer Energien nicht mit der Störungshäufigkeit in Zusammenhang stünde. Gründe für Stromausfälle seien beispielsweise vielmehr Gewitter, Tiefbauarbeiten sowie Einflüsse durch das vorgelagerte Transportnetz von außen.

    Wie kann das Stromnetz ertüchtigt werden?

    "Es ist nicht damit getan, dass wir dort mal eine Leitung verstärken und da was dazu bauen", erklärt Habermann. "Wir brauchen eine gesamte Netz-Ertüchtigung." Entscheidend in dem Zusammenhang: Netz ist nicht gleich Netz. Ein Netzausbau müsse über die verschiedenen Netzebenen – vom 400-V-Ortsnetz, über das 20-kV-Verteilernetz, das 110-kV-Transportnetz bis zum 220/380-kV-Übertragungsnetz – abgestimmt erfolgen. Die Netzebenen wiederum stehen im Eigentum unterschiedlicher Netzbetreiber vom Überlandwerk Rhön über das Bayernwerk bis hin zu beispielsweise Tennet. Alle hängen technisch und physikalisch zusammen. Laut Habermann brauche es einen deutschland- und europaweit abgestimmten "Masterplan".

    Das Genehmigungsverfahren rund um das Übertragungsnetz Südlink dauert beispielsweise inzwischen zehn Jahre. Warum geht der Leitungsausbau so langsam voran?

    "Es sind zu aufwändige Genehmigungsverfahren", findet Habermann. "Es liegt daran, dass diejenigen, die die Genehmigung machen, noch nie so etwas gemacht haben." Für ein Planfeststellungsverfahren brauche es Spezialisten. Hinzu komme, dass Bürgerinitiativen oder Klagen Einzelner das Verfahren erheblich verzögern könnten.

    Hätte man das Genehmigungsverfahren beschleunigen können?

    "Man hätte das Vorhaben durch den Gesetzgeber genehmigen und nicht durch Verwaltungsakte beschließen müssen", findet Habermann. Auf eine solche Legal-Genehmigung sei auch bei den Verkehrsprojekten Deutsche Einheit nach 1989 zurückgegriffen worden. Um die neuen Bundesländer möglichst schnell anzubinden, habe damals der Bundestag den Bau neuer Autobahnen beschlossen. Das hat das normale Verwaltungsverfahren ersetzt. "Das ist nicht ganz unkritisch. Das muss im Grundgesetz sauber abgearbeitet werden. Aber dass es geht, haben die Verkehrsprojekte Deutsche Einheit gezeigt."

    Hätte man nicht auch im Landkreis früher einen Ausbau- und Investitionsbedarf der Verteilernetze vor Ort erkennen müssen?

    "Doch, aber das ist ganz einfach ein wirtschaftliches Problem", antwortet Landrat Habermann in seiner Funktion als Aufsichtsratsvorsitzender des Überlandwerks Rhön. Die Netzbetreiber bauten kein Netz, bei dem die Refinanzierung nicht gesichert sei. "Das wäre ein wirtschaftliches Himmelfahrtskommando." Zumal es zahlreiche Unbekannte gebe: Etwa, wie groß derartige neue Netze ausgelegt werden sollten. 

    Rhön-Grabfelds Landrat Thomas Habermann wünscht sich einen Masterplan in Sachen Netzausbau und sieht EU und Bundesregierung in der Pflicht.
    Rhön-Grabfelds Landrat Thomas Habermann wünscht sich einen Masterplan in Sachen Netzausbau und sieht EU und Bundesregierung in der Pflicht. Foto: Archivfoto Christian Hüther

    Wie könnte ein beschleunigter Netzausbau gelingen?

    Habermanns Wunsch: EU und Bundesregierung sollten den Netzausbau als Projektsteuerer von oben her in die Hand nehmen. "Meine Vision ist, dass der Gesetzgeber einen deutschland- beziehungsweise europaweiten Plan entwickelt und auch die Finanzierung absichert. Sonst wird sich da nichts tun."

    Gesetzt den Fall, der Netzausbau gelingt doch. Kann die Energiewende glücken?

    "Alle Vorgaben, die wir haben, sind politische Vorgaben", moniert der Landrat. Was ihm fehle, ist die Diskussion um die technische Umsetzbarkeit. "Wir haben nicht nur nicht die Leitungen, wir haben Lieferkettenprobleme, keine Bagger, keine Baggerfahrer", zählt er auf. Was außerdem in seinen Augen gelöst werden müsste: die Flaute-Zeiten, in denen Erneuerbare Energien nicht oder nicht genug liefern. Es brauche Speichermöglichkeiten. "Die ganze Speichertechnologie hängt aber auch noch weit zurück."

    Kann die Energiewende also von unten her nicht mitgestaltet werden? 

    "Das will ich damit nicht ausdrücken", so Habermann. Nichts zu machen, sei keine Alternative. Die vielen Einzellösungen reduzierten die Grundlast, also die konstant benötigte elektrische Leistung in einem Versorgungsgebiet. "Da nähern wir uns vernünftig an." Unabhängig davon löse das aber nicht das in seinen Augen entscheidende Problem: "Technisch ist die Zukunft völlig ungewiss und es fehlen die gesetzgeberischen Vorgaben mindestens auf Bundesebene."

    Was rät Landrat Habermann dem Bischofsheimer, der Photovoltaik installieren möchte?

    "Finger davon lassen!", ist der Landrat klar.

    Vorausgesetzt, das Verbot fossiler Heizungen kommt. Dann bräuchten viele die Wärmepumpe und unterstützend Solar auf dem Dach?

    Der Verbraucher bekommt die Wärmepumpe nicht, ist Habermann überzeugt. Er selbst habe ein Jahr nach Bestellung auf eine warten müssen. "Was Habeck macht, ist Wahnsinn", findet der CSU-Mann. "Es ist ja inhaltlich richtig, aber es muss umsetzungsfähig sein. Wir werden die Wärmepumpen nicht herkriegen, wir haben auch nicht die Anschlusskapazitäten, es ist nicht machbar." Den Landkreis-Bürgern empfiehlt er: "Seht zu, dass ihr euch fit macht für die Zukunft." Der Mainstream gehe dahin, dass fossile Heizungen verboten werden. "Lasst euch beraten. Bestellt vielleicht eine Wärmepumpe zur Unterstützung der Gasheizung. Kauft euch vielleicht jetzt einen neuen Gaskessel, wenn ihr ihn noch kriegt, der neue ist viel effizienter."

    Wie sollte die Stadt Bischofsheim angesichts der Netzengpässe agieren?

    Wolle Bischofsheim in Erneuerbare investieren, müsse die Stadt mit dem Überlandwerk verhandeln, eventuell überlegen, ob es wirtschaftlich sei, über ein Umspannwerk ins 110-kV-Netz zu kommen. "Aber Bischofsheim kann nicht davon ausgehen, dass das Überlandwerk oder Bayernwerk ohne gesicherte Finanzierung als Vorhalt ein neues Stromnetz bauen. Das wird nicht kommen."

    Stockt die Energiewende?

    "Sie geht voran, aber wahnsinnig langsam", so Habermanns Resümee.

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