Verlängerter Lockdown und keine Perspektive: Die Einzelhändler in der Region sehen derzeit kein Licht am Ende des Tunnels. Wann dürfen sie ihre Geschäfte endlich wieder öffnen? Nach monatelanger Schließung machen sich Frust und Ärger breit. Und ganz reale Existenzsorgen. "Die Nerven liegen blank", sagt Carl-Christian Bittorf, Vorsitzender im Handelsverband Bayern für Rhön-Grabfeld, und spricht dabei für viele seiner Kollegen. Die Situation des Einzelhandels ist dramatisch – "es ist höchste Zeit, dass wir das den Leuten, aber vor allem den politisch Verantwortlichen bewusst machen", so Bittorf.
Brigitte Proß vom Verein Aktives Mellrichstadt und Joachim Leyh vom Verein für Stadtmarketing Ostheim wollen den Händlern auch eine Stimme geben. Ebenso wie Mirjam Stürmer, Chefin von Intersport Stürmer, dem größten Geschäft in Mellrichstadt, und Nicol Zirbs-Rapp, Inhaberin des Jeansshops "Young People" in Ostheim. Bei einem Pressegespräch berichten sie von ihren Sorgen und Nöten in der Corona-Pandemie und richten dabei auch konkrete Forderungen an die Politik.
Händler sehen derzeit keine Perspektive
Der Lockdown zwingt viele Unternehmer in die Knie. Zum zweiten Mal müssen die Läden monatelang geschlossen bleiben, die Händler haben keine Einnahmen, dafür laufen die Kosten weiter. Und die Ware wird, vor allem bei den Modehändlern, immer weniger wert. Dafür wachsen die Existenzsorgen. "Viele Händler hatten sehr lange Verständnis für die Maßnahmen der Politik, doch das schwindet mehr und mehr", sagt Carl-Christian Bittorf, der in Mellrichstadt ein Geschäft für Jagdbedarf betreibt. Er bemängelt vor allem auch die schlechte Kommunikation der politisch Verantwortlichen, die den Händlern keine Perspektive bieten.

"Wir können uns auf keine Aussage verlassen, wie es weitergehen wird, zudem kommen Hilfen sehr spät und sind mit hohem bürokratischen Aufwand verbunden", klagt Bittorf. Ohne Planungssicherheit stehen die Händler mit dem Rücken zur Wand. Viele resignieren. "In Ostheim überlegen mehrere Geschäftsinhaber, ob sie überhaupt weitermachen", weiß Joachim Leyh. Dabei hat der Handel längst ausgefeilte Hygienekonzepte in der Tasche, ähnlich wie im Lebensmittelhandel. "Warum also dürfen wir nicht öffnen?", fragen sich die Geschäftsleute.
Call & Collect: Ein Tropfen auf dem heißen Stein
Die Lage ist ernst. Mirjam Stürmer, die in der dritten Generation das Sport-, Mode- und Spielwarengeschäft in der Hauptstraße führt, musste schweren Herzens alle 15 Mitarbeiter in die Kurzarbeit schicken. Gemeinsam mit ihrem Mann und einer Auszubildenden hält sie derzeit die Stellung im Laden, mit Call & Collect konnte in den vergangenen Wochen wenigstens die Nachfrage nach Langlaufskiern gedeckt werden. "Dennoch ist das ein Tropfen auf dem heißen Stein", macht sie deutlich.
In einem Winter wie diesem wären Sportartikel weggegangen wie warme Semmeln. Das Geschäft machten diesmal große Onlinehändler, deren Versandlager geöffnet bleiben dürfen. "Für diese Entscheidungen des Staats habe ich kein Verständnis", ärgert sich Stürmer. Sie sorgt sich aber nicht nur um ihr Geschäft, sondern auch um ihre Angestellten: "Da hängen ja schließlich noch andere Existenzen mit dran." Und die Regierung schaue nur zu, hätte ihrer Meinung nach längst andere Konzepte anstoßen müssen, um die Existenzen der Händler zu sichern. "Warum zum Beispiel dürfen wir uns keine Kunden auf Termin bestellen?", fragt sie sich.
Kritik an Politik: Händler fühlen sich ungerecht behandelt
Die empfundene Ungleichbehandlung verschiedener Branchen durch die Politik bringt auch Nicol Zirbs-Rapp auf Hundertachtzig. Dass Discounter ihr Angebot in alle Richtungen ausbauen dürfen, während der Handel dicht bleiben muss, sorgt bei ihr für mächtig Frust. Seit 32 Jahren betreibt sie ihr Geschäft in Ostheim und versucht nun, mit Click & Collect den Kontakt zu ihren Kunden zu halten. Via Facebook, Instagram und WhatsApp-Status stellt sie jeden Tag Teile ihrer Kollektion vor, Kunden können im Laden anrufen und Kleidung reservieren, Zirbs-Rapp liefert auch aus. "Das kann das normale Ladengeschäft aber bei Weitem nicht ersetzen", klagt sie.

Sauer stoßen ihr die verwirrenden Aussagen der Politik auf. Hieß es zunächst, bei einem Inzidenzwert von 50 könne es Lockerungen beim Lockdown geben, wurde diese Zahl kurzerhand auf 35 gesenkt. Das bringt die Geschäftsinhaberin auf die Palme: "Wir Händler haben unsere Hausaufgaben gemacht, nur die Politik hat keinen Plan B." Dazu legt der Staat die Hürden für Überbrückungshilfen sehr hoch. Zirbs-Rapp weiß noch nicht, ob sie Hilfe beantragen wird. "Zum einen muss der Antrag von einem Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Rechtsanwalt ausgefüllt werden, was ja auch Geld kostet. Zum anderen glaube ich nicht an Geschenke des Staats. Das müssen wir wahrscheinlich teuer zurückzahlen." Für sie gibt es nur eine Alternative: "Lasst uns jetzt mit Hygienekonzept die Läden öffnen, dann können wir uns alleine retten", richtet sie einen flammenden Appell an die Politik.

Brigitte Proß: Kleine Händler haben keine Lobby
Brigitte Proß sieht ein großes Problem der derzeitigen politischen Entscheidungen darin, dass der stationäre Einzelhandel keine Lobby hat. Dass die Friseure zum 1. März wieder öffnen dürfen, freut die Geschäftsführerin des Aktiven Mellrichstadt, dennoch sei nicht einsehbar, warum das nicht ebenso für den Handel gilt. Ihrer Meinung nach müsste bei allen Einschränkungen auch zwischen Großstädten und ländlichen Gebieten differenziert werden. "Pauschale Vorgaben funktionieren hier nicht", so ihre Meinung, auch die Bevölkerungsdichte sollte in punkto Geschäftsöffnungen eine Rolle spielen.
Dass die Läden ab dem 7. März wieder geöffnet haben dürfen, daran glauben weder die Vertreter der Stadtmarketingvereine noch die Händler selbst. Und dann? Ein längerer Lockdown könnte das Aus für viele Läden bedeuten. "Die vollen Auswirkungen des Lockdowns werden sich in einigen Monaten zeigen", ist Mirjam Stürmer überzeugt. "Dann sieht man, was alles kaputtgemacht worden ist." Das ist auch die große Sorge von Joachim Leyh. Die Stadt Ostheim hat ein Einzelhandelskonzept aufgestellt, in dem auch Leerstände erfasst sind. "Wird der Lockdown verlängert, wird es mehr davon geben", ist er sich sicher.
Konzept für ein Leben mit Corona gefordert
"Die Politik muss ein Konzept für ein Leben mit Corona auf den Tisch legen", fordert Brigitte Proß. Die große Sorge gilt schon jetzt dem kommenden Herbst, wenn vielleicht weitere Schließungen drohen. "Langfristige Planungen, wie im Handel eigentlich üblich, sind derzeit kaum möglich", sagt Nicol Zirbs-Rapp. Wer jetzt Ware bestellt, weiß nicht, ob er sie im kommenden Winter überhaupt an den Mann bringen kann. Was sie vollends auf die Palme bringt: 460 Millionen Euro Kredit schüttet der Staat zur Unterstützung von Galeria Karstadt Kaufhof aus, aber die kleinen Händler bleiben auf der Strecke. "Dabei ernähren wir in der Summe deutlich mehr Familien als die 18 000 Arbeitsplätze, die vom Staat zur Rettung von Karstadt angeführt werden."

Jetzt ist nach Meinung der Geschäftsleute der Staat gefragt, mit einer verlässlichen Politik dazu beizutragen, dass möglichst viele Händler durch die Krise kommen. "Es ist viel Vertrauen verlorengegangen", sagt Carl-Christian Bittorf. Dank gelte den treuen Kunden, die den örtlichen Einzelhändlern die Stange halten und ihnen Mut machen, durchzuhalten. Am Ende helfe aber nur eines: "Nur wenn die Läden so schnell wie möglich wieder öffnen dürfen, können die Händler überleben. Ansonsten gibt es nach dem Lockdown leere Innenstädte ohne Leben."