Der Paragraf 175 im deutschen Strafgesetzbuch verbot sexuelle Handlungen zwischen Männern. Gestern vor 20 Jahren – am 11. Juni 1994 – wurde er vollständig außer Kraft gesetzt. „Aus unserer heutigen Sicht ist es kaum vorstellbar, dass vor nicht allzu langer Zeit Homosexuelle aufgrund ihrer sexuellen Gesinnung bestraft wurden und sogar ins Gefängnis kamen“, sagt Daggi Binder im Gespräch mit dieser Zeitung.
Die heute 40-Jährige weiß seit ihrem 15. Lebensjahr, dass sie auf Frauen steht. Das Outing war erst mal schwierig, erzählt sie. „Aber ich konnte und wollte meine Beziehung vor meiner Familie und auch in der Öffentlichkeit nicht weiter geheimhalten“.
Sie erinnert sich an die Vorurteile, die es zu dieser Zeit gegen Homosexuelle gab – gerade auf dem Land. Allerdings sei bei Beziehungen zwischen Frauen die Toleranzgrenze in der Gesellschaft schon immer etwas höher gewesen als bei Männern, erzählt Binder, die Kommunikationsdesign studiert hat und auch als Fotografin arbeitet.
Lesbische Paare nicht erwähnt
So wird auch im Gesetzestext des Paragrafen 175, der 1871 nach Gründung des Deutschen Reiches eingeführt worden war (1969 gab es eine Liberalisierung), nichts über lesbische Paare gesagt. Es heißt darin: „Die widernatürliche Unzucht, welche zwischen Personen männlichen Geschlechts oder von Menschen mit Tieren begangen wird, ist mit Gefängnis zu bestrafen.“
Vielleicht sind Frauen nicht erwähnt, da sie in der Gesellschaft wenig durch ihr „Anderssein“ auffallen, meint Binder. Von klein auf sei man gewöhnt, dass sich Frauen eher umarmen und Zärtlichkeiten austauschen als Männer.
Fakt ist: „Auch wenn wir Frauen nicht direkt erwähnt werden, sitzen wir in einem Boot mit den homosexuellen Männern“, sagt Binders Lebensgefährtin Diana Pfab. Es sei eine historisch wichtige Entscheidung gewesen, den Paragrafen aus dem Gesetz zu streichen. „Der Staat hat nicht mitzuentscheiden, wen Erwachsene zu lieben haben.“
Die 37-Jährige selbst wusste nicht gleich, dass sie auf Frauen steht. „Ich hatte erst mal Beziehungen mit Jungs und Männern, stand gar kurz vor der Hochzeit“, erzählt sie offen. Doch sie spürte, dass sie sich zum weiblichen Geschlecht hingezogen fühlte. „Oh scheiße. Jetzt bin ich lesbisch – was nun?“, fragte sich die junge Frau. Und probierte sich aus. „Ich wollte wissen, welche Gefahren es birgt, anders zu sein. Und, wie es bei den Leuten ankommt. Es war ein Prozess.“
Dann lernte die Physiotherapeutin Daggi kennen und lieben. Wegen ihr zog die gebürtige Geraerin nach Schweinfurt. Mit 30 Jahren hatte Pfab ihr offizielles Coming-out. „Meine Mutter war erst mal geschockt und eine Weile hatten wir keinen Kontakt. Heute ist sie meine beste Freundin“, erzählt sie.
Dass sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten in puncto Toleranz viel getan hat, ist nicht zuletzt Politikern wie Klaus Wowereit, Guido Westerwelle oder der Fernsehjournalistin Anne Will zu verdanken, die sich geoutet haben. Auch das Gesetz über die eingetragene Lebenspartnerschaft, das seit 1. August 2001 in Kraft ist, hat dazu beigetragen. In vielen Rechtsbereichen ist die Lebenspartnerschaft der Ehe zwischen Frau und Mann gleichgestellt.
Auch Daggi Binder und ihre Diana haben sich im vergangenen Jahr im Rathaus von Güntersleben (Lkr. Würzburg) offiziell verpartnert. Dennoch ist die vollständige Gleichberechtigung noch nicht erreicht: So ist es gleichgeschlechtlichen Paaren zum Beispiel nicht erlaubt, gemeinsam ein Kind zu adoptieren.
Offener und ehrlicher Umgang
Wichtig für Binder und Pfab ist es, offen und ehrlich mit ihrer Homosexualität umzugehen. Bisher haben sie damit nur positive Erfahrungen gemacht – auch beruflich. „Es geht einfach darum, als Mensch wahr genommen zu werden“, sagt Binder. Aus aktuellem Anlass weist sie auf das Lied „100 Prozent Mensch“ hin. Auf Initiative des Musikkabarettisten Holger Edmaier haben sich mehr als 30 Künstler zusammengetan, um gemeinsam ein Lied gegen Homophobie und für Menschenrechte zu singen. Auch die Schweinfurterin Steffi List ist dabei.
Der Erlös aus dem Verkauf der Single geht an die Hirschfeld-Eddy-Stiftung, die sich weltweit – unter anderem – für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen oder Transgender einsetzt.