Sterben war nie eine Option für Gerd Schönfelder. Schon seiner Mutter zuliebe, die nach seinem Unfall am Boden zerstört war, wollte er wieder auf die Beine kommen. „Mutter, wir schaffen das. Jammern hilft nicht.“ Und er hat es geschafft.
Schönfelder: Mit einer guten Einstellung kann man fast alles erreichen
Gerd Schönfelder ist Leistungssportler, er war es vor seinem Unfall und ist es danach geblieben. Jetzt steht der Ski-Rennfahrer und Paralympics-Teilnehmer vor über 50 „Rhön Youngsters“, den Azubis der Rhön-Klinikum AG. Medizinvorstand Bernd Griewing hat den Oberpfälzer nach Bad Neustadt geholt. Gerd Schönfelders Geschichte soll ihnen aufzeigen, dass man im Leben fast alles erreichen kann – wenn man eine gute Einstellung hat.
Und so erzählt der 46-Jährige von seiner Leidenschaft fürs Skifahren. Schon als Junge erkennt man sein sportliches Talent. Er hat nur drei Kilometer bis zum nächsten Skilift, der Alpin-Sport steht immer an erster Stelle, doch auch Fußball und später Motorradfahren gehören zu seinen Lieblingssportarten.
Nach der Schule lernt er Elektroniker. Weil er jedoch „gerne was mit Sport machen“ will, macht er in Bayreuth sein Abi nach und meldet sich am 9. September 1989 zum Sportstudium an der Uni an. Bis dahin verläuft sein Leben in normalen Bahnen.
Der Moment, der alles verändert, passiert am Bahnsteig
Doch zwei Tage später kommt der Moment, der alles verändert. Er ist in Nürnberg und muss zu einem wichtigen Termin nach Hause fahren. Die Zeit ist knapp. Ein Freund bringt ihn mit dem Auto nach Hersbruck, wo er in den Zug steigen will. Doch er ist spät dran. Der Zug fährt an, Gerd Schönfelder läuft mit, kann den Haltegriff am Waggon greifen, doch der Zug wird schneller. Am Ende des Bahnsteigs verliert er die Kraft, lässt den Griff los und fällt zwischen Gleis und Bahnsteig. Sein rechter Arm wird herausgerissen, die linke Hand verliert die Langfinger.
Kein Mensch befindet sich auf dem Bahnhof, er ist allein. Gerd Schönfelder ist bei Bewusstsein. Er steht auf, macht sich bemerkbar. Endlich kommt jemand und leitet alle Hilfsmaßnahmen ein. Neun Stunden wird er im Klinikum Erlangen operiert. Sein rechter Arm kann nicht gerettet werden, die linke Hand auch nicht.
Unvorstellbare Situation - dann tauchen schnell Fragen nach dem Sinn des Lebens auf
„Ich habe lange nicht realisiert, was passiert ist“, sagt er. „Das ist eine unvorstellbare Situation, die kann man nicht erklären“, sagt Schönfelder. Dann tauchen Fragen auf. „Hat das Leben noch einen Sinn?“ Er kann nicht alleine essen, trinken, nicht alleine auf die Toilette gehen. Doch trotz aller dieser Handicaps sagt er sich: „Es muss weitergehen, denn Sterben war nie eine Option für mich.“
Gerettet hat ihn der Sport, sagt Schönfelder. Er hat nach der Tragödie immer noch den Biss, den er vom Leistungssport her kennt, und den kann er jetzt gut gebrauchen. In den Gips am linken Arm macht ihm der Vater ein Loch. So kann er eine Gabel reinstecken und selbst essen.
Große Krise - dann konzentriert sich Schönfelder wieder: auf den Skisport
Nach zwei Wochen Klinik kommt er nach Hause. Da kommt die große Krise, denn er sieht sein Motorrad in der Garage. Doch „eine Krise ist immer auch eine Chance“, sagt er sich. Also konzentriert er sich auf den Sport. Nach einem halben Jahr geht er mit Freunden wieder Skifahren. „Kurvenfahren war schwierig“, erzählt er, weil der rechte Arm fehlt.
Der Zufall hilft ihm weiter. Die Schwester seines Freundes hat Kontakt zur alpinen Behinderten-Nationalmannschaft. Er wird zum Training ins Allgäu eingeladen. Was er dort an Handicaps sieht, macht ihn sehr betroffen. „Schlimmer geht immer“, sagt er. Die Menschen dort fahren alle hervorragend Ski, und das Team ist ein „Glückstreffer“. Alle leben nach dem Motto „Geht nicht, gibt's nicht.“
Von da an trainiert und tourt er mit dem Team durch die Welt. Mit riesigem Erfolg. Er wird zwischen 1992 und 2010 nicht weniger als 16-mal paralympisches Gold holen.
Behindert ist nur de r, der sich behindern lässt!
Was ihm bei seinem Vortrag besonders am Herzen liegt, ist den Krankenpflege-Azubis zu danken. „Ihr seid wichtig“, sagt er zu den jungen Zuhörern. „Danke für diese Berufswahl.“ Während seines Aufenthalts im Klinikum Erlangen hatte er einen gleichaltrigen „Zivi“ an der Seite, der ihm eine große Hilfe war. Aber auch bei den Ärzten dort fühlte er sich gut aufgehoben.
Aufgrund seiner Fitness kann er sein Handicap gut kompensieren, denn „behindert ist nur der, der sich behindern lässt.“
Zur Person Gerd Schönfelder, geboren am 2. September 1970 in Kulmain (Oberpfalz), hat als Skirennfahrer Medaillen gesammelt wie andere Briefmarken. Alleine bei den Paralympics holte er zwischen 1992 und 2010 16-mal Gold, insgesamt bringt er es dort auf 22 Medaillen. Er ist damit der bislang erfolgreichste Paralympics-Sportler überhaupt. Bei Weltmeisterschaften stand er 14-mal als Sieger auf dem Treppchen. Er hat im Lauf seiner Karriere zahllose Auszeichnungen erhalten. Unter anderem wurde ihm viermal das Silberne Lorbeerblatt verliehen, die höchste sportliche Auszeichnung in Deutschland. 2011 trat er vom Leistungssport zurück. hawo/che