Eine Stufe, noch eine Stufe. Kurz stehen bleiben, durchschnaufen, nächster Treppenabsatz. Immer weiter steigen Kilian Schmitt und sein Kumpel Benedikt Emes die insgesamt 46 Stiegen der schmalen alten Holztreppe hinauf. Eine Hand von Kilian Schmitt liegt fest in der Hand des Freundes, die andere umfasst das Geländer. Das Ziel der beiden: das Dachgeschoss des Haus des Gastes im 450-Einwohner-Dorf Wargolshausen (Lkr. Rhön-Grabfeld). Denn dort ist der "Puma-Käfig", der Probenraum des Männerballetts.

Kilian Schmitt könnte beim Treppensteigen angestrengt das Gesicht verziehen. Sich schämen, weil er von einem Kumpel geführt werden muss. Jammern, weil er es nicht alleine zum Puma-Käfig der Wargolshäuser Karnevalsgesellschaft (Wa-Ka-Ge) schafft. Er kann zwar einige Schritte laufen, braucht dabei aber Hilfe. Denn Kilian Schmitt ist Rollstuhlfahrer.

Doch der 20-Jährige lächelt: Seit 2020 ist er dabei und Teil des Männerballetts. Handicap, na und? Der Rhöner geht entspannt damit um und spricht offen darüber. Für ihn ist es ohnehin kein großes Thema, dass er seit seiner Kindheit auf einen Rollstuhl angewiesen ist. Lieber erzählt der Fachoberschüler von seinem Berufswunsch im Bereich Technik. Oder von seinen anderen Hobbys: Fußball und dem FC Bayern München.

Oben im Puma-Käfig angekommen, setzt sich Schmitt mit Hilfe eines Kumpels auf einen Stuhl. Er fühlt sich wohl hier: Die 22 Männerballett-Mitglieder – sie kommen aus Wargolshausen, Junkershausen, Bahra und Sulzfeld – sitzen gerne hier unterm Dach zusammen, reden, lachen und trinken das ein oder andere Bier.
Mitglieder des Männerballetts Wargolshausen bauten extra ein Geländer
"Die Umkleide für das Männerballett befindet sich schon immer unter dem Dach", erzählt Ansgar Büttner, Beisitzer der Wa-Ka-Ge und Vorsitzender der Vereinsgemeinschaft Wargolshausen. "Als Kilian zu uns kam, war zuerst vorgesehen, dass wir die Umkleide für ihn im barrierefreien Pfarrheim in der Nähe einrichten", sagt Büttner. "Aber dann haben die Männer gesagt: Den bringen wir rauf!"
Sie hätten dann einfach ausprobiert, den Kumpel hochzuführen: "Kilian war sich sicher, das geht", erzählt der 19-jährige Männerballett-Tänzer Lukas Damm. Damit sich Schmitt richtig festhalten kann, bauten die Mitglieder extra ein Holzgeländer für die Treppe. So klappte es mit dem Weg nach oben. Der Rollstuhl bleibt unten, am Fuß der Treppe.
Wenn der Rollstuhlfahrer zur Lokomotive Emma wird
Die Trainerinnen Jana Scherl, Lea Niessner und Janina Borchert rufen unten im Saal zur Generalprobe. "Wir haben gar nicht überlegt, ob es ein Problem geben könnte. Sondern Kilian einfach gefragt, ob er beim Männerballett mitmachen möchte", sagt die 21-jährige Lea Niessner.
Laut schallt "Eine Insel mit zwei Bergen" aus den Boxen, passend zum Thema "Jim Knopf". Kilian Schmitt ist im geschmückten Rollstuhl als "Lokomotive Emma" mit vollem Einsatz dabei. Flink rollt er über die Bühne, bewegt Arme, Kopf und Hände. Den Rest der Choreografie steuern die Männerballett-Kollegen bei.

Auftritt von Kilian Schmitt rührt die Zuschauer zu Tränen
"Eine Frau hat mir gesagt: Als ich Kilian bei dem Auftritt gesehen habe, hatte ich Tränen in den Augen", erinnert sich Büttner. "Ich finde, es ist eine schöne Botschaft, dass jeder mitmachen kann. Egal ob klein, groß, dick, dünn, mit Handicap oder ohne", sagt der 66-Jährige. Die Männerballett-Mitglieder unterstützen Kilian Schmitt, wo er es möchte und braucht. Auch beim Abgang von der Bühne.

Die hat an den Seiten mehrere Stufen - für einen Rollstuhlfahrer unüberwindbar. Doch im Gästehaus gibt es eine zusätzliche Eingangstür, direkt hinter der Bühne mit nur einer Stufe. Die kann Kilian Schmitt mithilfe seiner Kumpels gut bewältigen. Dann fährt er einmal außen um das Gebäude - und vorne wieder hinein.
Kilian Schmitt hat Spaß beim Tanzen
Tanzen will gelernt sein. Haben die Männer denn überhaupt Talent? "Man muss schon ein bisschen … viel Geduld mit den Männern haben, bis alles sitzt. Das ist manchmal anstrengend. Aber wir machen es gerne", meint die 21-jährige Trainerin Janina Borchert und lacht.

"Mit der Gruppe läuft das, da habe ich keine Bedenken. Wir setzen um, was die Trainerinnen uns sagen", sagt Kilian Schmitt. Ihm mache das Männerballett einfach Spaß - "und das ist das Wichtigste bei der Sache". Wenn man dann noch Kumpels hat, die dafür sorgen, dass ein, zwei oder auch 46 Stufen kein Hindernis mehr sind – umso besser.
Termin-Tipp: Der nächste Auftritt des Männerballetts ist bei der Fränkischen Partynacht der Wa-Ka-Ge am Samstag, 18. Februar, um 19.30 Uhr im Haus des Gastes in Wargolshausen.