Man musste schon eingefleischter Neuschter sein, um nachvollziehen zu können, von was Günter Schmitt, Seniorchef von Papier Schmitt, da sprach. Und so war es auch kein Wunder, dass zum ersten Erzählcafé das Durchschnittsalter der Besucher im höheren Segment zu finden war. Thema war die Bad Neustädter Geschäftswelt in den Jahren von 1932 bis 1945.
Die gesamte Innenstadt bestand nur aus Handwerksgeschäften, Lebensmittelläden und sogar Industrie und Handwerk, erinnert sich Schmitt. In Bad Neustadt in der Spörleinstraße geboren und großgeworden, kennt er die Innenstadt und ihre Entwicklung bis heute besonders gut. Um 1900 kam Schmitts Großvater nach Bad Neustadt, um eine Buchbinderei zu übernehmen. Zum damaligen Zeitpunkt ein äußerst wichtiges Handwerk, konnten nun stapelweise lose Blattsammlungen geordnet und nummeriert gebunden und zum Lesen bereitgestellt werden. In der Zeit entwickelte sich die industrielle Buchbinderei rasend schnell. Später allerdings wurde aus dem Geschäft ein reiner Buchhandel, in dem Vater Alois Schmitt auch Musikinstrumente verkaufte.
Oft nahmen die Schmitts mit ihrem Bücherladen nur 35 Mark am Tag ein und mussten von selbst geernteten Obst und Gemüse aus dem eigenen Garten leben. Helmut Wagenbrenner erinnert sich: Oft habe er sich in die Buchhandlung geschlichen um die dort liegenden Hefte zu lesen, sie aber nicht zu kaufen. „Das hat euch ja nicht ruiniert“, scherzt Wagenbrenner, der mit Schmitt die Kindheit und Jugend verbrachte.
In der Spörleinstraße gab es weiter ein Blumengeschäft, einen Eisenwarenladen, eine Textilreinigung, einen Lebensmittelladen, ein Schmuckgeschäft, einen Gasthof, eine Zinngießerei, eine Kerzenherstellung, die Firma Preh mit Puppenherstellung, Textilwaren Münch, das Kaufhaus Bayer und die Bäckerei und Weinstuben Köberlein.
Am Rathausplatz gab es die Klosterkirche, das Rathaus mit Feuerwehr und Gerätehalle sowie eine Berufsschule und die Stadtpolizei. Die Firma Schaidacher war ebenfalls schon ansässig.
Viele Geschäfte hat es gegeben, mit denen Erinnerungen verknüpft sind. Beispielsweise der Barbier, der in seinem Geschäft lauter Regale hatte, erinnert sich Schmitt. Dort standen weiße Behälter mit Pinsel, denn jeder Herr, der sich dort rasieren ließ, hatte seine eigene Schale mit Pinsel.
In den Kindergarten ist Schmitt nie gerne gegangen. Die „Bewahranstalt“, wie Schmitt sie nannte, musste er aber kurz vor Einschulung doch besuchen. Wo vorher zwanglos im Hof und auf der Straße gespielt wurde, lernte er nun still sitzen und Papierfaltarbeiten. Bald war das für Schmitt aber nicht mehr erstrebenswert, ebenso die Schläge auf die Finger, die er bei Nichtbeachtung der Regeln erhielt, und so schwänzte er die „Anstalt“, wann er nur konnte.
Viele Geschäfte, die es damals schon gab, haben „überlebt“ und sich weiterentwickelt. Viele gibt es nicht mehr und das Stadtbild der Innenstadt ist heute geprägt von Cafés, Restaurants und Bekleidungsgeschäften.
Die Besucher des Erzählcafés schwelgten gemeinsam mit Günter Schmitt in Erinnerung, einen Beitrag zum damaligen Leben konnte jeder einbringen.