Nur einmal saß Levin Müller aus Irmelshausen probeweise auf "Nano", übte mit ihm in der Reithalle von Gut Rothof, um sich mit dem Tier vertraut zu machen. Schließlich war der 20-Jährige vor zwei und drei Jahren schon einmal beim Spitzenreiten dabei. Am Pfingstmontag ließ er Michael Regensburger und Bernd Sturdza beim traditionellen Spitzenreiten um den Irmelshäuser Badesee hinter sich.
Sah es zunächst so aus, als ob Michael Regensburger das Rennen machen würde, spornte Levin Müller Nano kurz vor dem Ziel noch einmal an und Nano galoppierte als Erster ins Ziel. Damit übergaben Antonie Butzert und Alea Kürschner die mit Bändern geschmückte Spitze an den Sieger. Glückwünsche gab es vom Vorsitzenden des Burschenvereins Irmelshausen, Marvin Müller, und Hans Freiherr von Bibra, der eine Urkunde und ein Geldpräsent überreichte.
Am Anfang stand ein Festzug
Begonnen hatte das Spitzenreiten von Irmelshausen mit einem kleinen Festzug vom Sportheim zum Badesee. Voran die Konfirmandinnen Antonie Butzert und Alea Kürschner mit der Spitze, eine mit vielen bunten Bändern geschmückte Fahnenstange, dahinter, Hans Freiherr von Bibra und Marvin Müller, die Musikkapelle Irmelshausen, dann die Reiter und zahlreiche Gäste. Gekleidet waren die Konfirmandinnen in der Irmelshäuser Tracht.
Traditionspflege ist auch Michael Regensburger Levin Müller und Bernd Sturdza wichtig. Sie dankten dem Gut Rothof bei Sulzfeld, das die Pferde zur Verfügung stellte und die Burschen in der dortigen Reithalle trainierte. Pferd und Reiter mussten sich kennenlernen und Reiten ohne Sattel ist auch nicht so einfach. "Es ist wichtig, dass dieses Spitzenreiten weiter geführt wird sagten Hans Freiherr von Bibra und seine Frau Yvonne. Deshalb ist es für sie selbstverständlich, wie seit Jahrhunderten, ein Geldgeschenk parat zu haben und dem Sieger zu überreichen.

Reiten ohne Sattel
Nach dem Ritt waren die Irmelshäuser Burschen aber allesamt geschafft, denn auf einem ungesatteltem Pferd zu reiten und es mit den Beinen zu lenken, war nicht ganz einfach. Freude aber auch, dass bei diesem Ritt alles glatt ging. Keiner stürzte vom Pferd, die Tiere selbst liefen "wie der Wind" und ließen sich auch nicht von Büschen, Bäumen oder Zuschauern ablenken.
Für die zahlreichen Badegäste an der knapp einen Kilometer langen Strecke war der Pfingstritt von Irmelshausen allemal eine Abwechslung und teils auch Überraschung. Immer wieder wurden die Handys gezückt und das Geschehen im Kurzvideo oder Bild fest gehalten. So auch, als der 20-Jährige Levin Müller an den Zuschauern vorbei ritt, um im kleinen Zug mit der Musikkapelle Irmelshausen zum Sportheim zu marschieren.
Mit dem sogenannten Spitzenreiten hielten die Irmelshäuser einen Brauch wach, der wohl einst von den Knechten des Schlossherrn durchgeführt wurde. In Irmelshausen heißt es aber auch, dass es sich dabei um einen germanischen Fruchtbarkeitsritt über die Felder und Fluren handeln könnte. Freiherr Hans von Bibra weiß, dass der Brauch seit Jahrhunderten eng mit der Familiengeschichte verbunden ist. Früher wurden die Knechte eines Schlosses im Reiten unterrichtet und dann auch mit in den Krieg genommen. In späteren Jahren wollten die Burschen bei Wettkämpfen zeigen, wie gut sie auf den Pferden reiten. Es könnte aber auch sein, dass das Spitzenreiten mit dem thüringischen Dorf Mendhausen in Verbindung gebracht wird. Hier gibt es urkundliche Niederschriften. Daraus geht hervor, dass das Spitzenreiten zwischen Mendhausen in Thüringen und Irmelshausen stattfand. Als allerdings eine neue Straße gebaut worden war und es gar zu einem schweren Unfall kam, wurde die Strecke zum Badesee und dort auf dem Rasen verlegt.

Nicht jeder darf mitmachen
Wer glaubt, dass in Irmelshausen jeder an diesem Spitzenreiten mitmachen darf, der irrt: Lediglich die unverheirateten Burschen des Dorfes haben die Möglichkeit an dem Wettreiten teilzunehmen. Auch Zugezogenen wird das nicht verwehrt, allerdings müssen sie fünf Jahre im Dorf ansässig sein. Ältere Irmelshäuser wissen, dass es vor Jahrzehnten Brauch war, dass Teilnehmer des Spitzenreitens, die im gleichen Jahr heirateten, 80 Pfennig zahlen mussten. Einer der aus dem Dorf ausgezogen ist, musste 40 Pfennig zahlen und die Gemeindekasse legte 70 Pfennig dazu. Dieses Geld ging an die Konfirmandinnen, die die sogenannten Spitze, eine Fahnenstange mit 92 bunten und teils bestickten Bändern, tragen. Diese Bänder sind teils bis zu 100 Jahre alt. Würde übrigens das Spitzenreiten nur ein einziges Mal ausgesetzt, bedeutet dies, dass die jahrhundertealte Tradition beendet ist.





