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WALDBERG: Süße Auszeit vom Alltag

WALDBERG

Süße Auszeit vom Alltag

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    So ein Obstkuchen ist schon was Leckeres: Nachdem Victoria, Janina und Anna (von links) die Torte zusammen belegt haben, machen sie sich mit vereinten Kräften begeistert ans Verzieren.
    So ein Obstkuchen ist schon was Leckeres: Nachdem Victoria, Janina und Anna (von links) die Torte zusammen belegt haben, machen sie sich mit vereinten Kräften begeistert ans Verzieren. Foto: FOTO Catharina Hettiger

    Im Hausflur der beiden Waldberger stapeln sich Schokoladentafeln und Buntstifte, im Wohnzimmer liegen Puppen, Federball-Sets und andere Spielsachen. Vier Wochen im Jahr herrscht bei Familie Schultheis Ausnahmezustand: Die Kinder aus Shitkowitschi sind wieder da.

    Den Wunsch, sich um hilfsbedürftige Jugendliche zu kümmern, hat das Ehepaar schon lange. Bei der Suche nach einer Organisation, in der sie sich engagieren konnten, stieß Christa Schultheis auf den Verein „Kinder aus Shitkowitschi – Hilfe nach Tschernobyl“. Das war 1996, seitdem hat das Paar 17 russische Kinder für einen je vierwöchigen Aufenthalt in Deutschland bei sich aufgenommen. Seit die eigenen zwei Söhne und die Tochter aus dem Haus sind, freuen sich die Waldberger noch mehr auf den jährlichen Besuch aus Russland.

    In diesem Jahr wohnen Anna und Janina bei Familie Schultheis. Die beiden Neunjährigen wirken fröhlich und gelöst – eben noch haben sie mit Gastvater Martin vor dem Haus Frisbee gespielt, jetzt verzieren sie zusammen mit Victoria, die in einer anderen Gastfamilie untergebracht ist, einen Kuchen. „Das war nicht immer so“, erklärt Christa Schultheis. „Anna war anfangs sehr ernst, beide Mädchen haben außerdem einen schwierigen Familienhintergrund.“

    Von diesen und anderen Problemen sollen die Kinder während ihres Deutschland-Aufenthalts Abstand gewinnen können. Das vielseitige Programm, das der Verein organisiert hat, trägt dazu bei: Neben Ausflügen wie einer Fahrt zum Tierpark Gersfeld und der Sommerrodelbahn auf der Wasserkuppe stehen auch ganz praktische Termine an. So durften sich die Kinder nach ihrer Ankunft in der Kleiderkammer in Wollbach Sachen aussuchen – und bis zu drei Kartons für ihre Familien in Russland füllen.

    Der Toaster als Lachnummer

    „Ich habe meine eigene Kleiderkammer im Haus“, lacht Christa Schultheis. Sie hat einen Teil ihres Kellers in ein Lager umfunktioniert, die meisten Sachen darin stammen von Freunden und Bekannten. Hilfe in dieser Form bekommt die 51-Jährige oft. Andere Leute zur Aufnahme von Kindern zu motivieren, ist ungleich schwerer: „Viele denken wohl, sie müssten den Kinder rund um die Uhr ein Programm bieten“, vermutet die 51-Jährige. „Dabei ist das Wichtigste, dass sie sich willkommen fühlen, an der frischen Luft sind und gesundes Essen bekommen.“

    Und tatsächlich scheint bereits der Alltag viele Überraschungen zu bieten. Was ihren deutschen Altersgenossen völlig selbstverständlich erscheint, erstaunt die Mädchen – sei es das fließende Wasser oder die Elektrogeräte in der Küche. „Wenn das Brot aus dem Toaster springt, müssen die beiden immer noch kichern“, erzählt Christa Schultheis. Spiele wie Federball und Mensch-ärgere-dich-nicht kannten Janina und Anna bisher nicht. „In Russland spielen die Mädchen wie ich in meiner Kindheit – mit Töpfen und anderen Sachen, die die Mutter gerade entbehren kann“.

    Damit die Kinder keinen falschen Eindruck vom Leben in Deutschland bekommen, lässt Christa Schultheis sie kleine Arbeiten wie Geschirrabtrocknen und Wäsche-Aufhängen erledigen. Im Gegenzug bringen die Mädchen ihrer Gastmutter russische Gerichte bei: Wie man Pelmeni zubereitet etwa, das sind mit Hackfleisch gefüllte Teigtaschen.

    Auch die Verständigung scheint zu klappen. Am Wohnzimmerkamin hängt eine Liste mit den wichtigsten Ausdrücken in beiden Sprachen. Diese kommt jedoch nur selten zum Einsatz, meist verständigen sich das Ehepaar Schultheiß und die Mädchen mit Gesten und einzelnen Worten. Janina lernt in der Schule Deutsch, und auch Anna kennt inzwischen die wichtigsten Ausdrücke: „Schlafen, essen, Zähne putzen, Gurke“, zählt sie stolz auf. Janina ist gar nicht mehr zu stoppen – nachdem sie auf Deutsch bis elf gezählt hat, rattert sie verschiedene Kindersprüche herunter.

    Sollte es trotzdem einmal zu Problemen kommen, ist Olga Zaibert zur Stelle: Die 38-jährige Russin ist eine Freundin der Familie Schultheis und dolmetscht, wann immer es nötig ist. Fragt man Anna, Janina und Victoria, ob sie in den vier Wochen in Deutschland denn einmal Heimweh gehabt hätten, kommt die Antwort prompt und einhellig: „Niet!“

    Wie aber kommen die Kinder nach der Rückkehr in ihre Heimat zurecht? „Zunächst einmal freuen sie sich auf zu Hause, sie haben ihrer Familie und den Freunden ja viel zu erzählen“, so Schultheiß. „Aber nach zwei Wochen kommen oft schon die ersten Briefe der Kinder mit der Frage, wann sie wiederkommen können.“

    „Christa, Christa!“ – aufgeregt kommt Anna ins Haus gerannt: „Schau!“ Vor dem Haus rauscht Janina den Berg hinunter, sie hat eben von Gastpapa Martin gelernt, wie man Fahrrad fährt. „Dobre, Jana, sehr gut!“, ruft Christa Schultheis und strahlt. Und einmal mehr wird klar: Verständigungsprobleme sehen anders aus.

    An diesem Samstag feiern die 46 Kinder aus Shitkowitschi mit Gasteltern und Betreuern ein Abschiedsfest in Hollstadt. Beginn ist um 14 Uhr am Sportplatz.

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