Im Reich der Menschen bliebe das nicht ohne Folgen, dass man seine Friseurin derart unvermittelt anspringt und gar Anstalten macht, sie abzuschlecken. Aber im Salon von Lisa-Marie Tomenendal gelten ganz eigene Gesetzmäßigkeiten.
Der erste Kunde an diesem Morgen, der junge Balou, ist ein eher wählerischer Kunde. „Wir waren vorher woanders, aber da hat man sich auf Balou nicht gut eingestellt und auf sein Wesen Rücksicht genommen“, klagt Maik Petzel aus Ostheim ein wenig.
Bei der Mellrichstädterin Tomenendal scheint sich der Yorkshire-Mischling wohler zu fühlen, auch wenn die Aufregung noch groß ist, die Zunge aufgeregt aus dem Maul hängt beim Hecheln und Balou immer mal so tut, als ob er der Friseurin etwas ins Ohr flüstern möchte.
Lisa-Marie Tomenendal hat die richtigen Kniffe parat, um Balou noch weiter zu beruhigen, damit er mehr und mehr Vertrauen zu ihr gewinnt. Hundeseelen sind empfindsame Fühler, die schnell wissen, ob es jemand mit ihnen gut meint und ob dieser Zweibeiner da mit der Schermaschine auch echtes Einfühlungsvermögen besitzt.
Balou ist drei Jahre alt und der Liebling im Hause der Familie Petzel, zu der noch Sandra und die Kinder Carlos und Fenja gehören. „Der passt in unsere Familie. Meine Eltern selbst hatten keine Haustiere, aber wir wollten uns welche anschaffen“, erzählt Petzel. Balou ist der zweite Hund in der Familie, jeden Monat einmal geht es zum Hundefriseur. „Er ist liebevoll zu Kindern, vielleicht etwas aufbrausend, wenn der Postbote kommt“, schmunzelt Petzel.
Unterdessen wird Balou schön gekämmt und gestreichelt. Auf dem Boden verteilt sich der schwarzgraue Flaum des Hundefells. Wenn Balous Friseurtermin beendet ist, kommt das Fell nicht einfach so in den Mülleimer.
„Wenn genug Material beisammen ist, dann bekommen das die Jäger, denn das ausgelegte Fell vertreibt unerwünschte Tiere“, erklärt Tomenendal, die im Mai den ersten Geburtstag ihres Hundesalsons in Mellrichstadt feierte.
„Muffins Hundesalon“ heißt die Schönheitsadresse für Vierbeiner in der Mellrichstädter Hauptstraße. Viel Pink von der Schaufenster-Dekoration bis zum großen Föhn für die Hunde zeugt vom dezidierten Geschmack der Salonbetreiberin.
Balou mag ein schüchternes und unscheinbares Exemplar von Hund sein. Dass er Akzente zu setzen vermag, wird beim Blick auf das Hinterteil klar: Ein auf Form getrimmtes, kurz geschorenes Schwänzchen, an dessen Ende wie ein kleiner Wedel ein kegelartiger Bommel wackelt und bestimmt einmal den Weibchen unter der Ostheimer Hundeschar den Kopf verdrehen wird.
Prozedur ist natürlich das falsche Wort für das, was die Hundesalon-Chefin dem kleinen Tier an Annehmlichkeiten hat angedeihen lassen in der letzten knappen Stunde. Aber wir lassen den Begriff doch stehen. Denn die große Belohnung nach der Prozedur für Balou ist ein dicker Strahl aus der Leberwurst-Tube, der schwanzwedelnd abgeschleckt wird. Auch so etwas gehört zur Kundenbindung. „Ich wollte schon immer etwas mit Tieren machen“, sagt Lisa-Marie Tomenendal. Bisher hat sie als Gärtnern, Hotelangestellte und zuletzt in einem Baumarkt gearbeitet, bevor sie sich selbstständig gemacht hat. Als sich dann die Möglichkeit bot, das Geschäftshaus in der Mellrichstädter Hauptstraße zu erwerben, da wagte sie den Sprung in die Selbstständigkeit. Fördermittel für ihr Start-Up gab es nicht, mit viel Kreativität und einem Sinn für modernes Marketing hat sie ihren Salon und den Internetauftritt dazu gestaltet.
Zum Salon gehört auch eine Badewanne. Doch die bleibt heute unbenutzt. Auch der nächste Kunde des Tages, die zweijährige Berner Sennenhündin Emma aus Großwenkheim, wird sie heute noch nicht kennenlernen. Emma hat Premiere in Muffins Hundesalon.
Mit dabei sind Frauchen Nadine Schlembach mit ihrer Mutter Priska. Ein gutmütiges Tier hat da den Salon betreten. Die Lefzen dehnen sich wie zu einem Lächeln. Aber die Hundefreunde wissen natürlich sofort, dass es hier um Aufregung und Schwitzen infolge der Aufregung geht.
Lisa-Marie Tomenendal kann da nicht ohne großes Aufhebens loslegen mit der großen Schermaschine oder einer ihrer vielen Bürsten. Erst ein mal steht das Beschnuppern an, vertrauensbildende Maßnahmen. Die Leberwursttube weckt erst einmal nicht das Interesse. Aber die Streicheleinheiten der Friseurin tief in das schwarze Fell, allerbestes Grooming, verfehlen ihre Wirkung nicht und Emma wird Stück für Stück ruhiger.
„Tiere gab es bei uns schon immer im Haus, die gehörten schon immer zur Familie“, sagt Mutter Priska. Und die Berner Sennenhündin ist genau die Rasse, die zu der Großwenkheimer Familie passt. „Die sind absolut familientauglich und vor allem die Ruhe selbst. Wir lieben das“, sagt Priska Schlembach. Sie ist zum ersten Mal nach Mellrichstadt gefahren, um Emma vom dichten Pelz zu befreien.
Das Gespräch mit der Salonbetreiberin ist schnell von Fachausdrücken durchsetzt, hier sind wirkliche Hundefreaks zusammen. Im hinteren Zimmer sind Lisa-Marie Tomenendals eigene Hunde auf den neuen Gast aufmerksam geworden. Die heißen Mozart, Casper, Picasso, Foxi und Rhea. Kurz wird gegauzt, dann sorgt die Chefin für Ruhe. Der Brustkorb der Berner Sennenhündin hebt und senkt sich mit dem Hecheln. Mit einer großen Bürste zieht Lisa-Marie durch das dicke, struppige Fell des Hundes. Mit jedem Strich durch das Fell füllt sich der Haufen an Flaum, den das große Tier zurücklässt.
Tomenendal gibt Anweisung, wer sich wohin zu setzen hat, damit sich der Hund beruhigt fühlen kann. Sie hat sich zu dem Hund gesetzt, der sich eng an seine Friseurin schmiegt und die Streicheleinheiten genießt. „Ich denke, das mit dem Waschen machen wir erst bei der nächsten Sitzung“, sagt Tomenendal. Das Tier wäre überfordert und würde den Salonbesuch doch nicht in guter Erinnerung behalten.
Psychologisches Einfühlungsvermögen gehört auf jeden Fall dazu. wenn man erfolgreich einen Hundesalon führen will. Eine wirkliche Ausbildung gibt es dafür nicht. Aber die Mellrichstädterin hat bei dem bekannten Hundefriseur Jan Beets ein achtwöchiges Praktikum absolviert und dort viel über Tiere und Fellpflege gelernt. „Und ich lerne jeden Tag Neues hinzu“, sagt die Jungunternehmerin.
Glücklich ist sie auf jeden Fall in ihrem neuen Beruf. „Es ist einfach toll, mit Tieren zu arbeiten. Hunde sind wunderbare Tiere, weil sie so treu sind„, sagt Tomenendal. Sie hat auch schon den Blick dafür geschärft, welche Art von Herrchen oder Frauchen welche Art von Hund wollen.
„Aber an erster Stelle steht der Komfort für das Tier, nicht das Aussehen“, betont Tomenendal. Der Hund stehe an erster Stelle. Endlich kann Emma aufatmen. Der erste Friseur-Termin ihres Lebens ist beendet. „Sie hat jetzt den Wintermantel ausgezogen“, schmunzelt Tomenendal.
Ein wenig Schnuppern noch, ein wenig Schwanzwedeln und Emma ist, um einiges an Felltracht entledigt, bereit für den kommenden Sommer.
„Dass mir der Hund das Liebste ist, sagst Du oh Mensch, sei Sünde, doch der Hund bleibt mir im Sturme treu, der Mensch nicht mal im Winde.“
Arthur Schopenhauer, Philosoph