Ganze 328 Tage hat es gedauert – vom Mauerfall am 9. November 1989 bis zum Ende der DDR am 3. Oktober 1990. Mit der Wiedervereinigung vor 30 Jahren hatte der Arbeiter- und Bauernstaat aufgehört, zu existieren. „Wer ein Wunder erleben will, der hat sich heute auf den Weg gemacht.“ Mit diesen Worten hatte Direktor Günter Putz (Bad Königshofen), damals stellvertretender Dekan des Dekanats Rhön-Grabfeld, den ökumenischen Gottesdienst eröffnet, der die große Wiedervereinigungsfeier am Abend des 2.Oktober 1990 einleitete.

Das Wunder war wenige Stunden später Wirklichkeit. Und nicht nur Rhön-Grabfeld-Landrat Dr. Fritz Steigerwald standen Tränen in den Augen, als mehr als 3000 Menschen im restlos überfüllten Festzelt um Mitternacht in das Deutschland-Lied einstimmten und „Einigkeit und Recht und Freiheit“ sangen. Es war ein geschichtsträchtiger Moment für die Einheit Deutschlands. Nichts als pure Freude herrschte bei dem gigantischen Volksfest auf der Schanz, dem ehemaligen und schier unüberwindbaren Grenzübergang zwischen Eußenhausen und Meiningen. Über 20 000 Menschen aus Ost und West bejubelten die Einheit und erlebten live mit, wie Geschichte passiert.
Der Großteil der Menschenmenge hatte indes gar keine Chance, um Mitternacht zum Mitsingen ins Zelt zu gelangen und ließ an der nahezu abgebauten Grenzkontrollstelle die Sektkorken knallen. Vor allem unter den jungen Leuten waren viele, die schwarz-rot-goldene Fahnen schwangen. Zahlreiche Jugendliche warfen Knallkörper durch die Luft und entzündeten Freudenfeuer. Die Rhön und das Grabfeld, Menschen aus Bayern und Thüringen, feierten gemeinsam deutsche Geschichte – die ganze lange Nacht hindurch.
Und dann der Gassenhauer: So ein Tag, so wunderschön wie heute
Doch die innigen Verbrüderungsszenen und herzlichen Umarmungen wie in den Tagen der Grenzöffnung waren schon weniger auszumachen, als das letzte Stündlein der DDR geschlagen hatte. Nichtsdestotrotz schmetterten überglückliche Menschen mehrfach im Zelt die Melodie „So ein Tag, so wunderschön wie heute“ aus voller Brust.
Beim ökumenischen Gottesdienst zu Beginn der Einheitsfeier war das Vaterunser, Hand-in-Hand gesprochen, innigster Ausdruck eines Glücks, das im Zelt neben der schwarz-rot-goldenen Fahne in großen Lettern zu lesen war: „Wir sind ein Volk.“ Direktor Putz hatte die Menschen aufgerufen, in und mit dem ökumenischen Gottesdienst „die Sprache der Liebe neu zu lernen“. Und Superintendent Gerhard Victor (Meiningen) hatte die Botschaft verkündet, die Herzen für Gerechtigkeit zu öffnen und bereit zu sein, miteinander zu teilen. Gott sei Dank, so der Superintendent, sei die friedliche Revolution nicht von Gewalt eingeholt worden, „die Veränderungen in der DDR sind mit Gebet, mit Worten und Kerzen erzwungen worden“.
Hüben und drüben die Sehnsucht nach Freiheit bewahrt
Glücklich und stolz gelte es einen Sieg zu feiern, hatte Rhön-Grabfeld-Landrat Fritz Steigerwald den Menschen zugerufen. Den Sieg einer Idee, die sich der Freiheit und der Menschenwürde verpflichtet fühle. Steigerwald: „Es waren Menschen hüben und drüben, die sich die Sehnsucht nach Freiheit bewahrt haben.“ Mit dem Dichterwort „Der Mensch ist frei und sei er in Ketten geboren“ hatte Steigerwald zum Schluss der Ansprache, die mehrfach von jubelnder Zustimmung unterbrochen war, den Appell verknüpft, „Einigkeit, Recht und Freiheit mit offenen Herzen in sich aufzunehmen“.
Als „Tag der unbeschreiblichen Freude“ hatte der amtierende Landrat des Kreises Meiningen, Johannes Heß, die Feier bezeichnet. Mauern und Grenzen seien gefallen, nun müsste man alles daran setzen, „dass die Mauern in den Köpfen fallen“. Tosender Beifall begleiteten diese Worte.

Und seither verfolgt ein Mann dieses hehre Ziel. Jimmy Fell, Aktionskünstler aus Berlin und aus Niederlauer in Rhön-Grabfeld stammend, hat sich wie kaum ein Zweiter die Verwirklichung der deutschen Einheit zur Lebensaufgabe gemacht. Und das auch künstlerisch umgesetzt – mit dem in Deutschland bisher einmaligen „Skulpturenpark Deutsche Einheit“. Ein ehemals mit militärischer Härte streng bewachter Grenzstreifen am Grenzübergang Eußenhausen/Meiningen auf der Schanz wird so zum Symbol der Freiheitsliebe im geeinten Deutschland.
Ideen-Fülle des Künstlers bereichert den Skulpturenpark
Mahnmale, Denkmäler, Skulpturen und Statuen – die Fülle der Ideen und die künstlerischen Darstellungsformen sind Jimmy Fell in 30 Jahren Wiedervereinigung nicht ausgegangen. Angefangen mit der Goldenen Brücke, dem Erstlingswerk des Aktionskünstlers, als Symbol für das Zusammenwachsen zur Einheit, über die monumentale Skulptur mit der Losung „Wir sind das Volk“ zum 20. Jahrestag der Wiedervereinigung bis hin zur Installation „Liberty Forest“ mit der fünf Meter hohen Freiheitsstatue im Blick sind beeindruckende Werke im umfangreichen „Skulpturenpark Europäische Einheit“, die jetzt für ein neues Haus Europa werben, wie es sich Jimmy Fell wünscht.

Auf die Frage, warum Einheitsfeiern mehr und mehr an Stellenwert im öffentlichen Leben verlieren, hatte Meiningens Bürgermeister Reinhard Kupietz bereits 2005 zum 15. Jahrestag der deutschen Einheit eine einfache Formel als Antwort parat: „Wenn in unserem alltäglichen Tun, Denken und Fühlen die unterschiedlichen Entwicklungen der beiden deutschen Staaten nach 1945 keine Rolle mehr spielen, ist die deutsche Einheit zustande gekommen.“ Dann sei zusammengewachsen, was zusammen gehört. Daraus erwachse „die Verpflichtung, gemeinsam eine Zukunft zu gestalten“, hatte Kupietz angemahnt.
Für alle, die damals dabei waren, bleiben der 2. und 3. Oktober 1990 unvergesslich, und zwar als Invasion auf der Schanz an einem geschichtsträchtigen Datum für Frieden und Freiheit.