Kümmer dich um deinen eigenen Dreck!“, sagt der Volksmund. Um unser aller Dreck schert sich der Müllwerker. Wie wichtig dessen Arbeit ist, wird erst offenbar, ist er einmal nicht da. Doch wie fühlt es sich an, dem Müll eine Abfuhr zu erteilen? Einen Tag lang tausche ich meinen Sitzplatz am Redaktionsschreibtisch gegen einen Stehplatz auf dem Trittbrett am Müllauto und toure mit den Jungs der Kommunalen Abfallwirtschaft Rhön-Grabfeld durch die Bad Neustädter Innenstadt und Wollbach.
Die Emanzipation endet am Windelsack – früh am Mittwochmorgen, ich schwitze trotz Minusgraden. Einige Zentimeter kann ich das blaue Ding ziehen, aber weiter nicht Richtung Müllauto bugsieren. Ich könnte es – das wird mir schlagartig klar – auch bei noch so viel Übung nicht. Kein Wunder, dass es bei der Kommunalen Abfallwirtschaft Rhön-Grabfeld keine Müllfrauen gibt.
Nix für Weicheier
„Das ist kein Job für Weicheier“, Lader Reiner Englert eilt grinsend herbei, um zu helfen. Reicht das Volumen der Restmülltonne nicht, können Bürger beim Landkreis ergänzend blaue Müllsäcke kaufen und diese am Leerungstag neben der Restmülltonne bereit stellen. Was für Familien mit Säuglingen und Pflegefällen eine Riesen-Erleichterung ist, ist für die Müllwerker eine Herausforderung. Denn während der Inhalt der Tonne über die Schüttautomatik im Wageninneren landet, müssen sie die Monstersäcke händisch ins Wageninnere wuchten. Schöne Sch…!

Dass der Tag kein „Zuckerschlecken“ würde, war spätestens drei Minuten nach halb sechs Uhr klar. In neongelber Arbeitskluft und Sicherheitsschuhen stürmte ich leicht verspätet ins Wertstoffzentrum Brendlorenzen. Ob ich das Auto vor dem Büro stehen lassen kann, fragte ich in die Runde Kaffee schlürfender Müllmänner. „Nicht, dass es am Ende abgeschleppt wird?“ Männische Erheiterung: „Hier schleppt dich höchstens der Reiner ab.“
789 Restmülltonnen warten
„Reiner Englert wie reiner Zufall“, stellt sich besagter Kollege aufs Stichwort hin vor. Immerhin, seine Kaffeetasse und zwischendurch sogar mal mein Trittbrett werden wir uns in den kommenden acht Stunden teilen. Jedes Team besteht normalerweise aus einem Fahrer und einem Lader. Mit mir sind wir an diesem Morgen ausnahmsweise zu dritt. Mit dem 55-jährigen Reiner Englert werde ich aus 789 Mülltonnen 10,92 Tonnen Hausmüll kippen, der 59-jährige Walter Kießner wird für uns am Steuer sitzen.
Der Morgen graut, gespenstisch leer gefegt ist die Spörleinstraße, nur graue Tonnen allüberall. „Aufgeregt?“, ruft Reiner vom linken zum rechten Trittbrett. Schon heißt es zupacken, Tonnen übers Kopfsteinpflaster zerren, in die Schüttautomatik hängen, leerrütteln, zurückbringen. Aufs Trittbrett springen, einige Meter fahren, abspringen. Von vorne. Warnleuchten blinken orange, Tonnen rumpeln, im Inneren des Autos würgt die Presse.
Wenn das mit der Behälterschüttung mal so einfach wäre! Eigentlich muss man die Tonnen nur an die Halterung schieben, dann werden sie wie von Geisterhand nach oben gehoben. Eigentlich. Doch plötzlich ist der Winkel falsch, die Tonne zu weit links, der Greifarm packt nicht richtig. Wo eben noch gespenstische Leere war, staut sich der Berufsverkehr. Ich spüre die Ungeduld der Berufstätigen im Nacken. „Ruhig Braune!“, ruft Reiner lachend herüber. In seiner Freizeit hält er Pferde.

Zwischenfall mit einer Tonne
Da passiert's, die Schüttung lässt los, die volle Tonne ergießt sich auf die Straße. „Ist mir auch schon passiert“, tröstet Reiner und klaubt mit mir zusammen Feuchttücher und Essensreste vom Asphalt. Die Handschuhe sind klebrig feucht, als ich eine Haarsträhne aus dem Gesicht streiche. „Wir sind auf der Arbeit und nicht auf der Flucht“, wird Walter später sagen. Bloß nicht hetzen lassen! Denn es ist Vorsicht geboten. Packt die Schüttung, schnellt die Tonne im nächsten Moment hoch. Und reißt dich eventuell mit.
Vor einigen Jahren ist Reiner genau das passiert. An der Jacke hat ihn die Tonne mit hochgezogen. Oben konnte er sich abstoßen, zwei Meter tief ist er aufs Kreuz gefallen. „Da bleibt dir die Luft weg.“ Er ist mit Prellungen davon gekommen. Ein Kollege in Schweinfurt hatte weniger Glück: Bei der Reinigung des Müllautos geriet er in die noch laufende Müllpresse. Wie es dem Mann heute gehe? „Tot. Zerquetscht.“
Auch der Verkehr ist ein Problem. Immer wieder rasen die Autos am Müllauto vorbei. „Meistens Rentner“, schimpft Walter, „die haben keine Zeit“. Dazwischen tänzelt Reiner mit den Tonnen. Walter und das anfahrende, abbremsende Müllauto sind Teil der gut aufeinander abgestimmten Choreographie. „Ich bin ein guter Tänzer“, erzählt Reiner, die abgebrannte Zigarettenkippe zwischen den Lippen. Man muss es ihm glauben, wenn man sieht wie behände er die Tonnen führt. Hier eine Drehung, da ein Griff, dort ein Sprung. Fast immer ein Lied auf den Lippen: „Krumme Beine darf sie haben, aber schön muss sie sein!“
Zu „Easy Rider“ auf dem Trittbrett surfen
Leicht sieht es aus, bis man es selbst versucht. „Die Polizei würd' dich anhalten, so wie du eierst“, scherzt Reiner, „wie die Katz am Knödel hängst du an der Tonne.“ Er bedeutet mir zu pausieren, kippt die Sackgasse allein, um dann „Easy Rider“ grölend auf dem Tritt wieder auf mich zuzusurfen. „Hey Braune“, ein Zwinkern, ein Lächeln. Fünf Minuten später tanzt er den Ententanz.
Traumjob sei es keiner, sagen die beiden, aber Spaß haben sie durchaus. Walter hat Dreher gelernt, Reiner Metzger, aber mittlerweile arbeiten die beiden Wülfershäuser fast 30 Jahre als Fahrer beziehungsweise Lader. 2300 bis 2600 Euro brutto verdient ein Müllwerker in Rhön-Grabfeld durchschnittlich. „Nicht viel, wenn ich denke, welche Verantwortung ich habe“, sagt Fahrer Walter. Als er das Müllauto rückwärts in einer engen Innenstadtgasse an einer Baustelle vorbeizirkelt, wird klar, was er meint. „Ich kenne mein Auto genau, ich weiß was geht“, sagt er beruhigend, als das gut beladene Gefährt später in Wollbach an einem Schneewall buckelt.
Der Tag könnte schlechter sein. „Ein Wetterle!“, loben sie den sonnigen Mittwoch und erzählen von Neuschnee und Eisglätte, wenn sie manche Siedlungen nur mit Schneeketten erreichen. Der Sommer bringe den Geruch und die Maden. „Die fallen schon mal zum Ausschnitt rein, dann krabbelt's am Bauch und du schüttelst sie unten wieder raus.“ Ich hoffe, das war ein Scherz. „Dafür bist du den ganzen Tag an der frischen Luft. Wie frei kannst du sein?“
Der Job beansprucht Knochen, Knie und Gelenke. Was Erleichterung bringt? „Wenn die Menschen die Tonne mit den Griffen nach vorne zur Straße drehen. Und im Winter Tüten benutzen.“ Denn Laub und Windeln frieren an der Tonnenwand fest. „Dann geht der Dreck nicht raus.“ Nicht selten gibt es dann Beschwerde-Anrufe. „Schuld sind dann wieder wir.“ Es gibt auch nette Rückmeldungen. Schön ist es, wenn sich Bürger bedanken, wenn Kleinkinder winken. Weniger schön, wenn Teenies die Nase rümpfen.

Der Müll erzählt Geschichten
So oder so: Walter und Reiner sind nah dran an den Menschen in den Ortschaften. Deren Müll erzählt viele Geschichten. „Wenn du einem in die Mülltonne guckst, weißt du, was er gestern gegessen hat“, so formuliert es Reiner. Zu vielen Tonnen kennt er die Gesichter. „Da wohnt die aufgetakelte Blondine, die immer so freundlich grüßt, da die heiße Brünette. Da der Mann, der mir eines morgens weinend in den Armen lag. Seine Frau war in der Nacht gestorben.“
Gegen Mittag schwindet mein Elan. „Langsam lässt du die Flügelich hängen“, sagt Walter. Schon jetzt spüre ich den aufkommenden Muskelkater, sogar die Hände schmerzen. Die Illusion, dass die Tour mit mir als Zusatzfrau zügiger gehen würde, musste ich längst begraben. „Morgen erst um sechs“, rufen sie mir am Ende aber doch hinterher, „wir nehmen dich wieder mit.“
Die Müllwerker und ihr Restmüll 16 reine Müllwerker, Lader und Fahrer, arbeiten im Bereich kommunale Abfallwirtschaft. Angestellt sind sie beim Kommunalunternehmen, das als Dienstleister für den Landkreis Rhön-Grabfeld fungiert. 2300 bis 2600 Euro brutto verdient ein Müllmann im Landkreis. Müllwerker müssten„körperlich beanspruchbar, zuverlässig, sorgfältig, sicherheitsbewusst und serviceorientiert“ sein, so der Leiter des Kommunalunternehmens, Gerald Roßhirt. Im 14-tägigen Rhythmus fahren die Müllwerker 37 Touren. Dabei leeren sie über 25 000 Restmülltonnen jährlich. 2016 fielen dabei 8500 Tonnen Restmüll an. Zwischengelagert wird der Restmüll an der Umladestation Herbstadt, in der Müllverbrennungsanlage Schweinfurt wird daraus Strom und Fernwärme gewonnen, die Schlacke kommt auf die Mülldeponie Wirmsthal (Lkr. Bad Kissingen).