Gut zwei Wochen ist es her, da sorgten Razzien bei mehreren Privatpersonen und auf dem Sportgelände des TSV in der 800-Seelen-Gemeinde Aubstadt im Landkreis Rhön-Grabfeld für große Aufregung. Dem örtlichen Fußballverein wird vorgeworfen, Trainer und Spieler über ihren eigentlichen Lohn hinaus schwarz bezahlt zu haben – also ohne Lohnsteuer- und Sozialversicherungsabgaben.
Schon im März 2022 hatte es eine Durchsuchung auf dem Vereinsgelände mit 18 Zoll-Beamtinnen und -Beamten gegeben, wohl als Vorbereitung auf den nun stattgefundenen großen Zugriff. Um etwaige Beweise zu sichern, waren diesmal rund 270 Frauen und Männer der Finanzkontrolle Schwarzarbeit zeitgleich im Einsatz. Das empfanden viele der Betroffenen als unverhältnismäßig.

Der Würzburger Wirtschaftskriminologe Uwe Dolata (66) hat sich mit dem Fall beschäftigt. Er ist Kriminalhauptkommissar außer Dienst und gilt als Anti-Korruptionsexperte. Im Interview erklärt er, wie eine Durchsuchung normalerweise abläuft, ob er das Vorgehen in Aubstadt für rechtmäßig hält und was nun auf die Beschuldigten zukommt.
Herr Dolata, war die Razzia beim TSV Aubstadt verhältnismäßig?
Uwe Dolata: Das kann man, ohne den Sachverhalt zu kennen, nicht einschätzen. Wenn viele Objekte gleichzeitig durchsucht werden sollen, braucht es relativ viele Personen dafür. Wenn die sich zwischendurch an einem Ort sammeln, kann schon der Eindruck entstehen, das sei unverhältnismäßig.
Wie viele Personen müssen zur Durchsuchung eines Objekts mindestens vor Ort sein?
Dolata: Es braucht immer einen unbeteiligten Zeugen, der die Objektivität herstellt, die das Gesetz verlangt. Den holt man in der Regel aus dem Rathaus. Darüber hinaus sollten mindestens zwei Personen von der durchsuchenden Einheit vor Ort sein, also vom Zoll oder der Polizei. So sprechen wir von insgesamt mindestens drei Leuten, die es pro Objekt für eine Durchsuchung braucht. Dazu kommen unter Umständen noch Experten, zum Beispiel IT-Forensiker. Je nach Bedarf.

In einer Mitteilung des TSV Aubstadt hieß es, zur Durchsuchung beim Vorstandsvorsitzenden seien 17 Personen aufgetaucht.
Dolata: Das kann ich mir nur so erklären, dass sich bei diesem Objekt Beamtinnen und Beamte getroffen haben, die mit der Durchsuchung anderer Räumlichkeiten schon fertig waren. Dass man sich dort gesammelt hat, um weitere Einteilungen vorzunehmen. Extra für die Durchsuchung 17 Leute mitzunehmen, wäre ja unsinnig und unstrukturiert. Das kann ich mir nicht vorstellen.
Gibt es Richtlinien dafür, wie ein Razzia abzulaufen hat?
Dolata: In der Strafprozessordnung sind rechtliche Vorgaben festgehalten, etwa was Sicherstellung oder Beschlagnahmung und so weiter betrifft. Unter Umständen ist auch ein Staatsanwalt bei der Durchsuchung dabei. Grundsätzlich lernen Polizisten oder Zoll-Beamte, wie eine Razzia abzulaufen hat. Sie müssen verhindern, dass Beweismittel verschwinden. Deshalb müssen sie schnell und koordiniert zugreifen.

Wer kann eine Razzia anordnen?
Dolata: Der Begriff Razzia ist umgangssprachlich. In juristischen Kreisen sprechen wir von Durchsuchung, für die es einen Durchsuchungsbeschluss braucht. Dafür müssen die ermittelnden Behörden mit ihren Beweisen zum Staatsanwalt gehen. Der beantragt den Durchsuchungsbeschluss dann beim Ermittlungsrichter. Nur wenn dieser ihn genehmigt, kann es zu einer sogenannten Razzia kommen. Nur wenn Gefahr im Verzug ist, braucht es keinen richterlichen Beschluss. Aber das war in Aubstadt ja nicht der Fall.
Das heißt, wenn es einen Durchsuchungsbefehl gibt, dann hat die Staatsanwaltschaft auch etwas in der Hand?
Dolata: Ja, auf jeden Fall. So einfach bekommt man auch gar keinen Durchsuchungsbeschluss. Der Richter wägt genau ab und hat die Verhältnismäßigkeit im Blick.

Die Frage der Verhältnismäßigkeit steht also von Anfang an im Fokus?
Dolata: Absolut. Außer dem Richter hat ja auch schon der Staatsanwalt die Verhältnismäßigkeit geprüft. Der Betroffene kann dagegen natürlich dennoch sofort Protest einlegen. Das steht auch so im Durchsuchungsbeschluss.
Wer untersucht nun die beschlagnahmten Gegenstände aus Aubstadt? Polizei oder Zoll?
Dolata: Der Zoll. Er ist eine Bundesbehörde und arbeitet zunächst einmal unabhängig von unserer bayerischen Polizei. Außer das Ganze würde sich in einen Bereich ausweiten, für den der Zoll nicht mehr zuständig ist. Was ich hinter der ganzen Geschichte durchaus sehe. Die entscheidende Frage in der Sache Aubstadt ist ja, woher das Geld kommt, ob es unter Umständen aus einer rechtswidrigen Tat stammt.

Dann würde es nicht mehr in den Zuständigkeitsbereich des Zolls fallen?
Dolata: Das kommt darauf an. Nur mal als Beispiel: Käme das mutmaßliche Schwarzgeld aus illegalen Wetten, wäre nicht mehr der Zoll, sondern die Polizei oder eine andere Behörde zuständig. Die Frage, wo das Geld herkommt, ist sehr wichtig bei den Summen, die im Raum stehen. Wenn tatsächlich allein im Jahr 2022 ein Schaden im sechsstelligen Bereich entstanden ist, würden wir eventuell von ein paar hunderttausend Euro sprechen, die überhaupt erstmal zur Verfügung gestanden haben müssen.
Die Frage ist: Stammt dieses Geld aus einer Straftat, weil es zum Beispiel an den Büchern vorbeigeschleust wurde? Von da kommen wir schnell in den Bereich der Geldwäsche. Und dann sind wir sehr nah an der organisierten Kriminalität. Das ist dann eine ganz andere Größenordnung. Wir wissen nicht, woher das Geld stammt. Diejenigen, die den Durchsuchungsbeschluss beantragt haben, werden schon eine Ahnung haben.

Warum ausgerechnet Aubstadt? Von außen betrachtet verhält sich der Verein nicht anders als andere Klubs im gehobenen Amateurfußball, oder?
Dolata: Dafür kann es verschiedene Gründe geben. Unter Umständen hat der Zoll von irgendwoher einen Hinweis bekommen. Oder es wurde Anzeige erstattet. Oder der Zoll hat irgendeine andere Spur, die er verfolgt.
Könnte es sein, dass man an Aubstadt ein Exempel statuieren wollte? Als Warnung an die Branche?
Dolata: Das glaube ich nicht. Das wäre in Deutschland außergewöhnlich. Das machen andere Länder eher, zum Beispiel die Türkei, Polen oder Ungarn.
Können Sie einschätzen, wie stark der Bereich Amateurfußball von Wirtschaftskriminalität betroffen ist?
Dolata: Nein. Wir haben keine verlässlichen Zahlen und Studien, aber wir gehen davon aus, dass dieser Bereich lange Zeit unterschätzt wurde. Es traut sich bisher niemand so richtig ran, weil die Fußball-Lobby zu stark ist.

Wie geht es in der Sache Aubstadt jetzt weiter?
Doalata: Das kommt darauf an. Vorenthaltung und Veruntreuung von Arbeitsentgelt ist eine Straftat, die die Gerichte sehr konsequent verfolgen. Erstens, weil sie sich relativ leicht nachweisen lässt. Und zweitens, weil sie moralisch so verwerflich ist. Das ist ja Geld, das in der Renten- und den Sozialversicherungskassen fehlt, also der Gesellschaft vorenthalten wird.
Egal was passiert, rechtlich verantwortlich für alles ist qua Amt der Vorsitzende des TSV Aubstadt, oder?
Dolata: Erstmal schon. Allerdings kann er ja Dinge auch delegiert haben, zum Beispiel an den Schatzmeister. Es könnten also mehrere Mitglieder des Vorstandes in der Verantwortung stehen, nicht nur der Vorsitzende.
Das heißt, wenn es zur Anklage kommen würde, wären die Vorstände die Beklagten?
Dolata: Ja. Das ist etwas, das ich immer wieder bemängele an unserem Rechtssystem. Viele andere Länder haben ein Unternehmensstrafrecht. Da wäre der Verein an sich haftbar. Bei uns in Deutschland brauchen wir immer Personen, die wir haftbar machen können.
Es muss aber nicht automatisch zur Anklage kommen, oder?
Dolata: Nein. Es könnte auch sein, dass der Sachverhalt zu geringfügig für eine Anklage ist und fallengelassen wird. Als nächstes wird es darum gehen, dass die Beschuldigten ihre Sicht der Dinge darlegen dürfen und die Beweise ausgewertet werden. Dann geht das Ganze wieder zum Staatsanwalt, der entscheidet, ob er Anklage erhebt.
Von welchem zeitlichen Rahmen sprechen wir da?
Dolata: Ich weiß nicht, wie belastet der Zoll ist. Aber mit ein paar Monaten muss man schon rechnen.
In eine früheren Version des Textes hieß es, Uwe Dolata sei Wirtschaftskriminalist. Er ist jedoch Wirtschaftskriminologe und zudem Kriminalhauptkommissar außer Dienst, also nicht mehr aktiv tätig. Wir haben die entsprechenden Stellen korrigiert.